11 Dez

Europa – Meditation 5

Europa – Meditation # 5

„Es ist etwas Großes, in diesem Weltenbrand ein Mitwirkender zu sein.“

Wo stammt dieses Zitat wohl her? Aus dem Zweistromland, dem Vorderen Orient, aus Afrika oder gar aus Europa? Als Leser heutzutage in Westeuropa lehnt man sich eher kopfschüttelnd in seinen bequemen Sessel zurück und denkt vielleicht: Diese Fundamentalisten können einfach nicht genug bekommen. Die ewig Gestrigen. Weltenbrände gab es – da hortet das Gedächtnis fleißig Horrorbilder – schon immer. Nur waren sie in den letzten Jahrzehnten weit genug weg von Europa (die nahen Einschläge unlängst zählen da lediglich als Ausnahme), Frieden wurde zu einer angenehmen Gewohnheit. Dafür widmet man sich nun anderen Ängsten mit genauso viel Hingabe. „Alle Sätze,die mit ‚Das ist mein gutes Recht…‘ beginnen, kann man meist mit einem beherzten ’nein, ist es nicht‘ beenden. Es gibt weder das Recht, unversehrt sein Leben zu beenden, noch von Gemeinheiten verschont zu bleiben.“ (Sybille Berg). Aber lassen wir die Katze aus dem Sack. Das Zitat vom Anfang war weder von einem IS-Kämpfer, noch von einem Taliban, es stammt vielmehr von einem jungen Deutschen, der von der Westfront an seine Eltern schreibt. Aber schon 1915 wird er ernüchtert fragen:

„Was haben wir eigentlich alle verbrochen, dass wir hier schlimmer als Tiere

herumgehetzt werden, frieren, verlausen, mit zerlumptem Zeug laufen und

zum Schluss umgebracht werden wie Ungeziefer! Warum machen sie nicht

endlich Frieden?“

Was wir nicht fühlen, vergessen wir. Nur da, wo sich die Phantasie und die Wirklichkeit überschneiden, sind wir gänzlich im Jetzt. Lebendig, wirklich, wahr. In diesen Tagen kann man im Bonner Kunstmuseum farbenprächtige Bilder von Macke und Marc bestaunen. Beide starben ebenfalls in diesen Schlachtungen im Westen Europas. Die Phantasie bebildert uns gerne ihr Atelier, ihre Schaffenskraft; die Schatten der gewaltsamen Tode wirken da eher wie unliebsame Störenfriede. Hundert Jahre ist das nun schon her, die Medien verschonen die Zeitgenossen nicht auf dem Erinnerungskarussel, aber die Karawane ist bereits auf dem Weg zu neuen Ufern. Neue Jahrestage sind zu würdigen, neue starke Bilder erneut heraufzubeschwören. Unter den meterdicken Schichten zerbröselnder Geschichten der Vergangenheit lässt sich dennoch auch Hoffnungsvolles freilegen. Dazu sollten allerdings so probate Sätze wie „Wo gehobelt wird, da gibt es auch Späne“ oder „Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten“ nicht länger als praktische Entschuldigungen herhalten dürfen. So unterliegen wir nämlich nicht nur in der Phantasie dem Wiederholungszwang, weil es ja natürlich scheint, sondern auch in der banalen Wirklichkeit.

Blättern wir noch ein Jahrhundert weiter zurück. 1814. Nein, nicht von Waterloo soll da die Rede sein und den vielen toten jungen Männern – als habe man damals dort so ein kleines Präludium inszeniert für den späteren großen Totentanz an gleicher Stelle – sondern von der sogenannten Neuen Welt. Hier lieferten sich die Engländer und die Amerikaner Schlachthausarbeiten, und was dabei bald vergessen war und heute erst recht nicht mehr im sogenannten main-stream erinnert wird, ist die Tragödie, die den Indianern dabei in den Schoß fiel: Als praktische Verbündete oder als die „Wilden“ verschwinden diese ehemals selbstständigen Völker nach diesem Krieg um Vorherrschaft in der Neuen Welt mit „Gottes Hilfe“ aus der lebendigen Wirklichkeit und haben sich in Zukunft nur noch in den Erzählungen der Heldengeschichte der gottesfürchtigen Siedler und neuen Herren aufzuhalten. Sonst nirgends. So schleppen die Europäer eine wüste Spur von gnadenlosem Schlachten hinter sich her. Angekommen in der Gegenwart schrecken ihre Nachfahren auch nicht vor Folter zurück, um ihre eigene Sicherheit zu sichern. Dass sie dabei ihre eigenen Grundsätze verleugnen müssen, ist dann wohl wieder dem Hobel-Späne-Slogan gezollt. Oder: Ausnahmen bestätigen die Regel…

Der neue Literaturnobelpreisträger Modiano wäre demgegenüber ein echter Hoffnungsschimmer, wenn er sagt:

„1945 geboren zu sein, nachdem Städte zerstört und ganze Bevölkerungen verschwunden waren, muss mich, wie andere meines Alters, sensibler für die Themen Erinnerung und Vergessen gemacht haben.“

03 Dez

Europa – Meditation 4

E u r o p a – M e d i t a t i o n  4

In der letzten Novemberwoche des Jahres 2014 strahlte in den Überschriften fast aller Medien der so oft gescholtene und noch öfter gepriesene Namen der Prinzessin aus dem alten Phönizien: EUROPA – als Hauptwort oder als Eigenschaftswort. Politiker und Vertreter der großen Weltreligionen führen sie im Munde wie wunderbar weichen Marzipan, der auf der Zunge lustvoll schmilzt und vergeht.

Was verleitet zu dieser fast schon wie in einer Litanei beschworenen Europa-Bilderflut? Und was könnte gemeint sein, wenn der Name dieser Prinzessin so wohlfeil scheint?

Europa muss eine globale Gestaltungsmacht werden

heißt es da zum Beispiel kurz und bündig. Oder an anderer Stelle kann man lesen:

Gealtert sei Europa…ausgezehrt und müde wie eine Großmutter.
Die Menschen seien vereinsamt, sie frönten einem rücksichtslosen
Egoismus und einer unmenschlichen Wegwerfkultur. Von anderen
werde Europa mit Kühle, Misstrauen und Argwohn betrachtet.

Gegensetzlicher können die Ansichten kaum sein. Beide Male sind es Europäer, die so sprechen. Der erste Satz kommt einem als Europäer sehr vertraut vor: Nach dem Zeitalter der Entdecker, der Kolonisten und Imperialisten – alle aus Ländern, die europäisch genannt werden – kommen nun die Technokraten, Konzeptionalisten, global player und European Think Tanks Group (sie vereint vier führende europäische Think-Tanks, die zu Fragen globaler Entwicklung zusammenarbeiten), im Gewande von win-win-Spielen, in denen es keine Verlierer mehr geben wird, sagen jedenfalls die Think-Tanker. Früher, ja früher, da meinte man mit dem englischen Wort tank noch einen Panzer, aber heute, heute ist natürlich damit ein Fass voller Wissen und Kooperation gemeint, vor dem man sich ganz und gar nicht fürchten muss. Aber dennoch liefern beide Beispiele auch etwas an Botschaft, das erst beim erneuten Lesen und Nachdenken deutlicher wird: (im wissenschaftlichen Sprachduktus würde man an dieser Stelle von Subtext sprechen) Da tritt jemand auf, der selbstbewusst und mit einem Anspruch sich zu präsentieren weiß, geradezu ein Recht zu haben auf globale Führungsmacht; und in dem „muss“ schwingt unüberhörbar mit, dass gegen diesen europäischen Gestaltungswillen kein Widerspruch geduldet werden muss. Wie wird das auf einen Südkoreaner oder einen Kurden wirken? Die Antwort lässt sich leicht aus dem zweiten Beispiel herauslesen: Es wird mit Kühle, Misstrauen und Argwohn aufgenommen werden, weil Bevormundung und Arroganz darin mitschwingt. Auch etwas Gewaltbereites transportiert dieses „muss“ für jedweden Adressaten außerhalb Europas. Passt dieses Muster nicht erstaunlich gut in das Bild vom alten Mythos, von der unfreiwilligen Entführung der Europa? Hört man nicht geradezu den Gott im Stier-look brüllen:

„Europa, du musst mir gefügig sein, schließlich bin ich nicht irgendein kleiner Provinz-Fürst, sondern Zeus, der Blitze Schleuderer! Durch mich wird deine Zukunft glänzend sein!“

Und was ist nach den paar Jahrtausenden aus dieser Prophezeiung geworden? Europa gefangen in rücksichtslosem Egoismus und in einer Gesellschaft, die von der Lust am Wegwerfen besessen scheint. Nachdem die großen Kriege als wenig erfolgreiches politisches Modell nur millionenfaches Menschenleben vernichtet hatten, kamen die Europäer – zusammen mit ihren Verwandten in Übersee – auf die kluge Idee, mit Konsum und Wachstum in einer Endlosschleife sich und die restliche Welt beglücken zu sollen. Die Erinnerung an die Verführung Europas ließ sie wohl glauben, Werbung sei das Allheilmittel, um alle zum Mitmachen bewegen zu können. Von „gealtert“ sein darf auf keinen Fall die Rede sein, nein, stattdessen wäre ein Projekt der Verstetigung der Jugend und der Abschaffung des Todes viel verführerischer – und dafür machen sie nun Werbung, Tag und Nacht, all überall, jahraus jahrein.

Das wussten auch schon die antiken Rhetoriker, dass die Wiederholung die wirkungsvollste rhetorische Figur ist. Quintillian wäre begeistert, wenn er noch erleben könnte, zu welch phantastischen Wiederholungswortspielen die Europäer inzwischen fähig sind. Supergeil, würde er dann sicher sagen, supergeil. Immerzu.