29 Dez

Lachte doch nur das Glück in Europas Gesicht! (Mythos # 23 )

Des Chaos Töchter und Söhne greifen weiter mutig ins Leere und Europa genießt

wild entschlossen den nächsten Augenblick des Glücks

I

Die drei ungleichen Brüder sitzen schwitzend im Dampfbad unter der Erde und starren vor sich hin. Immerhin sind sie die wichtigsten Götter überhaupt. Hades, der Herr der Unterwelt, denkt angestrengt nach. Gar nicht so leicht bei der feucht-schwülen Luft, stöhnt er gelangweilt. Sein Bruder Zeus schaut ihn aus seinen Glupschaugen an, als hätte er etwas verbrochen.

Glotz nicht so, Bruder!

zischt Hades leise und plantscht dabei mit seinen spinnendürren Fingern in der brodelnden Schwefelbrühe. Und Poseidon, der immer noch grinst, weil ihm die Entführungsgeschichte der Europa nicht aus dem Kopf geht, weiß sich auch keinen Rat. Auch ihm ist es viel zu heiß hier drinnen, in dieser hoch gewölbten Grotte. Immer wieder machen diese Menschen einfach, was sie wollen, sinniert er vor sich hin. Da bleibt ihnen aber nun wirklich nichts anderes übrig, als mal wieder ein Zeichen zu setzen. Der Frauen Übermut gilt es entschieden in Schranken zu weisen. Und Zeus, der Obergott, der sich gerade ächzend aus dem heißen Nass zu erheben versucht, bläst wütend die Backen auf und spürt genau, dass die beiden jetzt einen umwerfenden Plan von ihm erwarten.

Also gut. Es reicht. Semele wollte nicht auf mich hören, Alkmene fühlt sich betrogen…

Da fährt ihm grummelnd Hades dazwischen:

Ja, ja. Die Leier kenne wir jetzt schon bis zum Überdruss, lieber Bruder. Willst du sie wirklich wieder alle aufzählen? Leda, Mnemosyne und wie sie alle heißen mögen.“

Wollte ich auch gerade sagen“,

mischt sich gleich der neidische Poseidon ein,

selbst deine Frau kann es nicht mehr hören. Stimmt’s?“

Zeus kann es gar nicht fassen. Wofür hat er eigentlich denn seine Brüder? Die sollten ihm helfen. Ist doch das mindeste! Aber nein, sie fallen ihm geradezu in den Rücken. Übel, echt übel.

Gut. Ich mache euch jetzt einen Vorschlag, den ihr nicht ablehnen könnt. Streng geheim, versteht sich. Hera darf auf keinen Fall erfahren, was wir abgesprochen haben.“

Hades und Poseidon machen große Augen und nuscheln wenig begeistert vor sich hin:

Noch haben wir gar nichts abgesprochen, Bruder, rein gar nichts.

Zeus holt tief Luft, schürzt kurz die wulstigen Lippen und verkündet dann seinen Beschluss:

Wir drei werden von nun an – natürlich insgeheim und ohne weitere Mitwissen – die Frauen nicht nur beim Gebären leiden lassen, sondern auch sonst.

Zufrieden strahlt der Obergott seine verdutzten Brüder an. Meine Güte, was schauen die nur so blöd aus ihren schwitzenden Visagen! Das hat wohl gesessen. Hades und Poseidon wechseln ausdruckslose Blicke, nicken fast unmerklich, verdrehen die müden Augen und schweigen gerne weiter. Zeus streckt seine vor Schweiß triefende Hand aus, die beiden Brüder schlagen lustlos ein.

II

Im Land der Libanonzedern

Während die drei mächtigen Götter in der Unterwelt ihre Geheimabsprache besiegeln, läuft Agenor, Europas Vater, weiter schlecht gelaunt durch die finsteren Gänge seines Palastes. Wütend muss er sich eingestehen, dass der Meuchelmord an seiner Frau ihm keinerlei Befriedigung verschafft. Schlaflos liegt er nachts alleine auf seinem großen Bett und giert nach seiner Frau, die genau wusste, was er wollte. Er hat sie töten lassen. Sie war ihm zu eigenmächtig, zu stolz geworden. Und Europa, seine Tochter, einfach verschwunden. Ein blutrünstiger Gedanke zischt wie ein tödlicher Blitz durch seine Ohnmachtsphantasien: Jede Frau, die er von nun an in sein Bett holen wird, weil er es einfach braucht, soll es mit dem Tode büßen müssen. Aber der Plan verschafft ihm keine Befriedigung. Ich werde Spione ausschicken – in alle Himmelsrichtungen – einer muss Europa doch finden, einer wenigstens. Dann werde ich sie für den Rest ihres Leben einsperren. Kinderlos soll sie alt werden und sterben. Auch dieser Gedanke kühlt nicht seine Wut. Aber ich bin der König, keiner soll ungestraft meinem Willen im Wege stehen. Vielleicht sollte ich einen großen Krieg beginnen, damit alle Welt sieht, wie furchtbar meine Rache sein wird.

III

In P a i t o lacht das Glück Europa ins Gesicht

Zwei Gesichter hat dieses Lachen aber. Zwei. Das eine sieht Europa, als sie morgens neben dem Minos von Kreta in dessen Schlafgemach erwacht. Die feinen Morgensonnenstrahlen suchen begeistert ihren nackten Körper ab. Im Raum flimmern zahlose Goldstaub-Tänzerinnen und -Tänzer. Archaikos lliegt noch immer in tiefem Schlaf. Sein Gemächt hängt klein und zufrieden zwischen den kräftigen Lenden. Die Lust der gemeinsamen Nacht hat ihn wohlig geschwächt. Europa genießt den Anblick des schlafenden Manns. Lange betrachtet sie ihn. Wie feurig gestern sein Blick auf ihr geruht hatte. Wie stolz er sie in Schranken wies. Und wie sehr sie diesem Blick stand gehalten hatte. Es war ein gieriges Kräfte Messen gewesen. Und als sie sich berührt hatten, brachen die Dämme ihres Fremdseins lautlos ein. Falls neues Leben in mir wachsen soll, werde ich nicht wissen, wer der Vater ist. Ein wunderbarer Gedanke, das wird ihr nur zu deutlich. So lacht nicht nur dieser Morgen überschwenglich Europa an, nein, sie selbst genießt ein entspanntes Lachen über sich und ihre Kühnheit, über ihre Gewissheit. So lacht sie und betet sie zu ihrer Göttin. Was für ein Glückstag!

Aber das andere Gesicht dieses Lachens sieht sie nicht. Das baut sich draußen vor den Mauern des Palastes von Paito auf: Die alten Herren tuscheln, grinsen, lachen. Wenn der Minos von Kreta so unüberlegt und so hastig eine völlig fremde Frau mit in sein Bett zerrt, dann haben sie etwas in der Hand gegen ihn. Nicht ungestraft wird er sie alle vor ihr gekränkt haben. Sie werden Rache nehmen. Dieser unbedachte Schritt des Minos schmiedet sie mächtig aneinander, so sehr sie sich auch untereinander hassen mögen. Sie können sich nun zu den Bewahrern der Insel aufschwingen. Der Minos von Kreta, Archaikos, hat sich als zu leicht befunden erwiesen. Und die fremde, allzu stolze Frau, wird bald schon bloß eine lächerliche Geschichte sein. Es wird sich leicht jemand finden, der für sie tun wird, was jetzt zu tun ist. Ein hässliches Lachen quillt hämisch durch die Ritzen der alten Mauern. Die Vorboten eines unverhofften Unglücks.

16 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte (Mythos # 22)

Europa, großherzig sich und ihre Botschaft verschenkend

Archaikos, der Minos von Kreta, wankt auf seinem Thron. Den misstrauischen Höflingen mag es wie Abwägen scheinen, wie er den Kopf hin und her wiegt. Aber Europa weiß es besser: Sie hat ihn verzaubert – mit einem langen und vielsagenden Blick. Jetzt atmet sie tief durch und wartet, was weiter mit ihr geschehen wird. Der altehrwürdige Berater des Minos von Kreta, Jadon, der schon dem Vater von Archaikos einflüsternd beigestanden hatte, tritt nun auf einen Wink des Archaikos dicht neben den Thron und spricht lange und leise auf ihn ein. Archaikos kann dabei seinen Blick nicht von der fremden Frau wenden. Europa steht aufrecht und lächelnd einfach da – die Mienen der Ratsherren sagen recht deutlich, dass sie diesen Auftritt völlig ungehörig finden. Archaikos schnappt nach Luft, nickt, Jadon zieht sich in ehrfurchtsvoller Verbeugung verharrend demütig zurück. Alle warten gespannt auf das vernichtende Urteil, das aber nicht kommt. Stattdessen entlässt mit herrischer Geste der Minos die lauernde Meute alter Männer. Europa spürt lustvoll den Widerwillen der sich zurückziehenden Versammlung.

Mit hohlem, schwerem Grollen fallen die Flügeltüren ins Schloss.

Und wieder ist es völlig still im Saal.

Mit einem tiefen Seufzer erhebt sich Archaikos von seinem Thron – immer noch sind seine Augen wie gebannt auf Europa gerichtet – jetzt huscht sogar ein feines Lächeln kurz über sein Gesicht, während er die rechte Hand ausstreckt. Europa tut es ihm gleich. Als sich ihre Hände berühren, läuft beiden ein wohliger Schauer über die Haut.

„Komm!“

Wie der Gong zur Einladung zu einem großen Fest, so füllt dieses eine Wort die weite leere Halle. Für einen Augenblick schließt Europa die Augen. Sie weiß, sie ist gerettet. Die eben noch drohende Gefahr hat sich schlagartig in lustvolles Sehnen verwandelt. Seine warme Hand in ihrer wirkt wie eine alles verändernde Traumlandschaft, in die sie nun gemeinsam gehen.

Dann reißt er sie mit sich fort. Später wird sie gar nicht mehr sagen können, wie lange es dauerte, bis sie im innersten Teil des Palastes angelangt waren. Waren sie gelaufen? Hatten sie gar gekichert? Oder möchte sie nur, dass es so gewesen war?

Nackt sitzen sie erst in einem flachen Wasserbecken. Feucht umgibt sie warme Luft. Sie reiben sich mit duftendem Oel gegenseitig die Haut ein. Langes Haar schwimmt wie ein dunkler Atoll um ihren Kopf. Er kann sich nicht satt sehen an ihr.

Dann beginnt er sie zu streicheln. Mit seinen Händen und seinen Lippen, den bebenden. Seine Nasenflügel zittern bei jedem Atemzug. Dabei flüstert er ihren Namen, immer wieder. So als ob er ihn erst noch üben müsste. Als wäre er eine Zauberformel. Schließlich lässt sie sich gegen die schräge Beckenwand drücken. Staunend schaut sie ihn an, wie er langsam über sie kommt, langsam in sie eindringt. Gerne umschlingt sie ihn mit ihren Armen. Ihr wohliges Stöhnen aalt sich dabei wie ein leises Echo in der feuchtwarmen Luft. Die oelige Oberfläche des in Wallung geratenen Wassers versucht die Bewegung der beiden Körper zu spiegeln. Aber es gelingt ihr nicht. Zu unruhig, zu heftig bäumen sich die beiden gegeneinander auf. Da ist keine Zeit mehr für ein völlständiges Bild, da stürzen Gefühle, Augenblicke, Gesten in einen seeligen Abgrund reinen Vergnügens. Selbst als die Wucht des Glücksmoments zu verebben scheint, hört sie ihn weiter genussvoll flüstern: Europa!

15 Dez

Europa – Gewalt und Geschichte (Meditation # 22)

Europas unsägliche Tradition der Gewalt

Richtig oder falsch, das ist hier die Frage! Mutig stellt sich der Fragensteller diesem scheinbaren Gegensatz. Aber im Grunde ist diese Frage so gar nicht zu stellen. In der europäischen Geschichte des Nachdenkens über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, gab es zwar von Anfang an so etwas wie Schwarz-Weiß-Malerei beim Behaupten und Schlussfolgern, doch daneben wanderte auch immer eine andere Denkfigur stolz und voller Einfühlungsvermögen mit: Die dreischrittige Art zu folgern – da waren die Gegensätze gut aufgehoben, fühlten sich wohl, kamen zu Wort, lernten aber auch selber zuzuhören, denn stets gab es daraus dieses Dritte, völlig Neue, das aus dem vordergründigen Widerspurch geboren wurde: Die große Versöhnung im Fremden, im bis dahin noch nicht Gedachten. Die Natur, die große Vordenkerin in all diesen Möglichkeiten, zeigt anschaulich seit eh und je, wie aus Werden und Vergehen immer wieder Neues entsteht, dass also das Werden genauso wenig wie das Vergehen Anfang- oder Schlusspunkte von etwas sind, sondern stets Durchgangsmomente zu oft völlig unvorhersehbaren Entwicklungen daraus.

Denker solcher Sehweisen sind den Europäern wohl vertraut: Heraklit, Demokrit, Epikur, Lukrez, und dann nach langer Denkpause Montaigne, Goethe, Nietzsche und heute vielleicht Gadamer und Derrida und Alexander Kluge, um nur einige wenige zu nennen.

Fast klang ihre Botschaft aber wie das eines Rufers in der Wüste. Wer hörte sie denn?

Andere wussten sich da besser zu verkaufen. Aristotelisches Wortgeklimper. Entweder oder. Ist doch logisch oder? Was wahr ist, ist entweder so oder so. Und wer nicht hören will, muss eben fühlen.

Männertexte.

Und die Frauen?

Obwohl sie es besser wussten, schwiegen sie, denn die Männer dominierten nicht nur die Texte, sondern auch die Macht im öffentlichen wie im privaten Bereich. Lukrez kam auf den Index. Punkt. So geriet die hoffnungsvoll begonnene europäische Geschichte in eine fast endlos Gewaltspirale, in der die Männer einen Krieg nach dem anderen anzettelten. Gründe gibt es in einem schlichten Schwarz-Weiß-Modell immer genügend. Und der Fremde war dann auch immer der Feind, der getötet oder zumindest zu unterwerfen war. So auch der bescheidene Prediger aus Aramäa, der doch tatsächlich die peinliche Botschaft feil bot: Gewaltlosigkeit sei die natürlichste Weise menschlicher Existenz. Vor allem Frauen, Sklaven und Veteranen in den herunter gekommenen römischen Legionen fanden das gut und erzählten es weiter, schrieben es auf. Aber alte Männer rissen die Texte an sich und gründeten einen exklusiven Club mit klaren Regeln: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Kleine Könige wussten den Club und seine Regeln klug zu nutzen, um ihre Gewalt zu heiligen. Man schmiedete eine furchterregende Allianz aus Weihrauch, klaren Zeichen und fremd klingenden Ritualen. Und auch einen Gründungsmythos wussten diese Schwarz-Weiß-Männer listig nachzuliefern – schließlich musste Gewalt eine göttliche Tugend sein : Wie ein Gott gewaltsam eine Frau entführt, sie vergewaltigt und schwängert: Europa.

Je größer der Krieg, je blutiger die Schlachten, desto stolzer waren die Sieger – bis sie selbst im eigenen Blut versanken, meistens. So schrieb sich die unsägliche Geschichte der Gewalt in Europa fort; kleine Jungen mussten diese Geschichten auswendig lernen, bevor sie Teil derselben wurden – sei es als Gewinner, sei es als Verlierer.

Dann begannen sie, sich die Erde untertan zu machen, die Europäer, beuteten sie gewaltsam aus, brachen Weltkriege vom Zaun, bis die Männer auf eine noch gewaltigere Idee kamen, um sich und ihre Sippen unüberwindlich zu machen: Fortschritt, Wachstum und Konsum in einer Endlosschleife sei das Prinzip, das alle glücklich macht.

Männertexte.

Und die Frauen?

Wie leidenschaftliche Archäologinnen sollten sie den Mythos Europa noch einmal aus der eigenen europäischen Geschichte hervorgraben, um dann erstaunt feststellen zu könnnen: Die von den Männern erzählte Variante ist eine mutwillige Kopfgeburt, die wirkliche Europa wusste eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Vom natürlichen Dreischritt der Dinge in der Natur und unter den Menschen; Gewalt entblättert sich da nachhaltig als Schwäche, Irrweg und Kurzschluss.