26 Apr

Europa – Verraten und verkauft (Meditation # 39)

Warum die Schlange Kaa auf den Nachnamen Obama hört…

„Wollen wir nicht Freunde sein?“ Wir kennen doch alle diese atemberaubende Szene im Dschungelbuchfilm, in der Mogli – übel stranguliert von der Schlange Kaa – in die irrlichternden Augen dieses mächtigen Untiers blickt und nicht weiß, wie er da wieder rauskommen soll, denn sein letztes Stündchen scheint geschlagen zu haben. Die so unangenehm säuselnd heraus gezischelte Frage lässt dem Betrachter das Blut in den Adern gefrieren – so verlogen, so gemein, so hinterhältig ist der Kontext in dieser üblen Gewaltsituation.

So oder so ähnlich (natürlich heutzutage viel vornehmer und viel raffinierter noch als damals die Schlange Kaa) klingeln dem misstrauischen Europäer die Schmeicheleien Obamas im Ohr, die er wie bunte Perlen auf einer billigen Kette der Prinzessin Europa verführerisch um den Hals zu legen weiß. Und die weiß gar nicht erst, wie ihr geschieht. Läuft rot an, verhaspelt sich und lächelt bemüht, denn mit so viel Aufmerksamkeit und Entgegenkommen hatte sie wohl gar nicht gerechnet. Aber nicht nur die Schmeicheleien erinnern an diese Film-Schlange, nein auch die bedrohliche Strangulierung ließe sich leicht ins Bild fügen: Hat er nicht auch sorgenvoll gewarnt, dass nur eine Einheit á la USA den Unwägbarkeiten dieser Tage, die von Überfremdung, Gewalt, Rassismus und Fundamentalismus gekennzeichnet sei, erfolgreich werde Widerstand leisten können. Und nicht den Nachsatz dabei vergessen: Andernfalls drohe übelstes Ungemach, Zerfall, wenn nicht gar Schlimmeres. Also sollten sich die insularen Europäer genauso wie die auf dem Kontinent vertrauensvoll dem alten Freund – und er will es für immer sein, gelobt er voller triefendem Pathos – anvertrauen und gemeinsam mit ihm (denn nur so wären die Bedrohungen dieser Tage zu meistern!) eine solidarische und gewappnete Gemeinschaft sein, die nicht des schnöden Mammons oder anderer materieller Interessen wegen („hört, hört!“), sondern nur als Lichtgestalten und Weiterfechter der großen europäischen Ideen der Aufklärung und der Französischen/Amerikanischen Revolution den Kampf für Freiheit und Demokratie auf dem gesamten Globus gemeinsam weiter voran treiben können.

Natürlich kein Wort von TTIP, von den Unwägbarkeiten und denkbaren Strangulierungen europäischer Standards, die da durch quietschende Hintertüren herein geschmuggelt werden könnten.

„Wollen wir nicht Freunde sein?“

Wie sagt man doch gerne schmunzelnd in Europa genauso wie in Amerika?

„Beim Geld hört die Freundschaft auf!“

(Und strangulieren geht schon mal gar nicht!)

Dann könnte es tatsächlich eine nur gut einstudierte Schmeichelei eines Mannes sein, der die Schlange Kaa und ihr Überredungsprogramm gut und voller Pathos in seine Interessen zu übersetzen versteht. Was er allerdings wohlweislich unterschlägt, ist das Ende der Schlange, an dem ein Widersacher heftig zieht, so dass sie den zitternden Mogli schweren Herzens wieder freigeben muss.

Ende gut, alles gut – im Film wie im Leben?

Das hieße dann, dass die Europäer sehr wohl auf Distanz zum großen Bruder bleiben sollten. Dass der Freihandel eben nicht um jeden Preis erkauft werden sollte. Dass die Außen-Handelsbilanz mit dem großen Bruder doch so schon sehr aktiv und opulent ist und die Europäer vielleicht nicht nur auf Export setzen sollten, sondern die Binnenmärkte stärker in den Focus nähmen, um neue Investitionen, neue Absatzmärkte innerhalb Europas zu erschließen, um Jugendarbeitslosigkeit, Kriminalität, Drogenkonsum und Altersarmut besser in den Griff zu bekommen. Vor Ort.

(Könnte man auch dem neuen Präsidenten in sein Poesiealbum schreiben, wenn er gewählt sein wird)

Und wenn dem einen oder anderen dabei nostalgisch zumute sein sollte, kann er sich ja noch einmal die alte Fassung des „Dschungelbuchs“ reinziehen.

26 Apr

Europa – Mythos # 34

Gleichgültig schwebt die Sonnengöttin vorbei

Heftig schlägt Chandaraissas Herz in ihrer Brust. Trotzdem versucht sie würdevoll durch die Gassen zu gehen. Ihre Häscher haben sie in die Mitte genommen. In den Türen der Hütten stehen – noch kaum im erwachenden Sonnenlicht zu erkennen – finstere Gestalten, die sie beschimpfen. Woher wissen die, dass wir jetzt und hier entlang kommen würden, fragt sich die Hohepriesterin. Hinter sich hört sie ihre beiden jungen Gehilfinnen schluchzen und jammern. Sie sollten es so machen wie ich: Gönnt ihnen nicht die Schadenfreude, seid tapfer und stumm! Aber sie spürt, wie schwer es ihr selbst fällt, sich beim Wort zu nehmen und keine Angst zu zeigen. Denn die hat sie. Und was ist mit Europa? Ob sie auch? Sie kann den Gedanken gar nicht zu Ende denken.

„Böse Zauberin, Giftmischerin!“

so zischt es ihr in den leeren Gassen entgegen. Was geht da vor? Wer sind diese Männer, die mich da so gemein beleidigen? Wer steckt dahinter? Ich muss beten, den Beistand der großen Göttin erflehen, spricht sie mit sich selber. Die beiden Palastwächter grinsen sich gegenseitig zu, es entgeht ihr nicht. Dahinter muss ein Plan stecken. Aber welcher? Die wärmende Sonnengöttin steigt unterdessen höher und höher. Das Licht erhellt nun auch die Gassen. Jetzt könnte sie die Männer erkennen, die in den Türhöhlen lauern und zischeln. Aber da sind keine mehr. Vorbei. Die Stille hat sie wohl verschluckt. Selbst die Vögel scheinen zu schweigen. Nur eine Elster schaut von ihrem Ausguck oben auf einem der kleineren Türme des Palastes auf die eigenartige Gruppe herab. Mit schrägem Kopf und wippendem Schwanz beobachtet sie genau das Geschehen. Dann fliegt sie davon. Chandaraissa weiß nicht, ob das ein Vorzeichen ist. Schließlich ist die Elster ein Lieblingsvogel der großen Göttin. Und gleichgültig geht stolz die Sonnengöttin ihren hellen Pfad im endlosen Kuppelsaal des Äthers.

Dann der lange, düstere Gang durch den Palast zum Innenhof. Immer hält der Minos Gericht im Innenhof. Als sie jetzt aus dem Schatten ins Licht tritt, ist sie so geblendet, dass sie nur schemenhaft Archaikos auf seinem erhöhten Platz erkennen kann. An den Seiten seine alten Berater. Das muss alles von langer Hand vorbereitet worden sein. Und jetzt, als sich ihre Augen an das schmerzende Sonnenlicht halbwegs gewöhnt haben, sieht sie auch Europa. Mit niedergeschlagenen Augen steht sie da, rührt sich nicht, in einem einfachen grauen Gewand. Chandaraissas beide Wächter fassen sie unsanft an ihren Armen und führen sie auf die gegenüberliegende Seite von Europa, verbeugen sich vor dem stumm dasitzenden Minos und verschwinden wieder im dunklen Gang. Und hinter sich weiter das Schluchzen und Jammern von Sarsa und Belursi.

Schließlich klopft der Schreiber neben Archaikos mit seinem hölzernen Hammer auf den schweren Tisch des Richters und der Minos von Kreta beginnt mit seiner peinlichen Befragung. Gerade als er zu reden beginnen will, hallt aus dem tiefen Verlies inmitten des Palastgartens das Schnauben des Minotaurus herauf. Genussvoll und grinsend nehmen die alten Berater und Sardonius, der natürlich nicht fehlen darf, den tierischen Laut auf, schmunzeln, nicken, als wollten sie sagen: Der weiß wohl schon, was für ein Glückstag heute für ihn ist, sein hungriger Magen meldet sich lautstark zu Wort! Vergeblich versucht die Hohepriesterin mit Europa Blickkontakt aufzunehmen. Dann hört sie überlaut die Stimme von Archaikos im Innenhof hallen:

„Der Herr der Hofhaltung, Abgaben und Sicherheit möge die Anklage vortragen! Der Schreiber halte jedes Wort genau auf seiner Tafel fest!“

Anklage? Welche Anklage? Chandaraissa weiß, dass Sardonius nicht ihr Freund ist, aber was könnte vorgefallen sein, dass sie nun angeklagt wird? Schon das unerwartete Abendessen im kleinen Kreise an der Tafel des Minos zusammen mit Europa gestern Abend hatte sie misstrauisch gemacht.

„Und hört auf zu weinen, ihr beiden da hinten, ihr stört so die Gerichtsverhandlung – oder soll ich euch gleich dem Minotaurus zum Fraß vorwerfen?“

Ein Entsetzensschrei entfährt den beiden Priesterinnen, dann aber sind sie still. Rühren sich nicht, lautlos fließen ihnen die Tränen die Wangen herab, aber tapfer unterdrücken sie nun ihre Todesangst und ihre Angst um ihre Herrin, Chandaraissa.

24 Apr

Europa – Verraten und verkauft (Meditation # 38)

Wenn wir Europäer unsere Identität an der Garderobe abgeben…

Gut erzogen gibt man sich bei der Begrüßung die Hand, schaut sich in die Augen, lässt dem Gast den Vortritt und erkundet sich höflich nach dem Verlauf der Reise. Ob das nun in Portugal ist, in Dänemark, in Irland, Estland oder Luxemburg – solche kleinen Freundlichkeiten haben wir schon als kleine Kinder gelernt, den Erwachsenen abgeschaut, in den Filmen beobachten können; so verschieden es in den verschiedenen Sprachen auch klingen mag, die Botschaft ist doch immer die gleiche: Sei freundlich zum fremden Gast, sei hilfsbereit und zugewandt, dann wird das Treffen auch gut ablaufen können. Die Gespräche mögen schwierig sein, die Verständigung eines Dolmetschers bedürfen, dennoch werden beide Seiten immer das Gefühl haben können: Hier werde ich nicht über den Tisch gezogen, hier werde ich respektvoll behandelt, meine Andersartigkeit geachtet, meine Fremdheit sogar geschätzt. Und solche Gepflogenheit kursieren nun schon nicht nur Jahre und Jahrzehnte, nein, sie gibt es als alte Traditionen europäischer Zivilisiertheit schon so lange. Der Gast ist König. (Dass es einen ganz ähnlich lautenden Slogan mittlerweile gibt, den unsere guten Bekannten bei uns eingebürgert haben und geradezu Zwangscharakter anzunehmen beginnt, soll später kritisch eingeflochten werden)

Soweit das überkommene Modell landauf, landab in Europa.

In diesen Tagen nun treffen sich wieder so zwei Bekannte, diesmal mitten in Europa. Man begrüßt sich höflichst, kennt die Etikette, weiß um sensible Punkte, die man elegant umkurvt, spielt die Hymnen ab und gibt sich gastfreundlich wie noch nie. Auch der Gast zeigt sich von seiner besten Seite. Als ginge es um nichts als um einen Besuch unter guten Bekannten, ja fast Freunden. Dabei stehen handfeste Interessen auf dem Spiel. Die Stimmung ist vor allem eher sachlich. Bei Tisch tut man aber so, als meine man, was man sagt. Die Geschichte weiß allerdings eine andere Geschichte zu erzählen:

Der Übergang von der Kriegswirtschaft zur Friedenswirtschaft gelang dank einer rustikalen Doppelstrategie auf elegante Weise: Erneuter kleiner Krieg im Fernen Osten und Kredite, riesige im Westen. Die neue Devise, die man nachhaltig mitlieferte, lautete nun: Der Kunde ist König, beziehungsweise stetes Wachstum muss jedem gewissermaßen zur zweiten Natur werden. Und wenn man heutzutage durch die Filialen welcher Kette auch immer streunt, strahlen einem furchtbar hilfsbereite Menschen entgegen, die wie die Karotten, die auch nur als genormte in die erste Klasse Eingang finden, d.h. wenn sie glatt wie Kieselsteine, frisch im Aussehen wie abgeschminkte und geduschte Models und regelmäßig wie ein Algorithmus aussehen – alles andere wird ungesehen einfach eingestampft. So auch diese hilfsbereiten Menschen: Ihre Individualität, ihre Ecken und Kanten, ihre gute und schlechte Laune, ihre Stärken und ihre Schwächen sind systematisch so in Form von Selbstzensur zu verstecken oder sonst auszusortieren, dass sie der einen Norm entsprechen (um jeden Preis!): Der Kunde ist König. Dass hier allerdings ein grundlegendes Missverständnis in Sachen Individualität vorliegt, müsste im Grunde jedem halbwegs genauer hin Denkenden aufgefallen sein. Und Menschen zu Sortieren bloß nach ihrer Konformität widerspricht dem Leben und der Natur der Dinge vollkommen. Die damit einhergehende zunehmende Jugendarbeitslosigkeit und die nicht mehr wegzudiskutierende Drogenkonsumbereitschaft werden klein geredet oder als attraktive Zukunftsprojekte für Therapie-Strategien in akademischen Modulen durch dividiert, bis die Subventionen gestrichen werden müssen.

In solch einem auf Nivellierung wegen anzustrebender Maximierung der DAX-Werte ausgelegten Wirtschaftssystem finden sich allerdings derzeit viele Europäer nicht mehr wieder. Sie fragen sich, ob das die Lehren aus der europäischen Kulturgeschichte sein können, wenn bloßer Konsumismus und epidemische Gleichgültigkeit in Sachen öffentlichem Leben als Quintessenz der zukünftigen Gestaltung Europas angesehen werden. (Der homo politicus als Ammenmärchen antiker Geschichtenerzähler)

Sie fragen sich, ob da nicht etwas gründlich missverstanden wird.

Sie fragen sich, ob da nicht eine überschaubare Gruppe von Bürokraten den Begriff Europa nicht einfach leichtfertig ausgeliehen haben, um sich selbst und die Interessen von wenigen großen Playern zu bedienen.

Sie fragen sich, ob es nicht an der Zeit sein könnte, Verschüttetes, Vergessenes wiederzubeleben.