28 Jun

Europa – Verraten und verkauft ? (Meditation # 46)

Die da oben – losgelöst von denen da unten – im Leerlauf, auch nach dem Referendum

Nachdem sich wochenlang die beiden „Lager“ wie bei einem Gefecht gegenüber gestanden hatten, wobei auch dieses Bild schon eine gewaltsame Vereinfachung eines ziemlich komplizierten gesellschaftlichen Zusammenhangs ist, der eben gerade nicht einfach, eben gerade nicht schwarz und weiß und schon gar nicht richtig und falsch ist, ist nun nach dem „Sieg“ der einen und der „Niederlage“ der anderen (ungeklärt bleibt selbstverständlich, wer die einen und wer die anderen denn wirklich sind!) kein Erkenntniszuwachs zu bemerken. Hat jemand etwas gelernt dabei? Ist jemandem etwas klar geworden, was ihm bisher unklar war? Haben wir nun klare Verhältnisse? Nein.

Vielleicht wäre es hilfreich, sich kurz an einen kleinen Sinnspruch von RUMI zu erinnern, der es einfach auf den Punkt bringt:

„Es gibt einen Ort jenseits von richtig und falsch; dort treffen wir uns.“

Denn statt sich gegenseitig mit unpolitischer Stimmungsmache zu beschimpfen – die da oben sitzen auch diesen Knüller der Basis einfach aus und die da unten sind wie immer völlig unkontrolliert ihren Wutgefühlen zum Opfer gefallen – wäre es vielleicht ratsam, sich wirklich zu besinnen:

Was bewegt die Menschen, die so gewählt haben, wie sie gewählt haben?

Wovor fürchten sich die einen und was befürchten die anderen?

Was scheint ihnen denn in unserer Überflussgesellschaft zu fehlen?

Welches „Wir“-Gefühl wird denn sehnsüchtig gewünscht?

Das schnelle Geld, das schnelle Auto, das schnelle Argument, das schnelle Entertainment – all das scheint keine Antwort auf solche Fragen bereit zu stellen. Im Gegenteil: Die besorgten Fragen kommen direkt aus dem Herzen, in dem Glück und Unglück stündlich Wachwechsel zu halten scheinen. Gegen Zeit und Vergänglichkeit helfen weder Sonntagsreden der Politiker (welcher Couleur auch immer), noch einschmeichelnde Angstmasseure (welche Hilfe auch immer versprochen wird).

Es scheint in diesen Tagen geradezu tragisch, dass der Moment der Besinnung ungenutzt vertan wird, weil keine Seite der anderen die Zeit gönnt, einzuhalten, nachzudenken und den Mut aufzubringen, gewohnte Denkmuster auszusetzen:

Die EU ist keine Naturkategorie, Verträge können geschlossen und gelöst werden,

Europa ist keine Einheit, sondern eine Vielheit von verwandten Geschichten,

die in den verschiedenen Regionen völlig verschieden klingen und erzählt werden.

Was 1945 eine Not wendende Vision war, kann heute eine Fessel sein.

Wenn Wachstum solche Not in Europa erzeugt hat, dann kann daran so nicht festge-

halten werden!

Wenn die Finanzwelt in solchen Zeiten weiter auf ihren Bonis beharrt, dann kann das

Modell „EU“ den arbeitslosen Jugendlichen keine Perspektive mehr sein, dann müssen

sie zu neuen Ufern aufbrechen, wo Gerechtigkeit wieder das höchste Ideal ist, an dem

alle Entscheidungen zu messen sind. Von Fairness ganz zu schweigen.

So ändert sich auch jetzt die schlechte Stimmung nicht. Wie auch?! Besitzstände werden nun erst recht verteidigt, geistige genauso wie materielle. So kommt keine Bewegung in die festgefahrene Situation auf dem alten Kontinent Europa. Weder für die Griechen, noch für die Spanier, weder für die Iren noch für die Polen können die medialen Verlautbarungen der politischen Eliten etwas Gutes verheißen, stattdessen sollen alle betroffen auf die Bilanzkurven, Kursschwankungen und Währungswerte starren, als wenn von dort sinnvolle und vertrauensbildende Botschaften zu erwarten wären. Da ist der Rückzug auf die Familie, das eigene soziale Netzwerk nur zu verständlich und auch natürlich. Denn die virtuelle Vernetzung aller mit allen kann zwar nützlich, unterhaltsam und auch aufregend sein, bietet aber keine Sicherheit im Fühlen und Glauben an die Sinnhaftigkeit der eigenen kurzen Existenz auf diesem Planeten. Und pollitischen Großraum-Projekte locken nun kaum noch jemanden vor die Tür – so lange es vor der Tür öde und leer aussieht. Da schmiedet man doch lieber Pläne mit dem Nachbarn, wie man vielleicht gemeinsam Flutwellen aller Art gegensteuern könnte. Das ist dann überschaubar, realisierbar und änderbar. Solidarisch.

22 Jun

Europa – Verraten und verkauft ? (Meditation # 45)

Der erste Schritt der Europäer zurück zu sich selbst

Angst Machen gilt nicht! So lautet die fröhliche Devise der Befürworter eines Neubeginns im alten Europa. Das fast durchweg mit ökonomischen Negativ-Statistiken gespickte Warnprogramm der scheinbaren Gralshüter des europäischen Einheitsgedanken sollte den besonnenen Menschen hierzulande eher zu denken geben: Sind die Zahlenreihen, die da aufgefahren werden, nicht allesamt bloß Prognose-Ziffern einer Zukunft, die mutwillig als schon erkannt und durchschaut unterstellt wird? Und sind diese Zahlenreihen nicht ausschließlich solche auf das Wirtschaftsleben bezogene? Und da ausschließlich auf Gewinne der altbekannten Gewinner? Wachstum um jeden Preis – und weiter auf Kosten der Natur und der Gesundheit der Konsumenten? Fast könnte man meinen, die Marktschreier wollen nur ihre eigene Angst weg schreien – die Zeitgenossen könnten das üble Spiel endlich müde sein und wittern ihre Chance, aus diesem freudlosen Hamsterrad der Austeritätspolitik bei gleichzeitigen Gewinnen der nationalen Banken und Konzerne auszusteigen. Auch die Frage, ob es sich die Briten tatsächlich leisten können, die EU zu verlassen und so die gemeinsame europäische Tradition leichtfertig aufzukündigen, erweist sich bei näherem Hinschauen als missglückte Frage der Frager: Die Länder Europas sind alle eingebettet in eine lange und intensive gemeinsame Geschichte, die ihre Spuren überall unübersehbar hinterlassen hat. Gerade die selbstbewusste Abwahl der weiteren EU-Mitgliedschaft könnte sich so als besonders klare Hinwendung zur eigenen europäischen Geschichte und Kultur erweisen. Dann wäre das Angstgeschrei der EU-Leute nur Ausdruck des Neides, den sie empfinden, weil da jemand etwas tun will, das man sich selbst längst nicht mehr traut – sei es, weil man zu bequem geworden ist, sei es, weil man die eigene Identität leichtfertig an der Globalisierungsgarderobe längst abgegeben hat. Die Briten als Vorbild eines Europa-Verständnisses, das endlich die Türe öffnet zu einem gut nachbarlichen Miteinander – ohne bürokratische und fiskalische Bevormundung eines inhaltsleer drehenden „Geldregenmachersystems“, dem sich alle unterzuordnen haben! So gesehen könnte man dann die anstehende Wende als den glücklichen Übergang vom pubertierenden Europa (bisher bevormundet vom großen Bruder jenseits des Atlantiks) hin zu einem Kontinent von Staaten sehen, die alle erwachsen geworden sind und in ihrer Reife endlich auch selbstständige Entscheidungen zu treffen wissen. Da muss einem auch nicht bange vor einer Zukunft werden, die man sowieso nicht kennt!

16 Jun

Europa – Verraten und verkauft? (Meditation # 44)

                              Stille Wasser tiefe Gründe… oder

   wie vielen Deutschen der Glaube an sich selbst abhanden kam…

In gut recherchierten und engagierten Artikeln seriöser Tageszeitungen mehren sich die Sorgen, dass immer mehr Bürger dieses reichen Landes nach rechts wandern, stekum, still und leise. Sie gingen immer mehr auf Distanz zu den Fremden im Land und zu deren Glauben. Die Einschätzungen werden unterfüttert mit soliden Statistiken, Umfragen, Interviews und dem entsprechenden Bildmaterial.

Was allerdings fehlt, ist die gründliche Ursachen-Untersuchung: Warum verlassen klamm heimlich so viele Demokraten in Deutschland zur Zeit ihre politische Heimat? Wo kommen sie eigentlich her, wer meinen sie zur Zeit zu sein und wo geht es ihrer Meinung nach hin?

Erste Themenkreise, die vielleicht weiter helfen könnten bei der Beantwortung der Ursachen-Frage, hängen zusammen mit Stichwörtern wie

   Globalisierung,   NeoliberalismusAusteritätspolitik,   Altersvorsorge,   EU   und                mediale   Überversorgung.

Schaut man nun etwas genauer auf diese sechs Stichwörter, so fällt als erstes auf, dass sie tatsächlich einen gemeinsamen Nenner haben: Der einzelne alleine gegenüber den Vielen.

Früher konnte man sich eingebettet fühlen in die kleinen Gemeinschaften wie Familie, Sportverein, Berufsclique.

Die Globalisierung

atomisiert nun den einzelnen aus solchen Bindungen: Willst du erfolgreich sein, musst Du bereit sein, jederzeit an jedem Ort der Welt für Deine Firma einzuspringen. Familie ist dann nur noch zweite Priorität, wenn überhaupt. Als Single lässt sich solch ein Anspruch problemlos annehmen.

Der Neoliberalismus

veräußert Wasserwerke, Dienstleistungsbetriebe und Infrastruktur-Pflege an sogenannte Player aus Übersee. Man erhoffte sich damit einen schlankeren Kommunaletat und günstigere Preise. Weder das eine noch das andere war aber der Fall. Nur wusste der Bürger nicht mehr, wer dafür verantwortlich war. Er fühlt sich allein gelassen mit seiner Sorge, seiner Kritik und seinen Schulden.

Die Austeritätspolitik

ließ tariflich vereinbarte Arbeitsplätze verschwinden und durch prekäre Verhältnisse ersetzen. An der Oberfläche veränderte sich dadurch zwar die Arbeitslosenstatistik positiv, aber

die Altersvorsorge

wurde zu einer Rechenaufgabe, die man eher nicht machen wollte. An wen soll sich der besorgte Bürger da wenden? Wer ist verantwortlich zu machen, wer wüsste Abhilfe? Fehlanzeige auf ganzer Linie.

Und die EU

scheint zwar im Moment den deutschen Bürger ruhig schlafen lassen zu können, weil ja andere ihre Hausaufgaben erst einmal machen müssen, bevor man selber kürzer treten müsste. Aber auch hier schwant dem Zeitgenossen Schlimmes, denn bei einer derartigen Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft ist ein Ende der Fahnenstange einfach nicht mehr fern. Und dann? Was wird dann aus meinen Krediten, meinen Darlehen, meinen Schulden? Machen es da die Briten, die aus der EU austreten wollen nicht richtiger, in dem sie sich unabhängig machen wollen von anonymer Bevormundung?

Die mediale Überversorgung

wird in solchen Zeiten der Verunsicherung zum willkommenen Placebo, um sich wegzuträumen in virtuelle Welten, wo man einen Sieg an den anderen reihen kann, stundenlang. Und danach? Da geht der Bürger etwas benommen schlafen – leider nur sehr kurz – und hat das Siegergefühl längst verbraucht, das Grummeln in der Magengegend stimmt ihn eher düster und die Frage nach den Verursachern lässt ihn in üble Träume stürzen. Daraus erwacht weiß er auch gleich, wer schuld an all dem ist: Der nicht enden wollende Zuzug an Fremden, die so viel Geld verschlingen in der bürokratischen Auf- und Abarbeitung und Verwaltung, die wir Deutschen ja nun auch mal gründlich und effizient zu betreiben wissen. Eine Qualität, auf die man eigentlich stolz sein möchte, die aber zur Zeit an der völlig falschen Front verpulvert wird. Und dann haben die auch noch voller Stolz einen Glauben, der tagtäglich in den Medien im Zusammenhang mit Gewalt genannt wird. Wie soll das ein so verunsicherter Deutscher gelassen, ausgewogen und konstruktiv kommentieren und gutheißen können? Was ist also der gemeinsame Nenner: Nicht die Fremden und deren Glauben, sondern die eigenen Felle, die einfach wegzuschwimmen scheinen. Der Glaube an das Eigene diesem Fremden gegenüber hat sich nach und nach einfach verflüchtigt.