10 Jul

Europa – Verraten und verkauft? (Meditation # 47)

Europäer: Aufbrechen zu neuen Ufern!                         Das ist die Losung der Stunde.

Ist es nicht eigenartig? Vor der Abstimmung in England warf man sich vor, die Folgen eines Brexit zu unterschätzen. Man bemühte die Angst, um Wähler und Unschlüssige noch schnell ins altbewährte Boot zu holen. Die Gegenseite pries wortreich die kaum auszulotenden Vorteile eines Verbleibs, man beschwor gemeinsame Geschichte und Kultur. Aber nichts hat geholfen. Und die Welt ging doch nicht unter. Das ist jetzt schon wieder eine Weile her. Neue Themen dominieren die Medien, neue Probleme lassen neue und alte Ängste wieder erwachen. Da bleibt keine Zeit, in aller Ruhe und ernsthaft über das nachzudenken, was Wähler wohl mit ihrem überraschenden Votum eigentlich mitteilen wollten und was die Folgerungen daraus sein sollten. Stattdessen starrt man wie die Maus vor der Schlange auf die Schlangenkurve der Börsenkurse. Wen interessiert das eigentlich? Wie viele Bürger Europas haben denn Aktien in ihrem mageren Budget? Warum redet niemand mehr mit denen, die nach wie vor die Wohltaten der EU nicht so recht sehen können? Die Hektik duldet einfach kein Nach-Denken, könnte man meinen.

Dabei könnte man es auch d i e Gelegenheit für eine Grundsatzdebatte nennen, was im Moment durch die unvorhersehbaren Unberechenbarkeiten des Brexits an Veränderungen gemeinsam angegangen werden könnte. Die Gunst der Stunde – werden vielleicht einmal später rückblickend kritische Geister sagen – ließen die Europäer ungenutzt verstreichen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind mehr als siebzig Jahre vergangen. Die westeuropäische Vereinigungswelle von damals – es war nun wirklich nicht der reine Idealismus, der die verstörten Europäer damals so etwas wie Annäherung versuchen ließ, nein, es war auch die Ideologie des Kalten Krieges, die damals wortgewaltig aus der Taufe gehoben wurde. Angst war auch da der probate Ratgeber.

Und es funktionierte auch ganz ordentlich – mehrere Jahrzehnte lang zumindest.

Jetzt gibt es allerdings einen neuen ideologischen Januskopf – die Globalisierung. Mit ihr lässt sich freier Welthandel genauso gut verkaufen wie lukrative Rüstungsgeschäfte, Flüchtlingselend und Billiglohnländer.

Aber alter Wein aus neuen Bechern wird eben kein neuer Wein; der schale Geschmack, den die Verlierer des globalen Spiels nur zu deutlich empfinden, bleibt und kann nicht schön geredet werden.

Was könnte denn da die Gunst der Stunde sein?

Die Völker Europas sollten sich trauen, eine neue, zukunftsträchtige Identität zu diskutieren und zu projektieren. Jenseits von nationalistischen Ausschlusskonzepten. Die vielen fremden Menschen sollten als Chance gesehen werden, diese neue Identität gemeinsam zu entwickeln – ohne ein besser oder schlechter, ohne ein stärker oder schwächer, ohne ein richtig oder falsch, eben auf Augenhöhe aller Beteiligten, von wo auch immer sie gekommen sind und an was auch immer sie privat glauben wollen.

Was die Gunst der Stunde auch klar machen sollte?

Dass die traditionellen Muster der Nachkriegszeit keine Blaupause sein können für eine multikulturelle Zukunft in Europa. Weder in Frankreich, noch in England, noch in Spanien oder in Italien (um nur ein paar bekannte Kandidaten zu nennen) und auch nicht in Deutschland. Die ersten gemeinsamen Schritte werden nur gelingen, wenn keiner auftritt, als wüsste er, wie es in zwanzig, dreißig Jahren auszusehen habe in Europa. Viele runde Tische sind angesagt – auf allen Ebenen (sowohl inhaltlich wie auch formal) mit Hilfe einer Geschäftssprache und ohne die Anmaßungen einer wie auch immer gemeinten Leitkultur. Gelebte Demokratie der neuen Art wäre das dann!

Das Altbewährte erweist sich da in jedem Falle als Hemmschuh, als Leerlauf, ja sogar als Anmaßung. Und die traditionellen politischen Parteien sollten schleunigst ihre Litanei-Formate aussortieren, wenn sie nicht alle noch viel schmerzlicher abgemahnt und abgestraft werden wollen. Die Begabungen der jüngsten Jahrgänge müssen in einem optimistischen Modell sprachlicher Teilhabe gefördert und belohnt werden – in echter Chancengleichheit für alle, die guten Willens sind.

Was die Gunst der Stunde möglich machen könnte?

Ein produktives Dreieck zu bilden aus denen, die schon da sind und denen die dazu kommen und die gemeinsam aufgehoben werden in einem dritten gemeinsamen neuen Gemeinschaftsgebilde, an dem alle mitarbeiten und für das alle gleichermaßen wichtig sind.

Eine angstfreie und offene Losung für eine bessere Zukunft in Europa also!

05 Jul

Europa – Mythos # 39

Zeus scheint die Rache an Europa zu gelingen

Die jungen Priesterinnen, Sarsa und Belursi, hatten die Oberpriesterin erfolglos in den vielen Treppenhäusern und langen Gängen des Palastes gesucht. Niemand wollte ihnen weiter helfen. Dann hatten sie sich von den wunderbaren Wandbemalungen ablenken lassen und vergaßen, was sie eigentlich zu finden hofften.

„Schau, dieser Stier. Ist er nicht prächtig und mächtig, ist er nicht….?“

Belursi lacht los. Auch sie ist völlig hingerissen. Die großen Augen des kraftvollen Stiers scheinen sie zu verfolgen, als sie staunend an ihm vorbei gehen. Ganz dicht bewegen sie sich an der bunten Wand entlang. Auch sie durchfluten Lustgefühle. Sie tut aber so, als wäre es nur Sarsa, die an so etwas denkt, als habe sie die Freundin ertappt bei ihren lüsternen Phantasien.

„Sarsa! Bist du wahnsinnig? Wenn dich die Hohepriesterin jetzt gehört hätte!“

Sarsa aber schwärmt einfach weiter. Die Muskeln unter der Haut des wilden Tieres sind so deutlich zu erkennen, dass sie meint, sie bewegten sich gerade. Ihr wird fast schwindlig vor Hingabe an dieses Bild. Genüsslich streicht sie mit der Hand über die kühle Wand. Ihr ist heiß und kalt zugleich dabei. Da öffnet sich am Ende des Flurs, dicht vor ihnen, die Doppeltür. Sardonios, der Herr der Hofhaltung tritt heraus, hinter ihm erscheint auch gleich Chandaraissa und Europa. Die beiden jungen Priesterinnen halten den Atem an. Sie fühlen sich ertappt, werden rot, verneigen sich schnell, um ihre Gesichter zu verbergen.

„Folgt uns bitte in den Innenhof. Der Minos wird gleich das Urteil verkünden!“

Schnell atmend und sich verstohlene Blicke schickend kommen Sarsa und Belursi wieder hoch. Chandaraissa hatte im Vorbeigehen beide leicht an der Schulter berührt, ohne etwas zu sagen. Erleichtert folgen sie den dreien vor ihnen. Wenn sie wüssten, was sie im Innenhof des Palastes erwartet, wären sie sicher jetzt nicht so kichernd und prustend los gelaufen, hätten sich eher versteckt, wären geflohen vielleicht sogar. Flüsternd kommt Sarsa noch einmal auf den Stier zu sprechen:

Belursi, schau mich bitte gleich nicht an, wenn wir auf das Urteil warten. Ich muss sonst wieder los lachen. Du bist aber auch immer so direkt und unverblümt, ehrlich!“

Belursi würde gerne erwidern, sie hat auch schon eine witzige Antwort parat. Aber sie hält sie zurück. Später, denkt sie und stellt sich voller Vorfreude schon das Gelächter vor, das dann über sie beide herein brechen wird.

Dann geht alles so schnell, dass es ihnen vorkommt, als wären sie in einen schlimmen Traum geraten. Alle hatten sich erhoben, als der Minos herein schreitet. Er lächelt. Ein gutes Zeichen? Und die drei Elstern oben sind auch wieder da, als gäbe es auch etwas für sie zu gewinnen. Die alten Ratgeber wieder in Lauerstellung. Sie warten auf den nächsten Fehler des Minos. Die Schadenfreude ist ihnen schon ins Gesicht geschrieben. Nemetos und Thortys ängstlich, mit großen Augen und hechelnd wie geschlagene Hunde, so stehen sie da, als würde gleich die Doppelaxt auf sie nieder fahren, sie eiskalt enthaupten. Dabei sind sie doch nur zwei Zeugen. Sardonios spielt weiter den scheinbar Unangefochtenen. Chandaraissa und Europa, die beiden Angeklagten, fühlen sich bereits als entschuldigt. Die Elstern oben am Rand des Dachgartens legen die Köpfe schief, sie wollen nichts verpassen, auf keinen Fall. Dann holt Archaikos tief Luft, die er sehr vernehmlich durch die Nasenflügel einsaugt, und spricht dann so:

„Ich habe, wie angekündigt, im Tempel die Szene durch probiert. Die Zeugen müssen sehr gute Ohren haben, fürwahr. Dafür sollen sie belohnt werden. Wahrscheinlich haben sie sich aber verhört. Wir werden es nie heraus bekommen, nachträglich. Deshalb halte ich folgenden Spruch für gerecht und richtig – die Göttin hat mir im Tempel diesen klugen Ratschlag gegeben – und wir werden ihr in aller Ehrfurcht Folge leisten:

Die beiden Zeugen – Nemetos und Thortys – werden die beiden jungen Priesterinnen Sarsa und Belursi als Gattinnen nehmen, um so den Unfrieden, der zwischen mir und den beiden Angeklagten durch die schlimme Anschuldigung entstanden ist, für immer aus der Welt zu schaffen. “

05 Jul

Europa – Mythos # 38

Die Stunden vor dem folgenschweren Urteil des Minos von Kreta

Archaikos wendet sich zum Gehen. Sardonios starrt weiter vor sich hin. Seine beiden Zeugen – Nemetos und Thortys – wissen nicht, was sie tun sollen. Gehen? Bleiben? Den Herrn der Hofhaltung, Abgaben und Sicherheit halten sie für sehr launisch und unberechenbar. Nie weiß man, was zu tun ist. Alles kann todbringend sein. Hinterher weiß man es, dann ist es aber zu spät. Jetzt steht Archaikos neben seinem Stellvertreter. Der fährt hoch, verbeugt sich erschrocken. Sie flüstern. Sardonios nickt, wendet sich den beiden Angeklagten zu. Der Minos zieht sich zurück.

„Folgt mir bitte!“

Chandaraissa traut ihren Ohren nicht. Was hat das zu bedeuten? Auch Europa staunt. Kam diese Bitte wirklich von Sardonios? Wie in einen Traum verirrt wenden sich die beiden Frauen der Tür zu, die der Herr der Hofhaltung ihnen öffnet. Das ist nicht der Gang zu den Zellen der Gefangenen. Das ist der Weg in die Gemächer des obersten Herrn der Kreter. Ein Falle? Ihre Hände streifen sich kurz. Als tauschten sie gegenseitige innere Kräfte aus. Ihre Verwirrung nimmt zu, auch die innere Anspannung. Ob das ihre letzten Stunden sind, die sie noch zu leben haben? Ein bloßer Aufschub, um sie in falscher Sicherheit zu wiegen? Beide nehmen sie betend Zuflucht zur großen Göttin. Nur sie wird Rettung bringen können, nur sie.

Oben, an der Kante des Daches zum nun leeren Innenhof hin palavern die drei Elstern, als gäbe es das Urteil schon. Zeus, Hades und Poseidon finden die Pause völlig überflüssig. Kurzes Flügelflattern und Schwanzwedeln, dann fliegen sie hintereinander davon.

Unten – in den schattigen Gängen des Palastes – ist es auch still geworden. Der Minos hatte angeordnet, dass den beiden Frauen, Chandaraissa und Europa, kühles Quellwasser gereicht werden soll, dass sie sich auf bequemen Kissen im kleinen Gästesaal ausruhen können und nicht gestört werden dürfen. Die beiden verstehen diese Wende nicht. Aber sie genießen die Stille, das erfrischende Getränk und sich selbst.

„Das ist sicher die Folge des Eingreifens der Göttin. Oder was meinst du, Europa?“

Chandaraissa lacht endlich wieder, zärtlich streichelt sie Europas Hand, der Traum der letzten Tage scheint sie weiter verwöhnen zu wollen. Europa sieht es genauso wie ihre neue herrliche Freundin.

„Wer sonst? Übrigens, hast du auch die drei Elstern gesehen? Ich hatte das Gefühl, die schauen uns zu, als könnten sie verstehen, was da gerade vor sich geht. Komische Vögel. Ob sie Boten unserer Göttin sind? Oder waren sie nur zufällig da oben?“

„Ja, auch ich habe mir so meine Gedanken dazu gemacht.“

„Ich hatte solch eine große Angst um uns.“

„Kaum dass wir uns kennen, kann es doch einfach nicht schon zu Ende sein.“

„Zusammen werden wir bestimmt noch Wunderbares hier auf der Insel erreichen.“

„Bei so vielen Lauschern müssen wir nur sehr vorsichtig sein mit unseren Plänen.“

„Ich fühle mich so, als wäre ich endlich angekommen in meinem Leben, als wären die schlimmen Geschehnisse der Vergangenheit in meiner Heimat, mit meinem Vater und mit dem verlogenen Fremden nötig gewesen, um in deiner Nähe und mit dir neu geboren zu werden.“

Chandaraissa hat Tränen des Glücks in den Augen. Ihr Herz quillt über in leidenschaftlicher Zuneigung zu ihrer neuen Freundin, zu Europa, der jungen schwangeren Frau. Die drohende Gefahr dieses Morgens wendet sich gerade für beide in eine Glück versprechende Zukunft. Starke Gefühle bestärken sie jetzt wohlig und warm. Voller Zuversicht wollen sie nun das Urteil erwarten. Während dessen steht der Minos von Kreta im Tempel der Göttin an der Stelle, wo die beiden Zeugen durch einen Spalt zwischen Tempelraum und Vorbereitungskammer die Angeklagten belauscht haben wollen. Der hohe hehre Raum ist völlig leer, außer den Schwalben, die unter der Decke von Fenster zu Fenster fliegen und dabei ihre schrillen Stimmen hören lassen. Schmunzelnd wirft Archaikos einen Blick zu ihnen hinauf, dann begibt er sich in die kleine düstere Kammer, um von dort das Sprechen der beiden Wächter, die der mitgebracht hat, zu belauschen. Durch den Spalt kann er sie sehen, wie sie sprechen. Aber hören kann er kaum etwas. Das genügt ihm. Er atmet tief durch und weiß auch schon, was er für ein Urteil fällen wird. Zornig und schnell verlässt er den Tempel der Göttin.