16 Aug

Europa – Genug ist genug – (Meditation # 70)

Die langweilige Litanei der Werbetexter lautet unablässig und einschläfernd: Gewinn und Wachstum um jeden Preis:

„Holt euch mehr, holt euch mehr – mehr ist nicht genug!“

Wonach also streben: Nach größeren Mengen, größeren Zahlen, nicht nach wertvollen Inhalten, anspruchsvollen Werten. Schon die Tulpenhysterie (1637) und der anschließend folgerichtig hereinbrechende Ruin vieler Glücksritter hätte zu Beginn der Neuzeit dazu führen können, ein solches Streben als hohl, leer und ruinös zu erkennen. Aber was waren die Lehren, die man daraus zog: Man muss es einfach noch klüger, noch atemberaubender inszenieren, damit es ein noch größerer Erfolg werden kann. Der Manchester-Kapitalismus führte es menschenverachtend vor Augen: Erbärmliche Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen, die nichts als ihre Arbeitskraft hatten. Riesige Gewinne derer, denen die Bergwerke und Eisenhüttenbetriebe gehörten. Emile Zola hat es fotographisch abgebildet in seinem Roman „Germinal“. Sollte man wirklich mal wieder lesen.

Jede Generation größere Vermögen auf der einen Seite und erbärmlichere Lebensverhältnisse auf der anderen Seite. In den letzten Jahren – im Rahmen der sogenannten Globalisierung – starteten dann die besonders klugen Broker Wetten auf Kurse, die zu sich verselbständigenden Zuwächsen führten, die gar nichts mehr mit der arbeitenden Mehrheit der Menschen zu tun hatten. Auch die Folgen solch skrupelloser Zocker musste die „überraschte“ Gesellschaft bezahlen. Bekanntes Muster inzwischen: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. (Siehe Banken, siehe Energiekonzerne, siehe Automobilindustrien)

Am besten erst einmal Nebelkerzen werfen, auf irgendwelchen kleinen Insel im Ozean ungeduldig den Zorn der Öffentlichkeit aussitzen, dann wieder aus der Tiefe des Raumes kommend neue Spiele inszenieren: Wird schon wieder werden.

Aber der Rubikon ist wohl endgültig überschritten. Die Menschen wollen sich nicht länger am langen Arm vertrösten lassen, sie beginnen sich in überschaubaren Einheiten zu vernetzen, tauschen ihre Produkte aus, heben eigene kleine Währungen aus der Taufe, damit Gewinne nicht mehr nach Nirgendwo abgeschöpft werden können, und entwickeln ein naturverträgliches Energieversorgungsnetz, das schonend genutzt werden soll. Das Angstargument: Arbeitsplätze seien in Gefahr, wenn nicht weiter mehr verbraucht, schneller verbraucht und kostengünstiger produziert würde, ist verbraucht. Die Fratze des gierigen Gewinnstrebens dahinter ist längst entlarvt.

Und dem leerlaufenden Singsang vom „Holt euch mehr, holt euch mehr – mehr ist nicht genug!“ setzen selbstbewusste und lebensfrohe Menschen eine vernünftige bedarfsdeckende und selbstversorgerische Antwort entgegen. Warum sollen wir mehr verbrauchen, als wir brauchen? Warum sollen die Dinge nicht mehr geschätzt werden als langlebige, stabile Begleiter menschlichen Lebens? Nur dadurch, dass die alte Litanei wieder und wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird, wird sie doch nicht wahrer. Nein, sie wird hohler und hohler, billiger und billiger, nichtiger und nichtiger.

Die meisten Menschen sind es müde, Tag und Nacht berieselt zu werden von leerlaufenden Texten, die anstacheln sollen zu müde machendem Verbrauch dessen, was man gerade erst erworben hat. Was für ein Aufwand, solche Litaneien bunt, hektisch und natürlich witzig zu erfinden, was für eine Verschwendung von Phantasie und Begabungen! Das Leben ist einfach zu kurz und zu wertvoll, als es bloß mit gehorsamen Erfüllen dieser öden Litanei zu verbringen. Mehr und mehr vereinsamen die Menschen, weil sie ja gar nicht mehr das Haus verlassen müssen: Es wird ja alles, was man eigentlich gar nicht braucht, sofort geliefert – samt neuer Litanei. Schon die kleinen Kinder werden im Sinne dieses Musters konditioniert. Das ist das Schlimmste: Die Kinder sollen pausenlos die alte Litanei wie die Muttermilch in sich saugen, damit sie brave Erfüllungsgehilfen dieses Musters werden, das da einlullend vor sich hin brabbelt:

„Holt euch mehr, holt euch mehr – mehr ist nicht genug!“

Dabei ist es endlich genug. Es reicht. Fürwahr!

14 Aug

Europa – Mythos # 54

Die drei falschen Bettler – entlarvt.

Noch während Europa der lachenden Chandaraissa die schnell erfundene Geschichte erzählt, fällt es ihr selbst wie Blätter von den Augen: Die unheimliche Energie, die plötzlich durch ihren Körper geflossen war und sie ohnmächtig werden ließ, muss von den drei Männern hergekommen sein. Der Fremde aus der Höhle war ja auch dabei gewesen. Verkleidet als Bettler. Wer aber sind die beiden anderen? Jedenfalls keine Bettler, denkt sie. Niemals. Also ein heimtückischer Anschlag? Wollte er sich an ihr rächen? Und warum ist sie sich jetzt so sicher? Hat es mit dem schlaffen Stier zu tun? Und warum ist sie so ganz ohne Angst? Die Hohepriesterin nimmt sie –  immer noch lachend – in die Arme:

„Europa, wie kommst du auf diese Geschichte? Warum machst du so große Augen?“

Europa hält den Atem an: Gerade taumeln wilde Bildergeschichten durch ihren Kopf. Die Gier, mit der sie ihn in der Höhle zwischen ihren Schenkeln hielt, die Wonne, mit der sie Archaikos im Palast des Minos verführte, bis ihm schwindlig wurde unter ihr. Dazwischen die Fragen ihrer Freundin, die sich Sorgen macht. Dann glaubt sie auch von weitem die wohlwollende Stimme der großen Göttin zu hören. Wie in einem warmen Bad aalt sie sich in diesem Ton. Und so ganz ohne Angst geht ihr Atem dabei:

„Liebste Freundin, meine Phantasie beantwortet mir gerade mit Bilderrätseln meine Ungewissheiten. Wie war es für dich, die drei alten Männer hier im Tempel auftauchen zu sehen?“

„Für mich? Ich war eher sehr unwillig; es war eine Störung bei euren Tanzübungen. Es war mir, als starrten sie euch lüstern an, diese alten Bettler. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass ich meine jungen Priesterinnen, die so heiter lachten und tanzten, schützen müsste. Vor Bettlern?!“

Europa schaut Chandaraissa an. Als wenn sie zuhörte. Dabei kommt eine neue Bilderflut von irgendwoher und flutet ihren Kopf. Sie hört die Mutter rufen. Sie sieht den Vater toben und die Brüder hämisch lachen. In fahlem Licht, torkelnde Figuren. Als kämen sie zu Fall. Was ist nur los mit ihr? Dieser Fremde, er muss es in ihr ausgelöst haben. Er versucht sie zu stören, zu ängstigen. Aber da ist keine Angst. Die Bilder verlöschen wieder in ihr.

„Was hast du gesagt, Chandaraissa?“

Die Hohepriesterin schüttelt lachend den Kopf. Europa, was geht in dir vor? Wo bist du mit deinen Gedanken? Muss ich mir Sorgen machen? Sag es mir! Das liest Europa in ihren besorgten Augen.

„Etwas oder jemand scheint mir übel mitspielen zu wollen. Das ist das eine Gefühl, das mir eben kam.“

„Und das andere?“

„Das andere? Das ist groß und stark. Ich weiß nicht, wie es zu mir kommt. Aber es ist wunderbar, es wärmt mir die Haut und das Herz, es trägt mich mühelos.“

Da kommen die Priesterinnen hinzu. Sie hatten verlegen gewartet, was die beiden Frauen machen würden. Jetzt scheint ein Augenblick gekommen zu sein, der ihnen ein Näherkommen gestattet. Telaida soll die Fragen stellen.

10 Aug

Europa – Der Beginn einer neuen Geschichte – Meditation # 69

Europa – Meditation # 69 – Der Beginn einer neuen Geschichte, erzählt von Europäern

Wir Europäer leben seit Jahren in einer sogenannten Mediendemokratie, in der das Mantra lautet: Nach 1945 hätten die Europäer endlich verstanden, dass Krieg keine Option mehr ist, dass Frieden und Zusammenarbeit viel heilsamer seien. Und mit Hilfe der Freunde aus Übersee gelang dann auch ein Neubeginn, wie ihn Europa und die Welt noch nie gesehen hatten. Jetzt sei diese Entwicklung in eine bedenkliche Krise geraten – nicht nur ökonomisch, nein auch politisch, moralisch und kulturell – deshalb gölte es nun, sich zu besinnen, das begonnene EU-Modell zu reformieren. Und die Medien und das Internet werden nicht müde, dieses Mantra zu singen und zu sagen.

Währenddessen sind aber auch die Folgen dieser Nachkriegsentwicklung unübersehbar geworden: Klimaerwärmung, Menschen auf der Flucht, Bankenkrisen, Immobilienkrisen, Jugendarbeitslosigkeit, Rodung von Urwäldern für Tierfutterpflanzen, Kriege im Nahen und Fernen Osten, Treulosigkeit, Lügen, dass die Balken sich biegen – in den Konzernen genauso wie bei den Banken – und zu all dem noch eine Zunahme an Sinnverlust in Arbeit und Leben trotz Wohlstandsbergen und scheinbar stetig wachsendem Konsum. Und wegen des hohen Tempos der Veränderungen an der Oberfläche des kleinen Planeten und in der Atmosphäre, der Mülltütenströmungen in den sich langsam erwärmenden Meeren, beginnt die Angst ihr lukratives Geschäft mit den Menschen in Europa.

Mit Zinseszins und algorithmisch gesteuerten Wetten an den Weltbörsen schaffen die Wenigen für die Vielen existenzgefährdende Wirtschaftslagen. Und die politischen Parteien verkommen zu willkommenen Handlangern solch schlimmer Veränderungen. Sinkende Wahlbeteiligungen sprechen eine deutliche Sprache. Wir Europäer haben kein Vertrauen mehr in die verbrauchten Modelle der politischen Willensbildung und Repräsentation.

Solche und ähnlich gefährliche Gemengelagen werden zur Zeit in den Medien – ein Fest der Angstlust – bebildert, erzählt und kommentiert. Die Rückseite des Erfolgsmantras sozusagen. Der europäische Zeitgenosse soll sich bitte schön auf die alten Werte Europas besinnen!

Jenseits dieses Medien-Hypes kann man aber dieser Tage auch ganz andere Geschichten erzählt bekommen, in denen nicht von Angstmache und Molochen die Rede ist, sondern von lebensfrohen und mutigen Projekten (siehe der Dokumentarfilm: T O M O R R O W) kleiner Gruppen – jeweils so zwischen einhundert und zweihundert Menschen vielleicht – , die alle einfach so und ungefragt anfangen, neu nachzudenken, nicht alte Muster aufzupolieren, sondern die letzten 70 Jahre als eine schmerzliche Lehrzeit betrachten, in der die europäischen Staaten finanziell und geopolitisch bevormundet wurden vom großen Bruder, dem großherzigen, wie es schien. Dabei wurde Europa nur zur Plattform, auf der eine amerikanisch dominierte Nachkriegswirtschaft angekurbelt werden sollte. Die Nebenwirkungen dieses aggressiven Wirtschaftens schön ausgelagert nach Übersee in Gegenden, wo keine Luxusliner vor Anker gehen. Das gelang auch vordergründig sehr erfolgreich, die europäischen Juniorpartner konnte sogar mitprofitieren – fürs erste. Die derzeitige Führungsfigur des müde gewordenen westlichen Bündnisses verdeutlicht allerdings ungeschminkt, dass Profit die einzige Botschaft war und ist, die den sogenannten westlichen Freiheitsmythos beflügelte. Der Egoismus entpuppt sich endlich als das, was er ist: Ein menschenverachtendes Perpetuum Mobile.

Dem können wir Europäer uns solidarisch verweigern, in dem wir mit Gleichgesinnten und hilfsbereiten Nachbarn – auch über Landesgrenzen hinweg – das tun, was diesem geschundenen Planeten gut tut und den Menschen auch. Wir müssen nicht warten, bis in den Medien lauthals lamentiert wird, wo denn Zivilcourage und Besinnung auf das Wesentliche geblieben seien. Wir können einfach anfangen oder bei denen einsteigen, die bereits angefangen haben.