22 Sep

Europa – Wahlen im Leerlauf-Modus # 72

Als wenn Wahlen noch die Wahl ließen

oder

Wahlen im Leerlauf-Modus

Wenn am Sonntagabend, den 24. September 2017, die Wahllokale wieder geschlossen haben werden, beginnt unüberhörbares Stühlerücken im Parlament – so viel ist jetzt schon sicher. Wie einst in der Weimarer Republik werden auch in der neuen Republik, dem Kind der Alliierten, an den Rändern des Sitzungssaales der Lärm und die Häme zunehmen: Die Wahlbeteiligung wird lautstark bemüht werden – sie beweise doch nun hinlänglich die Verdrossenheit des Wählers und die Wahlergebnisse seien doch ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sich die Parteiendemokratie, das Vertretungsmodell, so Sinn entleert habe, dass der Bürger sich und seine Interessen darin nicht mehr hinreichend vertreten sehe.

Die Slogans der Parteien während des sogenannten Wahlkampfes, das sogenannte TV-Duell und die bunten Werbe-Filmchen, sowie die Life-Auftritte der sogenannten Spitzenkandidaten wirkten eher wie eine peinlich bemühte Vorabendschau im Fernsehen als wie eine ernst zu nehmende Ansage an den Gestaltungswillen engagierter Volksvertreter zugunsten des Volkes.

Als kämen vielerlei Zäsuren in diesen Tagen weltweit zusammen, als wäre es gerade jetzt an der Zeit, zu völlig neuen Ufern aufzubrechen – alte Strukturen weltweit scheinen sich endgültig verbraucht zu haben: Nach dem Ost-West-Konflikt, nach der Eine-Welt-Vision aus westlicher Sicht, nach dem Zerfasern der Bündnisse im Westen wie im Osten, nach dem EU-Theater, der Immobilien-, Banken-, Diesel- und Cum-Cum-Lügengeschichte ist die Glaubwürdigkeit der „Fachleute“ und „Profis“ nachhaltig zerbröselt.

Warum also jetzt noch weiter festhalten an solchen Strukturen und Verhältnissen?

Sie haben nicht gehalten, was sie versprachen. Selbst die vielen zweiten Chancen, die ihnen der Bürger – schon arg resignierend – gewährte, verstrichen ungenutzt und machten immer wieder nur noch deutlicher, dass der Wille und das Wohl des Volkes nicht wirklich im Mittelpunkt der gestressten Vertreter und Spezialisten stand.

So ist es an der Zeit zu ganz neuem Optimismus, der sich eben nicht mehr am Althergebrachten orientiert, sondern aus dem Füllhorn der vielen Alternativen schöpft und in kleineren, überschaubaren Runden besprochen und beschlossen werden sollte.

Die anonyme Menschenmasse reduziert sich doch immer wieder in kleine Gruppen, die sich kennen, die die gleiche Sprache sprechen, ähnliche Geschichten erzählen und ähnliche Ziele verfolgen. Ein wirklich funktionierendes Weltparlament kann nur gedacht werden als ein großes weltumspannendes Netzwerk kleiner, autonomer Gesellschaften, die natürlich solidarisch sind mit den zahlosen anderen Gruppen, mit denen sie sich selbstverständlich austauschen, die aber deshalb ihre eigenen Belangen nicht mehr abgeben wollen an Mega-Institutionen und Mega-Parlamente.

Was für ein spannender Moment in der Geschichte der Menschheit!

03 Sep

Lesprobe # 4 – Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück – Teil II /Blatt 70

 

In commendam anno sechshundertundzehn

Der Bischof hatte schlecht geschlafen. Üble Albträume ließen ihn erschreckt und schweißgebadet immer wieder aufwachen. Sol invictus wurde da geflüstert, sol invictus. Der launige König hatte ihn arg beschimpft, ausgelacht und von der Tafel gestoßen. Aus Bäumen tropften großäugige Winzlinge herab, die auf ihn angesetzt schienen. Gräßlich sahen die aus, mit überlangen nagellosen Fingern. Das Gegröhle seiner Gefolgsleute raubte ihm fast den Atem. Und als er jetzt immer noch hechelnd atmend auf seinem Lager hockt, packt ihn die Angst. Was hat dieser Traum zu bedeuten? Mit sol invictus hat er nichts zu schaffen, er hält zu seinem christlichen Gott. Wird der König miesen Einflüsterern folgen und ihn über die Klinge springen lassen? Muss er um sein Leben fürchten? Was sind das für Stimmen, da draußen? Wer schleicht da um sein Haus? Tief einatmen, dann zum Gegenschlag ausholen, das ist die Losung jetzt, raunt er sich zitternd zu. Er weiß genau, dass er niemandem hier in Lutetia trauen kann. Niemandem. Das muss ich sofort ändern, denkt er missmutig. Sofort. Nachlässig fährt er sich durchs wirre Haar, wirft sich den schmutzigen Umhang um, bindet seine Stiefel fest und bespritzt sich das schweißmüde Gesicht mit kaltem Wasser aus dem Trog neben dem umgefallenen Schemel. Wieso liegt der am Boden? Ein neuer Angstschauer sucht ihn heim. Dann schüttelt er zornig den Kopf. Wer bin ich denn? Wer kann mir denn das Wasser reichen? Niemand hier, nicht einmal der flatterhafte junge König. Und der unbesiegbare Sonnengott und seine heimlichen Anbeter sind doch längst erledigt. Oder etwa nicht? Die Mithrasleute machen ihm da noch mehr Sorgen. Hastig geht er den Berg Briefe durch, die sich auf dem Schreibpult stapeln. Wie sie ihn, Arnulf, Bischof von Dividorum, alle hofieren, ihm schmeicheln! Nur um seine Gunst zu erkaufen, nur um dem eigenen Weiterkommen zu dienen. Aber die sollen sich noch wundern, diese Speichellecker, diese hinterlistigen Lügner! Unwirsch wischt er die Blätter vom Pult. Das schafft ihm Erleichterung. Wahllos greift er ein Schreiben auf: Zwei seiner kleinen Landgüter nicht weit von Dividorum entfernt – geplündert, niedergebrannt. Sie betteln um Hilfe, die armen! Wie ein Blitz durchfährt ihn ein kühner Gedanken: Ich werde mir Geschöpfe schaffen, denen ich blind vertrauen kann. Ich werde sie mir kaufen – um einen Preis, den sie nicht ablehnen können. Ein breites Grinsen schleicht sich da über die Angstgrimasse hin und beschwichtigt den Angsthasen in ihm gründlich. Den Hof des unzuverlässigen Brodyn und den Hof des alten Karstain, ich werde sie in commendam an Pippin und an Withudsin geben. Die können sich nicht leiden, der windige und der lahme. Das ist das richtige Gespann für meinen Plan. Sie suchen meine Gunst, ich will sie ihnen gewähren. Arnulf würde sich am liebsten selbst auf die eigene Schulter klopfen, so unwiderstehlich gut findet er seine Idee. Da hat dieser Albtraum doch noch sein Gutes, murmelt er vor sich hin. Dabei stellt er sich schon mal die Gesichter der beiden vor, wenn er ihnen – heute noch, gleich – eröffnen wird, dass er den Hof von Brodyn und von Karstain in commendam an sie geben will. Wenn sie einverstanden sind. Es soll scheinbar ganz in ihrem eigenen Ermessen liegen, anzunehmen oder abzulehnen. Da bekommt er einen Lachanfall: Wie sie ihn blöd anglotzen werden, verlegen schlucken, von einem Bein auf das andere wechseln, Blicke untereinander wechseln, halb verschreckt, halb gierig, halb dümmlich ihn anstarren. Wie sie ihn dann stotternd fragen werden: „Äh, äh, was meint ihr denn mit IN COMMENDAM?“ Wie er genüsslich und scheinbar gönnerisch den beiden dann erklären wird, dass er ihnen die Güter treuhänderisch anvertrauen werde, fast so als wenn es ihre eigenen wären. Wie er breit grinsen wird und wie die beiden sich einfach nicht trauen werden noch weiter nachzufragen, was denn treuhänderisch meint.  Arnulf gönnt sich noch einen wohltuenden Lachanfall. Jetzt geht es ihm schon viel besser. Über Nacht erschafft er sich so zwei Paladine, zwei Geschöpfe, zwei Spione, die ihm unbedingt verpflichtet sein werden – was auch immer er von ihnen fordern wird. Schließlich haben sie über Nacht und eigentlich völlig unverdient in commendam ein Gut anvertraut bekommen. Großartig, denkt er. Einfach großartig. Im Kampf mit dem König verfüge ich so über zwei wertvolle Schatten, die mir bedingungslos dienen werden. Über sie werde ich immer wissen, was der König plant. Und da es zwei sind, kann ich auch immer sicher sein, dass ich tatsächlich erfahren werde, was sich wirklich zutrug beim König. Der eine wird es mir so sagen, der andere so – ich werde mir dann denken können, wie es wohl wirklich war. Mit Donnerstimme ruft er nach seinem Leibwächter: Er will die beiden Kandidaten auf der Baustelle für die neue Kirche des Heiligen Dionysius empfangen. Wo bleibt sein Pferd? Wo ist die Tasche mit Brot und Käse? Rasch, rasch, es ist höchste Eile angesagt! Schau nicht so blöd, schaff sie mir her – wenn die fahle Sonne im Mittag steht, will ich sie vor mir sehen bei St. Dionysius‘ neuem Tempel! Los!

In commendam – Arnulf kann nur noch lachen. So habe ich sie in der Hand – so lange es dauert, so lange mir danach ist!