25 Jun

Europa – Meditation # 101 Heimat-Text Nr. 18

Die schier unstillbare Sehnsucht nach H E I M A T

Das Karussell der Eitelkeiten und leerlaufenden Floskeln und Slogans dreht sich und dreht sich immer weiter. „Masterplan“ – war für ein abstraktes Wortmonstrum! Europaweit, weltweit Wortgeklingel nur. Gleichzeitig lässt sich der Zeitgenosse dieses Jahrmarktes gerne ablenken mit Ballspielen, Tempo, teuren Sachen, virtuellen Achterbahnfahrten und Opium. Das kostet natürlich – nicht nur Geld, sondern auch ungelebte Lebenszeit. Das rächt sich, denn die innere Stimme hört nicht auf zu maulen, will lebendiges Leben, will wirkliche Wirklichkeiten und keine Ersatzstoffe.

Als kleiner Ausweg bietet sich einem solchen Zeitgenossen die Sehnsucht nach heimatlichen Gefühlen an: bedingungslose Gemeinschaft zum Beispiel in vertrautem Rahmen, mit vertrauten Leuten. War es nicht die B-Jugend-Mannschaft, die nicht nur gegen Langeweile, sondern auch gegen Sinnlosigkeit half, weil man zusammen trainierte, zusammen zu Punktspielen los fuhr, gewann oder verlor – je nach dem – und so ein wirkliches Erlebnis an das andere reihen konnte. Und was war das doch für ein peinlicher Tanzkurs, mannoman! Jetzt darüber lachen tut so gut. Oder im Schachclub oder bei der Freiwilligen Feuerwehr…Das schafft ein gutes Identitätsgefühl und die Symbole dazu lieferte eine vertraute Umgebung von Freunden, Freundinnen und Gegnern.

Im Mitfiebern bei den Spielen der Nationalmannschaft scheint sich noch einmal dieses Gefühl zu wiederholen, wenn man mit Gleichgesinnten dabei ist. Im sogenannten Sommermärchen – es war aber eine wirklich erlebte Geschichte und kein Märchen, sondern nur fast märchenhaft wohltuend – verwischten sich sogar für solche Momente die sozialen Unterschiede; man duzte wildfremde Menschen und keiner war pikiert. Das erzeugte ein gutes Lebensgefühl – weil man gemeinsam dem Gegner auf die Verliererspur helfen wollte, Aggressionen hatten so ein solidarisierendes Ziel. Strahlende Gesichter, lachende Münder, freundliche Wortwechsel, Geflaxe. Möglichst in schnoddrigem Ton, im Tonfall des erlernten Dialektes und natürlich wahnsinnig kompetent!

Das nur als kleines Beispiel für die Kraft, aus der wir schöpfen, wenn wir optimistisch in die Welt blicken sollen/wollen.

Hinter Abstraktionen wie Nation, EU, UNO oder TTIP lässt sich kein Heimatgefühl finden. Das sind zu große, zu leere Begriffe. Dahinter verbirgt sich für den Zeitgenossen nichts, dem er sich anvertrauen möchte, überhaupt nichts. Höchstens als Bedrohung seiner Existenz nimmt er sie unbewusst wahr.

Aber die Sehnsucht nach diesem Heimatgefühl will weiter gestillt werden. Weder die Medien, noch die Parteien, weder die VIPS noch die Aktienkurse können da punkten.

22 Jun

Europa – Meditation # 100 Heimat-Text Nr. 17

Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen (Nietzsche)

Was aber hat dieses Nietzsche-Zitat und die ersten drei Beispiele denn mit dem Thema H E I M A T zu tun?

Ihre Abwesenheit – als wäre sie wie damals die weise Frau, die gekränkte, bei Dornröschen – ist das Hintergrundthema dieser Texte; die Heimat versucht nun aber im Untergrund oder durch die Hintertür weiter auf ihrem Recht zu bestehen; nun ist sie seit längerem gekränkt, weil sie scheinbar keine Rolle mehr zu spielen hat, weil wir ja alle zu Weltbürgern mutieren oder zumindest zu Europäern.

Wenn man also die Heimat personifiziert, ihre eine gekränkte Gefühlswelt andichtet, dann erklärt sich vielleicht auch, warum so viele ein Gefühl von Heimatlosigkeit haben, das ihnen zu schaffen macht und das sich verraten und verkauft vorkommt. Das macht wütend, blind für die eigentliche Verursacher. Und schon sind es die Fremden, die als Prügelknabe herhalten müssen.

Das Nietzsche-Zitat (vom Gleichsetzen des Nichtgleichen in der Welt der Begriffe) hilft auch hier im vierten Beispiel: Denn das Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir in der Fremde einen vertrauten Ton in der Sprache hören, der uns an früher erinnert, oder wenn wir mit jemanden schnodderisch über die da oben lästern oder wenn wir einen Geruch oder einen Geschmack wieder erkennen aus Kindertagen, dieses Gefühl trifft uns immer mitten ins Herz: Heimat.

4. Beispiel: Die kleinen Giganten Plastik und Diesel

Plastik und Diesel, die zänkischen Geschwister und Giganten der Gegenwart lassen sich als Sach-Begriffe leicht bennen, wiewohl aber auch hier jeder etwas anderes mitschwingen lassen wird, wenn davon die Rede ist. Denn gleich hagelt es Pros und Contras zuhauf; unsere Bequemlichkeit hat sich diese beiden ehemals kleinen Geschwister zu nützlichen Handlangern gemacht. Nun scheinen sie aber – wie von Zauberhand und außer Kontrolle – vom Handlanger zum Unhold mutiert zu sein. Bisher konnte Prinzessin Europa die Hände ein Stück weit in Unschuld waschen, denn das meiste Plastik schwimmt doch irgendwo vor Thailand und Bangladesch und so…

Aber auch wir haben leider das Zauberwort vergessen, damit sie wieder werden, was sie gewesen, die großen Giganten zu Wasser und zu Lande: Einfach nur kleine nützliche Hilfestellungen im modernen Alltag. Nach und nach beschleicht den Zeitgenossen ein bleierndes Gefühl von Hilflosigkeit, von Resignation: Zu groß scheinen die Probleme geworden zu sein und wie ein Bumerang kommen sie nun zum alten Europa zurück. Und die eigene Heimat. Oft entvölkert, platt gemacht, entstellt von riesigen Lagerhallen und mit Arbeitskräften, die den eigenen verlorenen Arbeitsplatz unter Wert erhalten haben. Nur noch in der Phantasie lässt sich da die vertraute Umgebung wiederherstellen, nur in der Phantasie sitzt man am Tresen mit den Kumpels, fachsimpelt über Fußball und geht am Bach in aller Ruhe zum Angeln. Aber schon kommen die unerbittlichen Analytiker und trampeln alles als peinliche romantische Schwärmerei nieder oder gar als Gesinnung, die an schlimme Zeiten erinnern würde.

21 Jun

Europa – Meditation # 99 Heimat-Text Nr. 16

Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen (Nietzsche)

Fall- Beispiel Nr. 3

Im nächsten Beispiel weiten wir ein Stück weit die Perspektive und tun so – und das nicht nur in den Begriffen, sondern auch im Phantasieren – als gäbe es außerhalb unseres Horizontes in der Atmosphäre einen Punkt, von wo aus wir das Weltgeschehen (auch so ein Ehrfurcht heischender Begriff!) als scheinbar neutraler Betrachter – eben sine ira et studio – (in Latein wirken Zorn und Eifern einfach viel unschuldiger und sachlicher) uns anschauen können. Und was werden wir da sehen wollen? Genau. Zwei kleine Giganten, so groß wie in Gullivers Reise, die mit Hilfe der Medien hin und her zu schwanken scheinen zwischen Dick und Doof und Kimm und Donn, aber immer auch so, dass es ordentlich menschelt, damit sie uns nicht allzu fremd werden. Zänkisch, eitel, aufbrausend, totale Unterwerfung der Gefolgsleute fordernd und schön unberechenbar. Das ist aufregend und anregend zugleich, also gute Unterhaltung – global gesehen sozusagen – aber leider ist der leichtfertige Tonfall gar nicht angebracht, denn schließlich hängt ja alles mit allem zusammen, also sind wir nicht nur scheinbar über den Dingen stehend, sondern gleichzeitig auch voll mittendrin, auch mit den unabsehbaren möglichen Folgen.

3. Beispiel: die Weltbühne

Globalisierung und globale Vernetzung sind inzwischen Begriffe, mit denen wir umgehen wie mit Salz und Butter, Brot und Wein. Die Welt scheinbar geschrumpft zu einem überschaubaren Dorf, in dem wir uns jederzeit mit jedem zu jedem Thema verständigen können. So das Bild, so die Phantasie. Aber in Wirklichkeit?  Wenn sich Kimm und Donn in Singapur treffen, können wir zeitgleich dabei sein und Karossen mit getönten Scheiben bestaunen, junge Leibwächter, die gemächlich nebenher trotten, wie deutsche Schäferhunde und uns wundern, wie es gekommen ist, dass die beiden kleinen Giganten, die sich eben noch schmähten und dem anderen den Tod wünschten, nun freundlichst Hände schütteln und gemeinsame Erklärungen unterzeichnen. Wie das?  Die Nähe, die wir mit Hilfe unsere Technik herbeizuzaubern wissen, hilft uns, das Fremde, Andere als das gar nicht so Fremde, Andere zu glauben. So lange es dauert. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass es um beinharte Interessen geht. Der eine möchte gern seinem Land mehr Waren und Geld ins Land spülen, der andere möchte gern den Friedensnobelpreis gewinnen. Um welchen Preis aber? Wie weit werden sie ihre Eitelkeiten auf Kosten ihrer Völker treiben können/dürfen? Und wieder machen wir uns Bilder, als wäre das Gesehene und Gehörte das, was es vorgibt. Wenn dem aber nicht so wäre? Schnell fänden wir die Schuldigen, die dafür zur Verantwortung gezogen werden müssen: Die Medien, die uns „falsch“ informiert haben, die Defaitisten, die dem eigenen Volk in den Rücken fielen. Unsere Phantasie mit ihrem reichen Bildervorrat zeigt uns sonnenklar die Wahrheiten dazu. Apropos Sonne.

Gerade heute ist SommerSonnenWende. Und die Priester der Sonne sind natürlich vor Ort und umwandern raunend den altehrwürdigen Steinkreis, und eben auch zeitgleich mit dem sogenannten globalen Geschehen, die empfindsamen Anbeter folgen ihnen gerne und voller Zuversicht: Sie reden zu uns, die Steine, man muss sie nur hören wollen. Seit so vielen Jahrtausenden schon. Ergriffen lassen sie sich vom aufgehenden Sonnenlicht blenden und sehen plötzlich nie Gesehenes. Alte Rituale, alte Gewissheiten, die immer wieder neu erzählt werden. Und unsere kleinen Giganten fühlen sich sowieso auf der Sonnenseite der Geschicke und des Glücks, als wären sie Boten alter Botschaften, die die schnelllebige Gegenwart nur leichtfertig vergessen habe. So einfach ist das mit den Bildern, den Gewissheiten und der Wahrheit der Wirklichkeit, meinen Kimm und Donn.