19 Jun

Europa – Meditation # 98 Heimat-Text Nr. 15

Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen (Nietzsche)

Fall-Beispiel Nr. 2

Beim nächsten Beispiel läuft unsere Phantasie so richtig auf Form auf. Denn wenn es um Sport geht, weiß jeder voll Bescheid. Ist doch klar. Und in Sachen Fußball-WM sind wir von den Medien ja entsprechend vorbereitet worden – in langweiligen Fachsimplerrunden, in geschönten Zeitlupenkontern, in Vergangenheitssiegesendlosschleifen und in zu Herzen gehenden Heimatserien, in denen wir die Spieler, den Trainer und wen sonst noch zuhause am Herd sitzen sehen, wie sie ihre Haustiere herzen, ihre Frauen Essen servieren lassen und die Kinder mit dem Ball jonglieren dürfen. So schön, unsere Giganten im Privaten! Als wären es unsere Nachbarn, glaubten an die gleichen Götter und hätten die gleichen Vorlieben wie wir. (Das viele Geld wollen wir ihnen ruhig gönnen – oder vielleicht auch nicht, wenn die Leistung nicht stimmt, oder?) Da ist unsere Phantasie voll auf der Sonnenseite der Gewissheiten von Kraft, Schnelligkeit, Geschmeidigkeit und von Sieg und von Verwandtschaft. Was uns dabei mitunter entgeht, ist die gebührende Nachdenklichkeit, dass unsere Bilder und Vorhersagen wie ein buntes kleines Kartenhaus nur sehr wenig mit dem gemein haben, was man so gemeinhin Wirklichkeit oder Wahrheit nennt. Ein bequemes Kartenhaus, eben, nicht mehr und nicht weniger. Und was waren Giganten noch einmal in der griechischen Mythologie? Später. Später. Jetzt ist echt keine Zeit für solche Besserwisserfragen, echt.

2. Beispiel: die sportliche Bühne

(man beobachte sich kurz selber, wie automatisch und sofort die schönsten Gewissheiten über die nächste Welt-Meisterschaft in unserem Kopf in niedlichen Purzelbäumen sich ein Stelldichein geben!)

…die nächsten beiden kleinen Giganten (nur böse Zungen würden hier zum Begriff des Gockels oder der Ziege greifen) nennen wir einfach einmal Leo und Chrissie. Die Medien sind ganz nah dran an ihnen, an ihren allzu menschlichen Eitelkeiten und Vergehen, so dass wir uns wieder wie zuhause fühlen. Könnten unsere Nachbarn sein. Und wenn sich die Hochleistungskamera langsam an sie heran zoomt, wird uns ordentlich warm ums Herz. Natürlich soll jeder Begriff, der von den Medien im Zusammenhang dieser beiden gigantischen Buben benutzt werden, ein Stück weit uns als Lesern oder Zuschauern die ehrliche Möglichkeit geben, hinter die Kulissen dieses Stückes schauen zu können, um noch mehr Nähe zu schaffen, noch mehr Wahrhaftigkeit, noch mehr Autentizität. ( Und wieder torkeln Begriffe, Bilder, Meinungen, Sehnsüchte im geschlossenen System unserer Phantasie auf und werden unablässig in wohltuenden Dosen weiter eingespeist, die uns angenehm aufregen, begeistern und uns ganz sicher machen, dass wir in unserem Nachdenken nichts anderes tun, als die Wirklichkeit fast 1:1 abzubilden. Wenn da nicht der Satz im Wege stünde, dass jeder Begriff durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen entsteht. Und damit pure Einbildung geschimpft werden könnte. Aber bei so viel Begeisterung und soviel Ablenkung wollen wir doch keine Spielverderber sein. Oder?

(Fortsetzung in Kürze)

19 Jun

Europa – Meditation # 97 Heimat-Text Nr. 14

Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen (Nietzsche)  – Fall-Beispiel Nr. 1

Schon immer beherrscht unsere Phantasie unser Denken, Sprechen und Schlussfolgern. Schon immer. Aber unsere Phantasie ist ein Tollhaus an Farben, Formen und Vergleichen. Dieses Chaos – das damit auch dem großen Chaos verwandt bleibt – gilt es zu bändigen.

Das schafft der Mensch mit Hilfe von Begriffen und deren Verknüpfungen. Schon immer. Wir nennen es dann wirkliche Wirklichkeiten, Wahrheiten, Sicherheiten für uns und die Welt. Wobei Welt schon so ein großer Begriff wäre, der brav etwas unterstellt, das so gar nicht existiert – außer in unserer Vorstellung: Die Welt als Wille und Vorstellung. Alle drei Begriffe dieses griffigen Slogans aus der Philosophie des 19. Jahrhunderts sind aber nur Versprechungen, die sie nicht halten können, weil sie immer etwas gleichsetzen, was dem eben nicht gleich ist; also eine mutwilliger Ineinssetzung, damit uns das Chaos scheinbar als durchschaubar, erklärbar, beherrschbar erscheint.

Angewandt – probehalber – auf die Gegenwart (was ist eigentlich Gegenwart?), die anhand von fünf Beispielpaaren beleuchtet werden soll, könnte das dann so aussehen: aus dem Repertoire der kleinen Giganten

1. Beispiel: die politische Bühne

(man beachte das praktische Bild, das die Wörter in unserer Phantasie dazu gleich herbeischleppen! GIGANTEN!) die ersten beiden kleinen Giganten nennen wir einmal Angela und Horst, einfach so. Die Medien, die ja wegen dem Trumpeltheater eigentlich bei einem anderen Stück zuschauen müsssten (da ist wohl gerade die Pause?), sind abgelenkt mit Ball-Spielereien im großen Russland und können deshalb nicht so genau hinschauen, was gerade der Horst und die Angela für ein Stückchen spielen. Aber en passent bestücken sie dennoch deren Spiel mit probatem Futter: Die Flüchtlinge liegen den beiden gnadenlos am Herzen, sagen sie, so an der Oberfläche der Wortspiele nicht zu übersehen. Doch subkutan – oder als Subtext – sollen dem Leser/Zuschauer natürlich ganz andere Bilder in der Phantasie entstehen. Bilder von Machtkampf, von Engstirnigkeit, von Mann-Frau-Gefecht im Gender-Krieg, von Buhlen um die Gunst der Wählerschaft (was für ein Berg an Begriffen, die alle wieder etwas gleichsetzen, was nicht gleich ist, aber so scheinen soll, damit wir halbwegs als homo sapiens (was für ein schönes Begriffswunschbild!) nicht die Übersicht verlieren. Übersicht? Was für ein Hochmut! Aber die Medien schwelgen weiter in diesem Begriffswald, als wäre es ein Forst, der nach den Mustern der Pflanzer genauso wächst, wie sie es wollen! (Fortsetzung in Kürze!)

15 Jun

Europa – Meditation # 96 Heimat-Text Nr. 13

Nebelkerzen im Zehnerpack! Juchhu!

Da wir ja von Anglizismen nicht genug bekommen können, wir beflissenen Schnell-Lerner, ist auch fake news längst in unser eigenes Lexikon dick unterstrichen eingeordnet.

Da wird – hokuspokus – eine neue Wahrheitsebene aus der Taufe gehoben, die vielleicht noch in der analogen Welt als Lüge bezeichnet werden könnte, nicht aber in der Wolke: Da erweist sie sich als absoluter Dauer-Joker.

Donald Duck macht es vor, und schon schallt des Echo aus dem Alpenvorland zurück: Obergrenze, Obergrenze! Ankerzentren, Ankerzentren! Heimatmuserum, Heimatmuseum!

Ach, so vertraute Silben, als wären wir zuhaus! Heimatgefühle kommen auf.

Zuhaus in unserem eigenen Gedächtnis, das bei soviel guten Assoziationen kaum vor Wohlfühlen weiß, wohin mit dem guten Lebensgefühl, bekommen diese drei Begriffe gleich einen Ehrenplatz im Wahrheitstempel unserer Wertewelt.

Wie sagte doch neulich Friedrich Nietzsche so treffend in seinem Text: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (1873) ?

„Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Ungleichen.“

Angewandt auf Obergrenze, Ankerzentren und Heimatministerium gehen da gleich alle Alarmlampen an:

Denn hinter der Nebelwand von solchen Begriffen verbirgt sich nichts anderes als Niedertracht, Häme, Machtgier und Angstmache. Vor der Wand aber – wie in weichen Farben gemalt – scheint es um ernsthaftes Bemühen zu gehen, dem deutschen Zeitgenossen endlich ein Ende der Flüchtlingsthematik versprechen zu können, weil die Grenzen endlich dicht gemacht werden und die hier Ausharrenden endlich eingesammelt werden in überschaubaren Barracken. Dann erledigt sich die Zahl der Obergrenze sowieso wie von selbst. Gebetsmühlenartig zu wiederholen erhöht es selbstredend den Wahrheitsgehalt des Gesagten. Die erfolgreich angewandte fake-news-Methode, made in Bavaria.

Das klappt blendend dieser Tage, weil das Interesse der meisten sowieso in Russland unterwegs ist; auf der hohen Nebelwand erscheinen die vertrauten Bilder von Männern, die einem Ball hinterher laufen, und von vielen Menschen, die ihnen dabei unentwegt und voller Begeisterung zuschauen.

Dass sich hinter dieser Nebelwand allerdings bierernst machtgeile Männlein in Stellung bringen – notfalls auch zum Meucheln – ist so schön aus dem Blick gezaubert. Fein. Gute Arbeit!