31 Aug

Europa – Meditation # 159

Kleiner Nachtrag zum letzten Text   (#158)

Klar,  j e d e r  kennt „natürlich“ den Artikel 23 im GG von 1949, klar. Aber eigentlich ging es jedoch um die nicht genutzte Chance von Artikel 146 im GG von 1949.

In einem Text aus dem Jahr 1999 fast das Wolfgang Ullmann so zusammen:

„…noch viel wichtiger war uns der Artikel 146, der eben für diesen

Moment der Geschichte, wo alle Deutschen die Möglichkeit hatten,

gemeinsam zu handeln, einen verfassungsgebenden Akt vorsah….

Von der damaligen Diskussion ist nicht allzu viel übrig geblieben in der Verfassung des Vereinten Deutschland. Alle Bestrebungen, wenigstens einzelne Elemente unterzubringen, waren letztlich vergeblich.“

Nun ist der wehmütige Blick zurück – oh, da haben wir wohl eine riesige Chance verpasst – ja wohltuend im rührigen Topf des Selbstmitleids, aber das wäre nur ein weiteres Bausteinchen im Narrativ „Stellt euch nicht so an, schaut lieber auf das, was wir geschafft haben“ oder so ähnlich. Da dreht das Miss-Verstehen-Wollen doch nur auf der Stelle. Not tut aber das Verstehen-Wollen des anderen, der andere Bilder für die gleiche Geschichte in seinem historischen Gedächtnis gespeichert hat.

So ist es übrigens überall in Europa, wo Menschen um das „richtige“ Bild ihrer regionalen Geschichten ringen – ganz gleich, ob in Irland, im Baskenland, in der Bretagne, im ehemaligen Sudetenland, in Sizilien, auf Korsika, im Kosovo, in Schottland oder bei den Jurassen, um nur einige zu nennen , von den Friesen und den Bayern ganz zu schweigen. Und schon kommen auch die Rheinländer angerannt…

Jetzt wäre ein wirklich günstiger Zeitpunkt mitten in Europa: Abschied zu nehmen von vertrauten Schuldzuweisungen, innezuhalten und zu sagen:

Jetzt können wir auf Augenhöhe und aus der Distanz von dreißig Jahren endlich mal Klartext reden, uns an einen großen runden Tisch setzen und dem hastig zusammengeflickten Neuland endlich eine gemeinsam erarbeitete Verfasung geben.“

Da fließen dann – sine ira et studio – alle Erfahrungen ein, die die Deutschen in der Zwischenzeit miteinander gemacht haben; die brauchbaren und die schädlichen genauso wie die unnützen oder nützlichen.

Wie wäre das denn?

Artikel 146 im Jahre 2019 wiederbeleben – also 30 Jahre nach dem Mauerfall – erstmals gemeinsam ernst nehmen und kreativ für eine gemeinsame Zukunft umsetzen?

Das könnte dann für ganz Europa eine neue Brücke sein, über die gerne die Europäer gemeinsam gehen könnten. Ohne Vorbehalte und Ängste und öde Besserwisserei.

Die Clowns an der Themse und am Potomac zeigen doch allzu deutlich, wohin Hass, Häme und übertriebene Eigenliebe führen.

30 Aug

Europa – Meditation # 158

Ach ja – die guten Demokraten in Europa!

Man ist entsetzt, empört, wähnt gar die Demokratie am Abgrund, weil der britische Premier von verfassungsmäßigen Möglichkeiten Gebrauch macht, die den Gegnern natürlich nicht gefallen. Aber muss man dann gleich in Worttiraden verfallen, die zwar heroisch klingen – wir verteidigen die Demokratie gegen das Böse – aber kaum in der Sache BREXIT weiterhelfen werden?

Auch hier in Mitteleuropa stimmt man mit ein in den Chor der „Demokratie-Hüter“. Wieder wird also mit dem Mittel der Angst gearbeitet, begibt sich im Grunde damit aber auf genau die Ebene, die der politische Gegner so eiskalt bedient: Möglichst in Dauerschleife das eigene Tun preisen als letzte und damit radikale Lösung in einem Chaos, wo auf der anderen Seite bloß Versager oder Seilschaftsbrüderschaften das Sagen haben. Wenn ER jetzt nicht unerbittlich und radikal die „Sache“ durchficht, geht der günstige historische Augenblick ungenutzt vorüber und Wirtschaft und Gesellschaft versinken in Korruption und Niedergang. Gremien und Repräsentanten spielen in solch einer Notsituation einfach keine Hauptrolle mehr, sie müssen pausieren. So einfach ist das, sagt ER. Letztlich dient ER damit sogar dem Volk mehr als die gewählten Vertreter im Parlament. Es ist jetzt die Stunde der Exekutive. Punkt. Und die Zeit drängt, sagt ER!

Auch hier in Mitteleuropa gab es vor gar nicht so langer Zeit einen Konflikt, in dem die selbsternannten „Demokratiehüter“ aus Zeitnot heraus den verfassungsmäßigen Gremien einfach keine Zeit für lange Grundsatzdebatten lassen durften, weil Gefahr im Verzuge war, sagten SIE. Die Wiedervereinigung müsse schnell über die Bühne gehen, man dürfe den günstigen historischen Augenblick nicht ungenutzt verstreichen lassen. Und schon griff man zum Artikel 23 GG und zog die „Wir sind das Volk“-Bewegung über den Tisch des parlamentarischen Hauses.

Aus heutiger Sicht zeigt sich nur zu deutlich, dass diese überhastete Übernahme zu langfristigen Kollateralschäden führte, die immer noch fort wirken. Und die damals über den Tisch gezogen wurden, können heute nur zynisch lächeln, wenn sie die gleichen Leute heute gegen Boris Johnson zu Felde ziehen sehen: Parlament und Verfassung müssen geschützt werden gegen diesen Machtmenschen.

Sie haben zwar recht, aber sie sind Pharisäer, die besser vor der eigenen Tür kehren sollten, als die Vorgänge auf der Insel zu ihren eigenen zu machen.

Oder?

Denn hier in Mitteleuropa eiert die Frage, warum die Wiedervereinigung einfach nicht gelingen will, immer nur um die anderen herum und nicht um den entscheidenden Punkt: DAS GANZE VOLK hätte mitreden müssen, es hätte eine Nationalversammlung geben müssen, die verfassungsmäßig möglich war. Aber davor hatten die BRD-Demokraten wohl zuviel ANGST!

Es wäre endlich an der Zeit, diese alte, immer noch offene Wunde im „Volkskörper“ zu heilen zu versuchen und aufzuhören den eitlen Pontius PIlatus zu spielen…und endlich zu beweisen, dass die Herrschaft des Volkes in den Händen von Demokraten liegt, die sich nicht von Besitzängsten, sondern vom ALLGEMEINEN WILLEN leiten lassen.

14 Aug

Europa – Meditation # 157

Die kleinen und die großen Vorbilder in Europa

Längst haben die Bilder die Macht übernommen. Texte sind jetzt nur noch wie Fußnoten, Ablenkungsmuster für Langweiler, Einzelgänger oder Besserwisser, also Leute, die noch nicht mitbekommen haben, wo der Hammer hängt.

Und die Abfolge der Bilder hat an Tempo ziemlich zugenommen. So bleibt auch keine Zeit mehr, Bilder auf ihre Echtheit oder Bearbeitung zu untersuchen. Müßig sowieso, denn der Gier nach Bildern ist deren Entstehen einerlei, sowieso.

Mondlandung, fürstliche Eheschließungen, drei Stühle, drei Frauen, drei Aufgaben: Verteidigungsministerin auf Probe, Kommissionspräsidentin in spe und Kanzlerin vor dem Ausstieg – das macht Männern Spaß, da mal so richtig Häme auszuschütten. Denn jenseits der Bilder wüten dann die Gefühle, die sie blitzschnell erzeugen: Neid, Wut, Zorn, Schadenfreude, Missgunst…

Europa – das Bild von der gewaltsam entführten und vergewaltigten Prinzessin aus dem Libanon kennen sicher nicht so viele in Europa – wird daneben aber in zahllosen Varianten ins aktuelle Bild gesetzt:

Als ein Kontinent, der seine eigenen Geschichten vergessen hat,

als eine Landmasse, die immer mehr an Bedeutung zu verlieren scheint,

als ein Staatengebilde, das seine eigenen Errungenschaften genussvoll zu ruinieren scheint,

als ein Fleckenteppich, der eine faszinierende Vielfalt an regionalen Besonderheiten aufzuweisen hat,

als ein Machtfaktor, der in der Welt mehr und mehr seine Möglichkeiten leichtfertig zu verspielen scheint.

Und die Betroffenen – landauf, landab? Die wenden sich mehr und mehr kopfschüttelnd ab, weil die gewählten Vertreter mit ihren Parteiprogrammen immer weniger zu überzeugen verstehen.

Es ist mal wieder die Zeit der Rattenfänger in Europa – in Polen, in Ungarn, in Italien, in Griechenland, in England, in Deutschland. Die vielen (sie nennen sich gerne „die das Gefühl haben, vom Kuchen zu wenig abzubekommen und unter Vormundschaft solcher Rattenfänger nach den Schuldigen suchen, die auch schnell gefunden sind: Die Eliten, die Fremden, die Medien ) – diese vielen bringt das System Neoliberalismus massenweise hervor, in dem die Reichen immer reicher werden und die anderen immer weniger haben für Miete, den Alltag, die Altersvorsorge.

Wir Europäer müssen also gar nicht nach Übersee schauen, wir können schön vor der eigenen Tür kehren, da wachsen die Müllberge – die ideologischen genauso wie die aus Plastik – nachhaltig weiter. Und wenn dann auch noch so ein Teenager vorlaut den gekränkten Zeitgenossen die Leviten lesen will, dann sollte man endlich mit Schuldzuweisungen einhalten und bei sich selbst anfangen. Jeder Europäer ist gefordert, jeder kann in seinem Kiez und in seiner Region mithelfen beim…