27 Jan

Europa – Die Gunst der Stunde (Meditation # 28)

Die Gunst der Stunde:

Wir Europäer könnten angesichts der vielen Flüchtlinge und der Fremden versuchen uns selbst dabei probeweise fremd zu werden und in aller Behutsamkeit zu besinnen in einer erstaunten Nahaufnahme unserer selbst und der Fremden: Was haben wir gemein, was ist das Besondere an uns und an ihnen? Was verstehen wir an uns selber nicht und was an den Fremden nicht? Was ist das Angst Machende an der neuen Situation? Haben wir uns vielleicht etwas in die Tasche gelogen? Uns gerne beweihräuchert, weil alternativlos WACHSTUM die moderne Litanei der „Gott-ist-tot-Fans“ wurde. Um im Bild zu bleiben: Der atemlose rauschhafte Tanz um das goldene Kalb. Bis in die Alltagssprache hinein, bis in die intimste Beziehung der Liebenden schmuggelten sich die Begriffe der Geldwirtschaft. Als wäre es ganz natürlich, Gefühle in Münze prägen zu können! Könnte es die Angst vor uns selbst sein, weil wir plötzlich spüren, dass wir uns nur so sicher sein und stark fühlen konnten, weil wir es uns im Wohlstand bequem gemacht haben? Wir mussten beim Genießen ja nicht an die jämmerlichen Verhältnisse anderenorts erinnert werden – die waren unserem selbstgefälligen Prahlen ordentlich ausgeblendet. Unser Blick galt dem eigenen Konto, den Börsenkurven und den Statussymbolen. Wir verstanden uns scheinbar glänzend. Geringe Inflation, stabile Preise, langsam steigende Löhne, satte Gewinne. Die schwarze Null. Und Qualitätsprodukte, die auf dem Weltmarkt jedem Konkurrenten Paroli bieten konnten. Das sollte uns erst mal jemand nachmachen! Selbstdisziplin und höchste Ansprüche schienen das Markenzeichen zu sein. Die Corporate Identity – kurz CI genannt – eines ganzen Volkes, das endlich die düsteren Schatten der eigenen schlimmen Vergangenheit verscheucht zu haben schien. Und als dann die Kanzlerin den einfachen Satz sagte: „Wir schaffen das“, öffneten sich Schleusen der Hilfsbereitschaft, die viele im In- und Ausland für gar nicht möglich gehalten hatten.

Tarnen und Täuschen, Tricksen und Libor-Faxen waren nur Auswüchse von üblen Burschen, die selbstverständlich zur Kasse gebeten werden. Klar doch. Dann gerieten aber immer mehr gute Namen in üblen Geruch: Siemens, Deutsche Bank, Arkandor, Sal. Oppenheim, Hoch-Tief, Porsche, Goldman & Sachs und schließlich der miese Betrug über viele Jahre hin von Volkswagen, nur um um jeden Preis unbedingt Erster zu werden! Wie ein Kartenhaus brechen die glänzenden Fassaden großer Namen in sich zusammen und entpuppen sich als das, was sie wirklich sind: Gierige Bereicherungsanstalten, in denen selbst die Schuldigen noch mit sattesten Abfindungen in üppigsten Ruhestand verabschiedet werden. Längst ist nicht mehr nur von Banken und Bankern die Rede. Und dann nahm die Flut der Flüchtlinge einfach gar kein Ende! Obwohl doch jeder weiß, dass das Helfen immer seine Grenze findet an den nicht endlosen Kräften des Helfen Könnens.

Da meldet sich die Angst und fragt zaghaft an, ob man nicht auf die falschen Pferde gesetzt habe in all den Jahren disziplinierten Arbeitens. Schnell sucht man verunsichert nach den Schuldigen. Die sind auch genauso schnell gefunden: Griechenland, die Flüchtlingsflut und die Terroristen.

Wäre das schön, wenn man die ordentlich bestrafen könnte – wegen Korruption, Steuerflucht, Rentenkassenbetrug; wegen der kriegerischen Eckpunkte im Koran, der Unterdrückung der Frau, der ideologischen Grabenkriege zwischen Schiiten und Sunniten; wegen der menschenverachtenden Gewaltexzesse der sogenannten Gotteskrieger – und dann gleichzeitig die eigene Angst los bekäme. Wäre das schön!

Wenn wir aber in der Sprache des Wirtschaftens bleiben wollen, dann bietet sich an dieser Stelle die probate Redewendung an: „Wir haben die Rechnung wohl ohne den Wirt gemacht!“ Und wer ist der Wirt, wenn ich mal bescheiden anfragen dürfte? Na, wer schon?! Die Natur. Wenn wir aber angesichts der üblen Leerlauf-Szenarien bereit wären – auch um an die Wurzel der eigenen Angst vorzustoßen – das Wachstumsmärchen in das Reich der Märchen zu verbannen und von bescheideneren Bedarfsdeckungsperspektiven zu reden, dann dürfte auch die Angst vor dem viel grundlegenderen Gedanken weichen: Die Natur braucht den Menschen nicht. Sie kann auch ohne ihn weiter Natur sein.

Wir aber benötigen sie, können nicht ohne sie existieren.

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