13 Nov

Europa – Meditation 2014

Erste Annäherung an ein altes Bild – Europa-Mediation 1

Dauerniederschlag – mal eisiger Hagelschlag, mal warmer Sommerregen, die Medien beliefern den Zeitgenossen Tag und Nacht mit Bildern und Berichten zu Europa, die das scheinbar Selbstverständliche schön verstärken – im Guten wie im Schlechten.
Stets ist es die gleiche Perspektive: Europa schaut auf den Rest der Welt, der Rest der Welt schaut auf Europa. Dabei ist die Zeit dieser Sehweise schon längst passé.
Gerne berief man sich in solchen alten Zeiten auf ein Zitat aus der Bibel: „Macht euch die Erde untertan!“ und entwickelte einen selbstverständlichen Anspruch auf universalistische, christliche Beglückung.
Ein letzter Blick in diesem ehemaligen Blickwinkel liefert dieser Tage das neue/alte Reizwort „KALIFAT“: Sykes-Picot erscheint aus den Schatten des letzten Jahrhunderts, eine folgenschwere Mauschelei um die Aufteilung der Beute – das Osmanische Reich sollte gewinnbringend verwandelt werden.

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Aufteilung des osmanischen Reichs – Vertrag von Sèvres 1920

So saß man wohl damals an einem großen Tisch mit einer großen Karte und zog Linien über Gebirgszüge, Flussläufe und Halbinsel und Inseln und machte Versprechungen, die dann nicht eingehalten wurden.
Solche mutwilligen Grenzziehungen hat es sooft schon in den langdauernden und sehr schmerzhaften Wehen, die der Geburt des heutigen Europas vorausgingen, gegeben: Hier nur ein paar davon: Als sich die spanischen und portugiesischen Könige die Hand gaben und den Süden Südamerikas unter sich aufteilten, als sich die Franzosen und Engländern ihre Gebiete um die großen Seen zuschacherten, als die gekrönten Häupter Europas mehrmals Polen unter sich aufteilten und sich später dann – nach dem Walzertanz – wieder auf ältere Grenzverläufe einigten…


Da könnte einem doch glatt das Gedicht von Bertolt Brecht einfallen:

FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon,
Wer baute es so viele Male auf ? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war,
Die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Über wen
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
Brüllten doch in der Nacht, wo das Meer es verschlang,
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte untergegangen war.
Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg.
Wer siegte außer ihm?
Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?
So viele Berichte.
So viele Fragen.


Was könnte man tun?
Man könnte die Geschichten vom Anfang einfach neu erzählen.

( es sieht so aus, als wäre die alte Geschichte vom Raub der Europa eine Erfindung, die von anfang an falsch erzählt wurde, falsch weitererzählt, falsch erinnert; wahr schien sie dennoch allemal zu sein)


Damals, am Ufer des wellenarmen Meeres, wo eine junge Frau mit ihren Freundinnen Federball spielte, war der Ball zufällig fast bis an die feine Schaumgrenze, die das zurücklaufende Wasser stets sehr elegant und flüchtig zu formen wusste, geflogen.
»Ich hol ihn, ich hol ihn ja schon!.«
Wie liebte sie diesen Blick in das Offene, Weite, Fremde, Ferne, wie wohl tat die Sehnsucht dabei!

Bis zu den Knien stand er dann wie vom Himmel gefallen vor ihr, der Fremde. Bekleidet war er nur mit einem weiß wallenden Tuch.
Er lächelte verlegen. Er sah gut aus.
»Wer bist du?.« brachte sie staunend zustande.
Wie ihr Herz schlug, wie ihre Augen strahlten!
»Ich habe dich schon lange gesucht«, antwortete er freundlich.
»Mich? Wieso mich?«
»Wo bleibst du denn Europa?« riefen die Freundinnen schon ganz ungeduldig.
»Weil es so vorbestimmt ist«

Europa hielt den Atem an. Wer war er, wie konnte er so etwas sagen?
Und was sie dann sagte, kam einfach so aus ihr heraus, wie von selbst:
»Komm zum Neumond wieder, dann reden wir weiter.«
Und schon lief sie davon.

Als sie sich noch einmal umdrehte dabei, war aber nur noch der leicht gewellte Wasserteppich da, sonst nichts.


 

Ein Gedanke zu „Europa – Meditation 2014

  1. Lieber Johannes,
    es macht mir Freude, dass Du Deine Gedanken, die wir schon öfters in schönen Gesprächen erörtert haben nun auch mit der ganzen Welt teilst. Es ist so wichtig in flirrenden Zeiten wie diesen, dass auch die Nachdenklichen gehört werden.
    Dein Netzlotse Martin.

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