22 Feb

Europa – Meditation # 84 Heimat – Text Nr. 3

Heimat? Eine Utopie? Nein, danke. Jetzt, hier bitte!

Im 19. Jahrhundert erfand mal jemand das Wort des UNBEHAUSTEN, um die mit dem Tempo der Industrialisierung voranschreitende Entfremdung des Menschen von sich selbst zu beschreiben. Das Unbehaust-Sein hat seitdem so richtig Fahrt aufgenommen: Nach zwei Weltkriegen, dem anschließenden weltweiten Konzeptes vom Overkill, dem ungebremsten Autoboom und scheinbar nicht zu befriedigendem Reisefieber sprechen manche inzwischen schon davon, die Entwurzelung des Menschen aus seinem vertrauten Lebensraum der Kindertage als Mantra unstillbaren Fernwehs und erotisierender Mobilität zu bewerben. Als wäre alles gut und schön so. Heimat werde endlich umfunktioniert in ein Konzept, das in der Zukunft zu suchen sei. Wow! Das rückwärtsgewandte Muster von Heimat sei eben doch nur Ausdruck der Mutlosigkeit der Verlierer. Dem dürfe man sich einfach nicht anbiedern. Klar. Oder? Der überkommene Individualismus-Begriff werde schon längst vom Zauberwort Singularität ersetzt. Einmalig muss alles sein – nicht nur der Haarschnitt und das Tattoo, nein auch das Selfie von den Seyschellen, der Lack des SUVs, der Internetauftritt sowieso und natürlich auch der Job, die Wohnung, der Hund, das Fahrrad, falls Frau dabei, die natürlich auch, und die Hobbys der Kinder müssen sowas von abgefahren sein, dass die gesamte Nachbarschaft vor Neid erschauert. Diese Explosion an Singularität/Einmaligkeit könne in Europa doch bereits in allen boomenden Volkswirtschaften zu erleben sein.

Hier muss nun aber wirklich eine kleine Ton- und Denkpause eingeschaltet werden…………

Wenn der billige Glitzer von diesen neuen Modewörtern einmal abgebürstet ist, bleibt glücklicherweise eine einfache Wahrheit ungeschoren: Der Ort, den man in Europa Heimat nennen kann, ist eben nicht ein Kürzel wie EU oder die Vision von einem vereinigten Europa, sondern für jeden auf diesem kleinen Kontinent ein überschaubarer Raum, für dessen Erkundung kein Flugzeug und auch kein Auto nötig ist, wohl aber der Handballverein aus Kindertagen, der immer noch in einer schäbigen Turnhalle spielt oder die gemeinsame Sprache, in der man die ersten Liebesabenteuer betuschelte oder der gemeinsame Raum für Büdchenbauten im kleinen Birkenwald, vom ollen Friseur oder dem dicken Bäcker ganz zu schweigen. Angeln am Fluss mit den besten Freunden, jahrelang und dann die hochnäsigen Verwandten aus der nächsten Stadt. Das ist der Rahmen, in dem das Vertrauen in die Welt und die eigenen Pläne entsteht.

„Und übrigens sind wir der Meinung, dass Europa erst noch geboren werden muss.“

Diese Botschaft der Zuversicht wächst aus der Kraft der Erinnerung, die in jene Zeit zurückreicht, in der Zuversicht zur Grundausstattung des täglichen Palavers in der Stammkneipe oder im Tanzkurs gehörte in so vielen Ländern Europas. Man verstand sich, versteht sich. Dieses Gefühl zu bewahren ist ein Wunsch, den jeder zurecht in sich hegt und pflegt – europaweit. Seyschellen oder Börse Schanghai kommen darin beileibe nicht vor. EU übrigens auch nicht. Wozu auch?

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