17 Feb

Europa – Meditation # 177

Europa ächzt immer noch unter der Last des Stieres.

Das mythische Bild des weißen Stiers, den Zeus benutzte, um die Prinzessin zu verführen (wir sprechen heute ja gerne von einem „sehr, sehr alten Narrativ“) und nach Kreta zu bringen, war eigentlich immer schon ein Bild, das auf dem Kopf stand; denn eigentlich ist es doch Europa, die von Anfang an den falschen Fünfziger, den Götterbubi, auf ihren Schultern zu tragen und zu ertragen hatte. Weil es das Narrativ von schreibkundigen Männern war. Da aber die Geschichte schon so lange und so oft erzählt, bebildert, gemalt und gespielt wird, ist der eigentliche Gewaltakt nie durch ein gegenläufiges Narrativ entlarvt worden.

Ähnlich ist es wohl auch mit dem modernen Narrativ von Europa, das immer so erzählt wird, dass der große Bruder von Übersee die zerfledderte Europa sich auf die Schulter packte und wieder aufpeppelte nach 1945. So selbstlos, so hilfsbereit, so mitfühlend. Und schützend seine Hand über die geschändete hielt, auf dass nie wieder solches Ungemach über die Völker Europas hereinbrechen möge.

Dass aber derselbe Retter immer auch der eigennützige Bereicherer war und ist, der Europa brauchte, um seine eigene Wirtschaft wieder auf Friedenswirtschaft umstellen zu können, konnte man wunderbar ins Kleingedruckte verbannen. Man brauchte zusätzliche Absatzmärkte, Investitionsräume, Schuldner. Gerne schlüpften die geschundenen Europäer in die neue Rolle eines Abhängigen, die ihnen da aufgezwungen wurde. Im rosigen Narrativ der Nachkriegszeit wuchs wortgewaltig eine schier unschlagbare transatlantische Freundschaft heran. Musik, Film, Mode und Konsum kamen wie eine Frischzellenkur übers Meer geschippert. Besonders die Deutschen gaben ihr Bestes, um alles richtig zu machen, treuer Freund zu sein. Was für ein Narrativ!

Nun aber steht die erwachsen gewordene Nachkriegs-Europa da und wundert sich: Hatte man sich etwas in die Tasche gelogen, hatte man einfach übersehen wollen, dass der Transfer neben Geld und Waren flach und eher hohl war? Dass der amerikanische Eigennutz nun ungeschminkt die Dinge beim Namen nennt, die bisher blumisch verpackt waren? Dass der derzeitige Präsident nichts Neues aus der Tasche zaubert, sondern nur unverblümt in die eigene Tasche wirtschaften will – und wer nicht spurt, muss dann eben sehen, wo er bleibt? Das ist der NEW DEAL 2020 .

Erzählen wir also in Europa die Geschichte einfach so, wie sie wirklich war und jetzt auch ist: Keine Freundschaft, sondern ein günstiges Geschäft für die Amerikaner, das nun so nicht mehr weiter geführt werden kann. Der Gewinn muss sicher gestellt bleiben. Punkt. Onkel Trump könnte als schlechter Zeus-Mime von seinen Berater ja folgenden Spruch vor seinem nächsten Twitter-Schnellschuss eingeflüstert bekommen:

Wenn du zum Weibe (Europa) gehst, vergiss die Peitsche nicht!“

27 Apr

Europa – Mythos # 79

Eine unheimliche Erscheinung mitten in der Nacht.

Zeus schläft sehr unruhig auf seinem Nachtlager. Er ist völlig allein auf dem Olymp. Die Familie ist zu Feierlichkeiten unterwegs. Es plagen ihn Albträume. Er schreckt schweißgebadet hoch. „Hera!“ ruft er ängstlich, „Hera, wo bist du denn?“ Da wird ihm erst klar, dass ja alle unterwegs sind. Nun gut, denkt der Göttervater beleidigt, was ihr könnt, kann ich schon lange. Denn gerade geht ihm wieder eine seiner genialen Ideen durch den Kopf. Er wollte doch die zwei Flüchtlinge für sich und seine Pläne gewinnen, um Europa so bald wie möglich, so schlimm wie nötig zu bestrafen. Genau. Ächzend wälzt er sich aus seinem Vlies, schnallt sich seine Flugsandalen an (die natürlich tausendmal besser sind als die von Hermes!) und eilt auf dem kürzesten Weg in den Westen der Insel Kreta, wo diese Europa ihn so schmählich hat sitzen lassen – in der Höhle neulich.

Krumm an einen Felsbrocken gelehnt schnarchen Nemetos und Thortys vor sich hin. Wunderschöner Sternenhimmel über ihnen, ein fahler Mond beleuchtet spärlich die Schläfer. Zeus schaut sie sich genau an: Zerschundene Hände, nackte Füße mit dicker Hornhaut, wirres Haar, in stinkende Stofflappen gehüllt und dicke Bäuche haben sie natürlich auch. Wie er selbst, stellt er grinsend fest, wie er selbst. Und wie stell ich das jetzt am besten an? Zeus wundert sich mal wieder über sich selbst. Er hat doch schon eine Idee.

Als erster schreckt Nemetos aus dem Tiefschlaf. Kracht mit dem Hinterkopf gegen den Fels, als er abhauen will. Das schmerzt sehr. Mehr aber schmerzt noch der Anblick direkt vor ihm: bläuliche Lichtschlangen steigen da auf und nieder, verschlingen sich ineinander, lösen sich wieder und fließen lautlos und blendend um einen weißen Riesenhirsch, der ihn finster anstarrt. Nemetos zittert heftig, seine linke Hand wandert zuckend zu seinem immer noch schnarchenden Kumpel hinüber. Der wacht grunzend auf und will gerade losbrüllen, weil Nemetos ihn aus dem Schlaf gerissen hat, als auch er sieht, was Nemetos sieht. Der Schrei bleibt ihm im Halse stecken. Das muss er träumen, denkt er sich, das kann nicht wahr sein. Aber schon werden beide eines besseren belehrt.

Der weiße Riesenhirsch starrt sie nicht nur weiter an – das riesige Geweih auf seinem Kopf schwankt dabei drohend hin und her- sondern er fängt an, röchelnde Töne von sich zu geben. Dabei läuft ihm der Geifer die Lefzen herunter. Jetzt macht er auch noch einen Schritt auf sie zu. Den beiden ist klar, dass ihr letztes Stündchen gekommen ist. Kreidebleich warten sie auf ihr eigenes gewaltsames Ende und auf den Angriff des Ungeheuers. Der Mond spiegelt sich milchig in seinen wässrigen Augen. Und das Lichtschlangenschauspiel will auch nicht enden. Nebelschwaden schweben drum herum. Außer dem grunzenden Röcheln ist nichts zu hören. Dann beginnt das Biest auch noch leise, sehr leise zu flüstern.

17 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 75

Zwei Machtmenschen vor dem Abgrund

Sardonius schlendert vergnügt nach seiner Besprechung mit Thortys und Nemetos Richtung Palast. Die beiden werden endlich dieser Europa ein ganz plötzliches Ende bereiten. Er grinst genüsslich. Schade, dass er den Anschlag nicht miterleben kann. Wirklich schade. Um aber seine Unschuld zu beweisen, will er gleichzeitig um eine Audienz beim Minos von Kreta nachsuchen. Der Gedanke kommt ihm ganz überraschend. Er findet: Wirklich, ein richtig kluger Gedanke. Jetzt muss er zufrieden schmunzeln. Auf dem Weg zum Palast verbeugen sich die kleinen Leute ehrfürchtig und ängstlich vor ihm. Das ist ihm noch ein zusätzlicher Genuss. Gönnerisch winkt er den demütigen zu, sich wieder aufzurichten. Er ist bester Laune. Schließlich festigt sich gerade durch einen Mord, den böse Buben sinnloserweise verüben, seine Machtstellung im Palast. Er wird die Täter umgehend hinrichten lassen. Archaikos bleibt dann gar nichts anderes übrig, als ihm, dem Hüter der Zahlen und Namen, weiter zu vertrauen.

Am Tor angekommen, schickt er gleich einen der Wächter los, Minos anzukündigen, dass Sardonius um eine Audienz ersucht. Sofort. So lange setzt er sich im Schatten der hohen Mauer im ersten Innenhof auf eine kühle Bank, um sich noch einmal in aller Ruhe jedes Wort zu überlegen, dass er bei der Audienz sagen will. Sein Puls geht schneller und schneller. Es darf jetzt nichts mehr dazwischen kommen. Vielleicht ist Europa schon tot.

Sardonius? Jetzt? Was will er?“ Archaikos ist ziemlich ungehalten über das, was der Wächter da gerade vorträgt. Er will nämlich gerade einen Spaziergang zum Tempel der großen Göttin machen. Europa geht ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Aus dem Blut. Seine Fragen klingen schroff und zornig.

Er sagt, es sei wichtig und dulde keinen Aufschub.“ Der Wächter verneigt sich und hofft, dass der Minos nicht ihm die Schuld gibt. Er ist doch nur der Bote. Archaikos schwankt einen Augenblick. Dann nickt er.

Geh, er soll sich beeilen!“ Blitzschnell macht sich der Wächter aus dem Staube. Glück gehabt, denkt er im Davonlaufen, Glück gehabt.

Wenig später öffnen die beiden Türsteher das Tor zur Audienzhalle und Sardonius tritt mit ernster Miene herein, geht in die Knie, wartet auf das Zeichen sich wieder zu erheben und sieht, wie der Minos tief durchatmet, bevor er loslegt: „Nun, was kann das sein, das zu dieser Stunde eine Audienz bei mir erfordert, Sardonius?“

Sardonius spürt, dass das Gespräch nicht nach Plan verlaufen könnte. Er macht ein besorgtes Gesicht, verbeugt sich erneut und sagt dann etwas, was er gar nicht geplant hatte:

Herr, meine Horchposten bringen zur Zeit besorgniserregende Botschaften ins Haus. Es braut sich etwas zusammen…“ Doch bevor er weitersprechen kann, fährt ihm Archaikos schroff dazwischen: „“Es braut sich, es braut sich…Es, es! Wenn du keine Namen hast, verschone mich mit so etwas!“