30 Juni

Europa-Meditation Nr. 507

Europa im Irrgarten der Kurzsichtigen und Blindgängern.

Die Hitze nimmt zu – als wäre man in der Kalahari – die gemäßigten Breiten Mitteleuropas sind längst Geschichte. Aber die Europäer lechzen nach neuen Geschichten, um sich abzulenken von den anklopfenden schlechten Nachrichten: Klimakrise, Ozonloch, Wassermangel, fossile Brennstoffe Auslaufmodelle und und und.

Da nimmt auch der Wunsch nach Ablenkung zu. Der wird aus Übersee aus dem Silicon Valley gerne und üppig bedient. Tag und Nacht. Die Konsumenten sind glücklich für den Moment. Die Anbieter ebenso. Sie erhalten frei Haus jede Menge Daten von ihren Kunden aus Europa und dem Rest der Welt, unbemerkt.

Natürlich nimmt auch das Tempo zu: Die Serien, die Werbeblöcke, die Spiele können fast nur noch überflogen werden. Das Gehirn dimmt sich freiwillig runter. Wie praktisch. So fliegen die Bilder im Nu vor den Augen vorbei. Kurz, nur sehr kurz werden sie von den erschöpften und zunehmend Schweiß gebadeten Zuschauern wahrgenommen, wenn überhaupt noch. Es reicht ja fast schon allein das huschige Gefühl, das die Augen beim Augenschmaus unterwegs waren. Da war doch was – oder?

So stimmen sich die Sinne mehr und mehr auf Kurzzeit-Reiz-Anregungen ein. Genügt doch. Nicht die Qualität, nein, die Quantität gibt den Ton an und das Tempo, das dafür sorgt, dass die Menge wie Güte erlebt wird.

Kurz einen Blick auf einen Drohnenflug – Echtzeit ist echt cool dieser Tage – wo ist das jetzt gerade nun? Odessa, Teheran, Gaza, Juba, Kabul? Aber echt cool, man kommt sich echt vor wie Obama und Hilary, als sie bei Obama Bin Ladens Ergreiifung life zuschauen durften, echt cool. Oder dieses üble Filmchen aus dem Irak, als unten am Boden Zivilisten erschossen wurden vor laufender Kamera. Echtzeit eben.

Dann kurz einen Blick auf das Wetter. Stabiles Hoch über Mitteleuropa. Na, wer sagst denn? Club-WM und U-21 EM – pausenlos Unterhaltung.

Na, waren das noch Zeiten, als es nur zwei Programme gab und am Ende die Hymne. Klingt ja fast schon wie ein Märchen.

Störend ist höchstens diese schleichende Müdigkeit, Schlaffheit, Benommenheit, die einen da hartnäckig belästigt. Gar nicht schön. Und diese Mittel zum Wach-Halten will man ja nun auch nicht unbedingt schlucken.

Mensch, jetzt fallen mir doch glatt die Augen zu!

Und dass ich mich gerade jetzt auch noch an dieses Feature zu Europa, der weitsichtigen, auf Arte erinnern muss, ist eher auch unpassend, eine Störung gewissermaßen: Die habe sich halt in aller Ruhe einfach hingestellt – in aller Ruhe! – und habe weit in sich hinein geschaut, deshalb bedeutet ihr Name ja auch: die Weitsichtige! Deren Zeit müsste man haben, dann wäre man auch weitsichtig!

Aber jetzt? Jetzt hilft nur noch der kurze, schnelle Blick – wohl ahnend, dass sonst sichtbar werden könnte, dass um Europa herum ein immer näher rückender Krieg zum Alltag der Menschen gehört, denen keine Zeit bleibt zum Fernsehen, weil sie gerade wieder in den Luftschutzkeller rennen müssen.

Aber auch das können wir uns in Westeuropa Tag für Tag in Echtzeit vollklimatisiert life anschauen.

Europa sollte dringend aufhören, den endlos Schleifen on TV zu huldigen und stattdessen anfangen, ein eigenes, nicht virtuelles Programm zu starten, in das alle Länder Europas gleichberechtigt eingebunden sind – als ein Verbund von „Poleis“ , die das USA-Modell als misslungenes Unternehmen von Freiheit und Selbständigkeit hinter sich lassen wollen, weil das, was man dabei gelernt hatte als Kollateralschäden zu kommentieren, in Wirklichkeit alle nachhaltig beschädigt und erniedrigt hat.

23 Juni

Europa – Meditation Nr. 506

Europäische Kulturgeschichte im Visier der Libertären.

Die wechselvolle Geschichte Europas – angetreten mit einer üblen Hypothek von Gewalt an einer weitsichtigen Frau (= eu-ropa), Prinzessin aus Phönizien, dem heutigen Libanon – musste durch viele Täler der Tränen wandern, bevor sie in eine Union von selbständigen Staaten führte, die gelernt haben sich zu respektieren. Nach Jahrhunderten erbitterter Kriege gegeneinander leben die europäischen Länder inzwischen mehr als achtzig Jahre in friedlichem Wettbewerb miteinander. Sie hatten Glück, dass ein Hegemon aus Übersee sich als Garant aufspielte und ihnen Zeit gönnte, über die missglückte Vergangenheit nachzudenken und humane Konsequenzen daraus zu ziehen.

Jetzt ist es höchste Zeit, politisch erwachsen zu werden und die eigenen Kräfte zu bündeln und gemeinsam nach innen und außen mit berechtigtem Selbstvertrauen Erreichtes zu sichern und intensiv an einer friedfertigen Zukunft der Welt mitzuarbeiten. Die Stimme Europas muss an Kraft und Selbstbewusstsein gewinnen.

Denn die, die vor mehr als dreihundert Jahren aus Europa auswanderten, bzw. flohen, wollten ein freies, unabhängiges neues Land gründen, in dem der Einzelne seines Glückes Schmied ist. Mit Gottes Hilfe, so priesen sie ihre Landnahme, und seinen Feuerwaffen unterwarfen sie alles, was sich ihnen in den Weg stellte. So waren von Anfang an Gewalt und Sklaverei die beiden Eckpfeiler ihres Handelns und ihrer Erinnerungen.

Nun, im Jahre 2025, sind die ehemaligen Flüchtlinge aus Europa ins Visier von ihren eigenen Predigern geraten. Man sollte sich auch in Europa besser deren Namen merken:

Peter Andreas Thiel,

ein US-amerikanischer Investor, rechts-libertärer Tech-Unternehmer und Milliardär. Palantir Technologies, gemeinsam mit Max Levchin gründete er den Online-Bezahldienst PayPal

Curtis Guy Yarvin (* 25. Juni 1973),

auch bekannt unter dem Pseudonym Mencius Moldbug, ein US-amerikanischer Blogger und Softwareentwickler.

Warum sich deren Namen merken? Nein, nicht nur weil Donald Trump, James David „JD“ Vance und Elon Musk Fans von ihnen sind. Nein.

Weil sie Networker sind, die mit ihrem Geld Gefolgschaften aufbauen, um mit ihnen die „Kathedralen der Demokratie“ , hier vor allem die Universitäten, die sie für Brutstätten der Bevormundung und Indoktrination halten, einzureißen und abzuschaffen. An deren Stelle soll jeder einzelne verantwortlich sein für den Fortschritt in seinem Land und nicht der Staat mit seinen den Reichtum des Volkes verbrennenden Institutionen. Als strahlende Beispiele für dieses Verständnis von Freiheit und Unabhängigkeit gelten ihnen die Mogule des Silicon-Valleys.

Dass damit dem privaten Interesse von Milliardären Tür und Tor geöffnet werden und damit der bisher öffentliche Raum solchen Interessen untergeordnet und gleichzeitig diese InBesitznahme als wahre Demokratie verkauft wird, sollte bei den Europäern die Alarmglocken schrillen lassen (die Vorgänge um die Havard-University sind da lediglich ein Experiment, ein Vorspiel gewissermaßen): Es stehen die bitter erkämpften kulturellen Errungenschaften Europas auf dem Spiel. Und da ist dann auch kein Spielraum mehr für beschwichtigende Gesten und Reden, da gilt es vielmehr, klare Kante zu zeigen: Europa steht für solche libertären Kettensägen-Desaster nicht zur Verfügung!

16 Juni

Europa – Meditation Nr. 505

Irrfahrt zwischen Skylla und Charybdis.

Ein irres Kaleidoskop von Farben und Formen jagt die Hirnaktivität vor sich her: um diesem schwindelerregenden Treiben so etwas wie System unterstellen zu können, werden Pflöcke im Nowhere eingerammt. Das so erfundene „Areal“ wird dann mit Zahlen und Begriffen gepflastert – versiegelt ist das Wort der Stunde – und als übergeordnete Begriffe melden sich Heimat, nein, noch besser, Nation vorlaut zu Wort. Das Gewusel der unterschiedlichen Wesen – oft von weither gewandert – soll einem mächtigen Überwort gehorchen: vaterländisches Terrain. Dem müssen sich die Frauen unterordnen, gottgewollt gewissermaßen und für immer. Was für ein kleinkariertes Muster hat sich da wie ein Krebsgeschwür in den Männerhirnen eingenistet! Ohne Gewalt wäre es längst wieder in der Altpapiertonne verrottet. Da aber – wie in einem Schneeballsystem – inzwischen fast alle diesen Spielregeln den Lemmingen gleich hirnlos folgen, sind auch die gewaltigen Bilder, die teilnahmslose Medien Tag und Nacht bereitstellen, scheinbar wie Naturkatastrophen im Gehirn gespeichert: Raketen, Drohnen, Jets – bemannt oder unbemannt zerstören sie alles, was ihnen im Weg steht. Sachen wie Menschen wie die Erdkruste. Gleichzeitig – ein faszinierendes Kaleidoskop muss das einfach bringen – jagen Bilder von Sport-Events, Flugzeugabstürzen, Erdrutschen, Flutwellen, Militärparaden und Vulkanausbrüchen die Neuronen synaptisch vor sich her, ruhelos, schlaflos, endlos.

Aber da wir nichts anderes sind als nervöse Nomaden verschiedener Stämme, die zwischen Oasen hin und her irren – immer in Furcht vor eingebildeten Monstern und monströsen Naturkatastrophen und heimtückischen Überfällen – verordnen uns selbst eine übergeordnete Zugehörigkeit, der sich alle unterordnen müssen. Ein wüstes Spiel in den Wüsten eintöniger Lebendigkeit. Und angesichts der Kürze der Verweildauer erzählen wir uns mit Hilfe der Sprache, die für alles und jeden einen Begriff bereitstellt, die alten Geschichten wieder und wieder, bis sie so verwandelt sind, dass sie wie noch nie dagewesene anmuten.

Zweifler gibt es aber dennoch. Denen muss unnachgiebig im noch schnelleren Erzählen das Wort abgeschnitten werden. Diese Zensoren fühlen sich als Fundament des Kaleidoskops, deshalb werden sie ja auch von den Zweiflern Fundamentalisten genannt. Es gibt sie allerorten: In Persien genauso wie in Palästina, in Polen wie in Pommern. (Ähnliche Namen lassen sich auch auf den anderen Kontinenten einander gegenüberstellen) Und wenn eine Zeitung dieser Tage mit einer großen Überschrift punkten will: „Krieg in Nahost“, dann bleibt einfach nicht mehr die Zeit festzustellen, dass es den Krieg im Nahen Osten mindestens schon seit 1914 gibt. Also wahrlich nichts Neues.

Auch der Begriff der Nationen wurde allzu lange schon von ähnlichen Zensoren gehütet und gewartet auf dem Kontinent Europa, obwohl große Wanderungen vieler Stämme seit dem Mittelalter die wunderbaren Landschaften bunt durchmischt haben, so dass die unterstellte gemeinsame genetische Herkunft ein frommes Ammenmärchen war und ist.

Doch die Sprachspiele gehen unverdrossen weiter. Man muss nur lang genug reden, bis die, die gegebenenfalls widersprechen würden, müde sind und aufgeben. Und der Sound der Medien ist ja sowieso uneinholbar und nicht mehr zu stoppen.

Die Vielfalt der Sprachen in Europa hat aber einen gemeinsamen Nenner, um einen Begriff der Mathematik zu bemühen: nicht nur liegen ihr als fernes Echo die bereits erwähnten Wanderungen vieler Stämme zugrunde, nein, sie haben auch als Motiv immer die Flucht mit im Gepäck. Wie Europa, die weitsichtige, selbst ja auch: nach der gewaltsamen Entführung blieb auch ihr nur die Flucht. Ein Gemeinschaft schaffendes Merkmal also.

Im Kaleidoskop „Europa“ glänzen so viele Sprachfarben miteinander um die Wette, dass nur Stolz ob solcher Fülle aufkommen kann, die jedem Fundamentalisten das Wasser abgräbt und die vereinten Stämme Europas zu einem unüberwindbaren Bollwerk macht.