Europa-Meditation Nr. 507

Europa im Irrgarten der Kurzsichtigen und Blindgängern.
Die Hitze nimmt zu – als wäre man in der Kalahari – die gemäßigten Breiten Mitteleuropas sind längst Geschichte. Aber die Europäer lechzen nach neuen Geschichten, um sich abzulenken von den anklopfenden schlechten Nachrichten: Klimakrise, Ozonloch, Wassermangel, fossile Brennstoffe Auslaufmodelle und und und.
Da nimmt auch der Wunsch nach Ablenkung zu. Der wird aus Übersee aus dem Silicon Valley gerne und üppig bedient. Tag und Nacht. Die Konsumenten sind glücklich für den Moment. Die Anbieter ebenso. Sie erhalten frei Haus jede Menge Daten von ihren Kunden aus Europa und dem Rest der Welt, unbemerkt.
Natürlich nimmt auch das Tempo zu: Die Serien, die Werbeblöcke, die Spiele können fast nur noch überflogen werden. Das Gehirn dimmt sich freiwillig runter. Wie praktisch. So fliegen die Bilder im Nu vor den Augen vorbei. Kurz, nur sehr kurz werden sie von den erschöpften und zunehmend Schweiß gebadeten Zuschauern wahrgenommen, wenn überhaupt noch. Es reicht ja fast schon allein das huschige Gefühl, das die Augen beim Augenschmaus unterwegs waren. Da war doch was – oder?
So stimmen sich die Sinne mehr und mehr auf Kurzzeit-Reiz-Anregungen ein. Genügt doch. Nicht die Qualität, nein, die Quantität gibt den Ton an und das Tempo, das dafür sorgt, dass die Menge wie Güte erlebt wird.
Kurz einen Blick auf einen Drohnenflug – Echtzeit ist echt cool dieser Tage – wo ist das jetzt gerade nun? Odessa, Teheran, Gaza, Juba, Kabul? Aber echt cool, man kommt sich echt vor wie Obama und Hilary, als sie bei Obama Bin Ladens Ergreiifung life zuschauen durften, echt cool. Oder dieses üble Filmchen aus dem Irak, als unten am Boden Zivilisten erschossen wurden vor laufender Kamera. Echtzeit eben.
Dann kurz einen Blick auf das Wetter. Stabiles Hoch über Mitteleuropa. Na, wer sagst denn? Club-WM und U-21 EM – pausenlos Unterhaltung.
Na, waren das noch Zeiten, als es nur zwei Programme gab und am Ende die Hymne. Klingt ja fast schon wie ein Märchen.
Störend ist höchstens diese schleichende Müdigkeit, Schlaffheit, Benommenheit, die einen da hartnäckig belästigt. Gar nicht schön. Und diese Mittel zum Wach-Halten will man ja nun auch nicht unbedingt schlucken.
Mensch, jetzt fallen mir doch glatt die Augen zu!
Und dass ich mich gerade jetzt auch noch an dieses Feature zu Europa, der weitsichtigen, auf Arte erinnern muss, ist eher auch unpassend, eine Störung gewissermaßen: Die habe sich halt in aller Ruhe einfach hingestellt – in aller Ruhe! – und habe weit in sich hinein geschaut, deshalb bedeutet ihr Name ja auch: die Weitsichtige! Deren Zeit müsste man haben, dann wäre man auch weitsichtig!
Aber jetzt? Jetzt hilft nur noch der kurze, schnelle Blick – wohl ahnend, dass sonst sichtbar werden könnte, dass um Europa herum ein immer näher rückender Krieg zum Alltag der Menschen gehört, denen keine Zeit bleibt zum Fernsehen, weil sie gerade wieder in den Luftschutzkeller rennen müssen.
Aber auch das können wir uns in Westeuropa Tag für Tag in Echtzeit vollklimatisiert life anschauen.
Europa sollte dringend aufhören, den endlos Schleifen on TV zu huldigen und stattdessen anfangen, ein eigenes, nicht virtuelles Programm zu starten, in das alle Länder Europas gleichberechtigt eingebunden sind – als ein Verbund von „Poleis“ , die das USA-Modell als misslungenes Unternehmen von Freiheit und Selbständigkeit hinter sich lassen wollen, weil das, was man dabei gelernt hatte als Kollateralschäden zu kommentieren, in Wirklichkeit alle nachhaltig beschädigt und erniedrigt hat.