27 Sep

Leseprobe aus dem zweiten Roman „Yrrlanth“

Blatt # 70 Arnulf, der Bischof, versinkt in seinem Lebensüberdruss

Eine dünne Schneedecke hat sich über Lutetia gelegt. Im kalten, gräulichen Dämmerlicht an diesem Wintertag wirken die vielen kleinen Rauchfahnen über den erbärmlichen Hütten am Ufer des Flusses wie kranke Würmer, die sich winden und wenden, als könnten sie so ihre Schmerzen los werden.

Auch das verfallende Amphitheater zeigt sich an diesem Abend ganz in weiß, als wäre der einst mühsam heranggeschleppte Marmor gerade erst verbaut worden.

Auch in den Katakomben ist es bitterkalt und nass. Schmelzwassertropfen glucksen in kleine und große Pfützen. Die Laune des Bischofs ist dementsprechend schlecht. Längst hat er kalte Füße. Die Lederlappen um seine Beine und Zehen triefen vor Nässe. Aber Arnulf weiß, dass Abhilfe bereits auf ihn wartet.

Jetzt betritt er gebeugt eine kleine Halle mit einer bunt bemalten Kuppel. Fackellicht wandert unruhig darüber hin. Als bewegten sich die Göttinnen und Nymphen lüstern hin und her, so kommt es ihm vor, als er zu ihnen jetzt aufschaut. Die Mitte der Therme bildet ein rundes Becken, aus dem wie feine Schleier Rauchwellen hochwandern und im Halbdunkel vergehen. Er kann zwei Köpfe erkennen. Frauenhaar. Langes. Sie warten auf ihn. Arnulf schält sich hastig aus seinen klammen Kleidern und stürzt sich kopfüber ins warme Wasser. Schrill und vergnügt quietschen die hohen Stimmen dazu ein lockendes Willkommen. Unter Wasser schwimmt er auf die wie Schlangen herab hängenden Beine zu, taucht schnaufend dazwischen auf und prustet wohlig Luft und Wasser heraus.

So soll es sein, so soll es sein, denkt er zufrieden. Seine Hände arbeiten sich schmeichelnd auf nasser Haut hoch, wandern über Brüste, die sich ihm gerne anzubieten scheinen. Vergessen ist in diesem Augenblick der ganze Ärger des Tages, die misslichen Botschaften aus dem Lager des Königs, die schlechten Ergebnisse, die seine Pächter vorlegten, die bösen Blicke der Neider bei der Audienz vor dem König. Aber Pippin. Ja, das ist so etwas wie ein Lichtblick in dieser Düsternis. Den will er zu seinem willigen Werkzeug machen. Er hat ihn ganz in seiner Hand, die gerade lustvoll auf einem haarigen Hügel ausruht, unter Wasser.

Die Römer wussten wirklich, das Leben zu genießen. Wir, als ihre siegreichen Nachfahren, sehen dagegen ziemlich klein und unfähig aus, das muss Arnulf zugeben. Ich werde die beiden mitnehmen, hinterher, da kommen mir bestimmt hilfreiche Gedanken, wie wir das, was die Römer geschaffen haben, noch übertreffen könnten. Aber nicht jetzt. Jetzt nichts als Lust, reine Lust. Bichöfliche Lust. Er muss lachen. Das freut die beiden jungen Gefährtinnen, denn sie kennen die Launen des Bischofs nur zu gut. Sie werden sich ordentlich Mühe geben, ihm zu Willen zu sein, dann drohen heute auch keine Schläge oder Schlimmeres gar.

Und oben tanzen weiter schattenreich die schlanken Nymphen um die Göttinnen des Olymps herum, als wären Götter und Menschen friedlich vereint.

14 Feb

Leseprobe zum Roman – Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück – Blatt # 78

Blatt # 78      Heimlicher Kriegsrat in der Villa Marcellina

Während in Lutetia längst beschlossen ist, die Villa Marcellina im kommenden Frühjahr von Pippin und seinen Mannen im Namen Christi zur Hölle zu schicken, kommen dort an dem Tag, an dem Bischof Arnulf Pippin ein Angebot macht, das dieser nicht ablehnen kann, drei Senatoren zusammen, um gemeinsam zu beraten, wie sie sich gegen zunehmende Willkür der Frankenkönige zur Wehr setzen könnten.

Julian hat für seinen Vater und die beiden Gäste in der Bibliothek ordentlich heizen lassen. Philippus, sein Lehrer, wollte eigentlich weiter mit ihm in Lukrez‘ De Rerum Natura lesen, aber den beiden war klar, dass dieses Treffen jetzt wichtiger war.

Da sitzen sie nun, die drei ehrwürdigen Herrn, eher ratlos und sehr besorgt. Die Ruhe im Lande ist lediglich dem Winter gezollt und nicht einem wirklichen Frieden zwischen den alten Eliten und den Emporkömmlingen aus Lutetia. Das ist ihnen völlig klar. Aber was können sie tun? Zu oft schon wurden Verträge gebrochen, zu oft schon Recht gebeugt. Marcellus legt gerade seine Sicht der Dinge dar:

„Freunde, Verlass ist nur noch unter uns dreien sicher. Die neuen Herren und ihre neuen Priester schauen verächtlich auf uns und unsere Villen und Ländereien. Unsere Götter scheinen uns zu zürnen, der alte Prokunsul in Arelatum wird uns keine Legionäre schicken.“

„Ist er nicht schon tot?“ fragt Barbinius Clarus in die Runde. Gajus Antoninus und Marcellus ziehen nur die Schultern hoch. Sie wissen es nicht. Warum sollen sie sich auch mit schlechten Nachrichten aus der Hauptstadt der Provinz beschäftigen? Wenn überhaupt, dann können sie sich nur noch selbst helfen. Und da die Ernte auf ihren Feldern im Herbst gut gewesen war und sie bestens verkaufen konnten – an Römer wie Franken – haben sich ihre Geldmittel unerwartet vermehrt.

„Wir sollten vielleicht unsere Sklaven im Bogenschießen unterrichten“, beginnt Marcellus. Seine beiden Gäste nicken – wenn auch erstaunt. Auch Julianus und Philippus, die stumm im Hintergrund des Lesesaals zuhören, sind überrascht. Für einen Augenblick träumt er davon, dass sie alle mit der Freiheit belohnt werden. Da meldet sich Gajus Antoninus zu Wort:

„Und geheime Waffenlager sollten wir umgehend einrichten und die Mauern erhöhen und verbreitern.“

„Da stimme ich dir zu, Gajus, aber dafür benötigen wir Jahre.“

„Und wie wäre es mit einer List?“ fragt Barbinius schmunzelnd.

Julianus horcht auf: Was könnte das für eine List sein? Verschwörerisch stecken die drei alten Senatoren die Köpfe zusammen, und ihr Gespräch, das sie nun ganz leise zu führen beginnen, sollte während des Winters noch große und überraschende Veränderungen ins Werk setzen.

22 Apr

Leseprobe # 2 Ausschnitt aus dem historischen Roman, zweiter Teil

Es geht nichts verloren, sagte schon Lukrez

Julianus spricht gerade mit Somythall über die letzten Unterrichtsstunden bei seinem wunderbaren Lehrer Philippus. Sie haben nicht mehr viel Zeit. Somythall wird in den nächsten Tagen aufbrechen, denn Rochwyn möchte sie noch vor Einbruch des Winters sicher nach Luxovium bringen. Dort gibt es weise Frauen, die ihr bei der Geburt helfen können. De rerum naturae. Somythall muss immer wieder schmunzeln, wenn sie ihm zuhört. Er ist so begeistert. So voller Lebensfreude. Da fällt ihr wieder ihre Großmutter ein: Ihr Gesicht, wenn sie ihr summend und mit strahlenden Augen alte Geschichten erzählt hatte. Mit einem wohlig wärmenden Kichern am Ende. Die Frauen, von denen die Großmutter da gesprochen hatte, waren auch so voller Lebensfreude, Liebeslust und Glücksgefühlen gewesen. Lukrez und die Urururgroßmutter ihre Großmutter müssen Freunde gewesen sein, denkt sie. Die strahlenden Gesichter, die sich Somythall dabei immer vorgestellt hatte, ähnelten dem von Julianus jetzt. Genau. Sie fühlen wohl das gleiche, denken in verwandten Bildern, träumen ähnliche Träume, strahlen die gleiche Wärme und Zuneigung aus wie er, jetzt.

Gibt es vielleicht geheime Töne und Energien jenseits von Zeit und Raum, die sie alle miteinander verbinden?

„Wie meinst du das, Julianus?“

Julianus ist begeistert. Dass Somythall so neugierig ist, macht ihn fast schwindlig vor Freude. Schade, dass die Sprache nur Wort für Wort das Gedachte herausbekommt. Lieber würde er alles, was er gerade denkt, auf einmal zu ihren Füßen legen. Mit ihr darauf eng umschlungen tanzen oder auch noch mehr. Nach mehreren Atemzügen und Liebe vollsten Blicken fährt er hastig fort:

Es hängt alles zusammen, das Größte mit dem kleinsten und umgekehrt, das Vergangene mit dem Gegenwärtigen und Zukünftigen. Lukrez ist sogar der Meinung, dass der klingende und schwingende Kosmos mit all dem verbunden ist; es gehe nichts verloren. Auch von uns selbst nicht.

Denn alles, was zerfällt – bis zu den kleinsten Atomen – wird wieder neu zusammengesetzt. Und das Neue hat in seinem Gedächtnis und in seinem Körper das Ehemalige dabei. So sei Werden und Vergehen miteinander verschränkt und fest verknüpft für immer. Selbst die Götter unterliegen diesem Fluss der Dinge und Atome.“

Somythall kann es nicht fassen. Wovor sollte sie dann noch Angst haben müssen? Sie und Julianus bleiben für immer miteinander verbunden. Eine warme Welle voller Lebensfreude überschwemmt ihren aufgeregten Körper.

Die Götter auch? Wie schön, dann sind sie uns ja viel näher und verwandter als die meisten glauben. Deine Götter genauso wie die meinen. Oder?“

Julianus nickt nur. Wortlos sitzen sie auf der kühlen Marmorbank. Die Schriftrollen in den Nischen um sie herum scheinen auf einmal zu flüstern. Auch sie wollen ihre Geschichten erzählen, wollen – wenn auch nur sehr, sehr leise – mitteilen, dass sie alles hören und verstehen können, was um sie herum gesagt wird. Und dass es genau zu dem passt, was sie selbst zu sagen haben, schon so lange.

Dass bald eine Feuersbrunst sie noch leiser und kleiner werden lassen wird, ist ihnen völlig einerlei.

Jetzt ist wieder ein solcher Augenblick, der Verwandtes unbedingt fühlen lässt. Jetzt. Somythall und Julianus saugen mit ihrem Atem all das in sich auf, lassen es in sich Herberge finden, Frieden. Der junge Römer sucht die Hand der schwangeren fremden Frau. Die bunten Figuren auf den Wänden scheinen zu schmunzeln. Alles hat in diesem Augenblick seinen richtigen Platz, alles passt zusammen. Und die zwei jungen Menschen spüren es auch. Als wüchse ungefragt eine wunderbare Kraft in ihnen, als löste sich von ihnen jedwede Schwere. So kommt es ihnen vor. Ausgelöst durch ein Buch, das vor so langer Zeit schon geschrieben worden war. Von einem römischen Autor, von Lukrez, der sich wiederum eng verbunden fühlte mit Gleichgesinnten aus den längst vergessenen griechischen Welten.

Da öffnet sich die Tür. Die Abendsonne zeichnet den Körper des Eintretenden in scharfen Linien, sein Gesicht schattenumhüllt. Aber sie kennen diese Gestalt genau. Es ist Rochwyn. Er kommt, um Somythall abzuholen. Selbst der nahende Abschied verliert unversehens seine Schwere. Die beiden stehen gemeinsam auf, umarmen sich wortlos und lösen sich voneinander.