13 Mrz

Europa – Meditation # 185

Wie weit von uns Europäern weg gedriftet!

Unsere Auswanderer der drei letzten Jahrhunderte nach Übersee! Unsere Retter in größter Not, damals 1944…Jetzt verstehen wir Europäer sie nicht mehr, wie nach einer langen Ehe, die auf falschen Voraussetzungen fußte.

Europa war nie nur auf Eigentum, Geld und Ansehen gebaut; Wissen, Achtung, Glaube und Fürsorge waren ebenso – wenn nicht sogar wichtigere – Eckdaten von gelingendem Zusammenleben und Respekt vor dem anderen. Doch dann sollte nach dem Zweiten Weltkrieg auf einmal alles anders, besser werden: Unsere Retter aus Übersee hatten die Entwürfe und das Darlehen dafür in der Tasche. Marshall-Plan. West-Integration, Nato. Konsum. Mehr, schneller, neuer. Und dazu ein Begriff von Individualität, der sich fast ausschließlich über Statussymbole, Konkurrenz, wirtschaftlichen Erfolg und risikofreudige Geldanlage-Spiele definieren musste.

Darüber wurde die Zeit zwischen 45 und 49 schnell vergessen, obwohl sie nur gemeistert wurde, weil Not, Hunger, Krankheit und Angst zu Nachbarschaftshilfe zwang, zu solidarischem Teilen und notgedrungenem Zusammenrücken. Und siehe da, die Not ließ sich ertragen, ließ sich gemeinsam beenden – eben weil man wusste, dass man auf den anderen angewiesen war. Es war wie ein Wunder, vor dem „Wirtschaftswunder“.

Jetzt – 75 Jahre später – ist von solchem produktiven Geist nichts mehr zu spüren. Vergessen. Eher wird man heutzutage darüber arrogant lächeln: Wie klein, wie wenig, wie unfertig und wie schlicht hatten da die Großeltern den Alltag hinter sich gebracht.

Dabei steht nun zum ersten Mal für die nachwachsenden Generationen ein sogenannter Paradigmen-Wechsel an: Die Selbstverwirklichungs-Rituale sind an ihre Grenzen gelangt: Ausgehen, Cruisen, Großveranstaltungen, extravagante Reisen, Klamotten spazieren führen – erst mal auf Eis gelegt.

Was nun ansteht, ist eine völlig neue – medial und in Werbespots nicht eingeübte – Lebenshaltung. In ihr spielt Geld eine untergeordnete Rolle, weil die Basis für all diese Selbstdarstellungsorgien – das Leben selbst – infrage gestellt ist.

Der Terminkalender und die damit verbundene Feier der völligen Verplanung des Tages, der Woche, des Monats, des Jahres sind obsolet, weil Zeit – wie aus heiterstem Himmel gestürzt – plötzlich wieder als das erlebt werden muss, was sie ist: bloß gestundet. Das war sie natürlich schon immer, aber die Zeitgenossen mussten darüber nicht viel nachdenken, weil die Ablenkungsmaschinerien auf Hochtouren liefen, als hätte der Europäer tatsächlich den Sinn des Lebens – alternativlos – entdeckt.

Nun aber erkennt er nicht nur in sich selbst, sondern auch im Passanten den Bruder, die Schwester der gleichen sterblichen Großfamilie, aus der wir alle abstammen. Und da dämmert es ihm nach und nach, dass wir nicht nur auf den anderen angewiesen sind, sondern dass wir dem anderen auch helfen müssen – nicht gegen Geld, sondern weil wir alle gleichermaßen hautnah erleben:            m e m e n t o   m o r i

09 Mrz

Europa – Meditation # 184

Warten, Weniger Wollen und  besser Wählen     oder:

The American Way of Life – ein Auslaufmodell in Europa. Überlebt. Für zu leicht befunden.

Wir haben immer die Wahl. Das hatten wir nur vergessen.

Bisher hieß es allerdings durchweg: Mehr wählen, mehr. Denn Wachstum sei der einzige Garant für Fortschritt ohne Ende.

Nun scheint sich dieser Glaubenssatz als bloße Behauptung zu entpuppen:

Wir Europäer haben in unseren Wetten wohl auf das falsche Pferd gesetzt. Jetzt wird vielleicht sogar das ganze Rennen abgesagt. Das kann doch nicht wahr sein!

Wir haben immer die Wahl. Die Not der Stunde erinnert uns wieder daran.

Vielleicht gibt es doch eine Alternative zur alternativlosen Fortschrittssaga. Und die wäre dann?

Wir wählen nachhaltiges Brauchen und Verbrauchen und auf jeden Fall weniger als bisher.

Wir erinnern uns daran, dass gegenseitige Unterstützung weniger Lügen und Bluffen nötig macht und wir dennoch gemeinsame Versorgung sicher stellen können in Europa.

Wir haben immer die Wahl. Wir können endlich auf eigenen Füßen stehen.

Die schicksalhafte Verquickung der vielen Volkswirtschaften muss nicht unbedingt in fatale Abhängigkeiten führen – finanziell, energiewirtschaftlich und ökologisch.

Angesichts der offenkundigen globalen Abhängigkeiten werden kurze Wege und regionale Verbindungen auf einmal wieder interessant und günstiger, verlässlicher. Wer hätte das gedacht?

Angesichts der plötzlich eingeschränkten Bewegungsfreiheit wird das Naheliegende doch tatsächlich wieder attraktiv. Muss denn die Reise immer mindestens um die halbe Welt gehen? Nein.

Wir haben immer die Wahl. Europa hat eigene Wurzeln.

Wählen wir den langsamen Takt beim Reisen und Anschauen, wird die Bilderfülle so opulent, dass der weite Weg gar nicht mehr nötig ist. Wählen wir die Erinnerung an vergessene Muster des Herstellens, Verteilens, Brauchens und Verbrauchens als wertvollen Ratgeber aus, dann öffnen sich völlig neue Wege – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.

Und auf einmal sind die vertrauten Muster nur eine von vielen Varianten der Lebensgestaltung, die wir für absolut nötig, weil fortschrittlich hielten.

Wir haben immer die Wahl. Europa eine lebendige Vielfalt und Einheit zugleich.

Keiner möchte sich da noch brüsten mit Tempo, Verschwendung und Wegwerfmustern.

21 Feb

Europa – Meditation # 179

Die Bilder im Kopf sind es … und nicht irgendein Gift!

Betroffenheit allenthalben. Das ist gut so und zeigt, dass wir alle in verwandten Gefühlswelten unterwegs sind, ganz gleich, woher wir kommen und welche Sprachen wir sprechen. Aber wir haben oft sehr, sehr verschiedene Bilder im Kopf, mit denen diese Verwandtschaft von uns allen mutwillig abgestritten werden soll – die einen stehen dann ganz oben und fühlen sich stark, die anderen werden in den Keller geschickt und sollen sich schämen – um nur zwei anschauliche Varianten solcher Bilder kurz zu skizzieren. Es ist also der reine Mutwille, der da Keile zwischen uns treiben will. Und warum? Die Ursachen sind vielfältig, so vielfältig wie die daraus entstehenden unseligen Wirkungen: Man hat seinen Job verloren, man kommt beim weiblichen Geschlecht einfach nicht an, man lebt in einer Familientragödie (Vater spielt – auch er arbeitslos – Mutter trinkt), man sieht unvertraute Konkurrenten im Alltag, die von weither kamen und hier Zuflucht fanden: Wieso soll ich dem etwas abgeben, wo es mir doch selber an allem mangelt? Und schon verdunkeln sich die Bilder im Kopf zu diesen „Verwandten“. Sie werden überschüttet mit aller Schande, die die Phantasie zu erfinden vermag. Das fühlt sich dann schon besser an. Und bald beginnt ein Kreisgespräch in der Kneipe an der Ecke, in dem ähnliche Bilder ausgetauscht werden. Man nickt, man versteht sich. Ist doch klar. Und schon sind die Bilder nicht mehr bloß eitle Kopfgeburten, sondern angenehme Beförderer von einem Gefühl der Kumpanei: Und bald entpuppen sich die ehemals mutwillig vor dem Spiegel eingeübten Wuttexte als ein scheinbares Recht, diesen anderen minderwertigen im Keller das Licht auszumachen – um im Bild zu bleiben. Von da ist es dann nicht mehr sehr weit zu der Bereitschaft, Täter zu werden. Einer muss eben die Drecksarbeit machen. Immerhin kann man dann darauf hoffen, so etwas wie ein cooler Held zu werden – unter seinesgleichen, immerhin. Und im Netz, wie in einem anschaulichen Bilderbuch, versorgt man sich Tag und Nacht vor dem Rechner hockend mit Vorbildern, Unterstützern und Antreibern.

Europaweit.

Denn diese Bilderwelt kennt keine Grenzen, außer denen, die im Kopf willkürlich gezogen werden gegen jene, die man nicht um sich haben will, die an allem schuld sind, die schwul sind, feminin, abartig.

Also sollten wir in Europa nicht vorschnell von einem Gift werden, denn das führt geradewegs wieder in dieselbe Bilderwelt, die mit Entsetzen gerade zur Kenntnis genommen werden muss.

Es ist kein Gift. Diese todbringende Haltung kommt täglich über unsere Sprache in unsere Köpfe, wo sie dann Amok läuft und sich hinterher auf der Straße spontan entlädt.

Also im Sprechen und Denken in der Mitte unserer Gesellschaft sollte wieder eine vermittelnde, eine respektierende, eine wertschätzende Wahrnehmung aller zur Norm werden.