09 Mrz

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 94

Der fremde Gott gibt sich zu erkennen.

Chandaraissa und Europa stolpern durch die enge Gasse, fühlen sich – eingehüllt in eine braune Staubwolke – geschoben und gedrängt. Aber von wem? Hustend wischen sie sich den feinen Sand von Augen, Mund und Nase. Europa hat ein ungutes Gefühl im Magen. Ist das jetzt der nächste Angriff ihres Entführers? Als sie jetzt in einer Hausnische an die Wand gedrückt dastehen, ist die plötzliche Windböe zerblasen.

Mir blieb nichts anderes übrig“, sagt die Gestalt, die sich aus der Sandwolke herausschält. Chandaraissa denkt: Der sieht aber richtig gut aus. Wer könnte das sein? Auch Europa ist erleichtert bei diesem Anblick.

Wer bist du und was hat das zu bedeuten?“ fragt sie den jungen Fremden.

Der schaut sich kurz um, ob die anderen Männer ihnen gefolgt sind, und sagt dann:

Ich tauche manchmal auf, um dem Glück auf die Beine zu helfen. Ihr wart in Gefahr. Da hab ich einfach etwas Wind gemacht.“

Er schmunzelt vielsagend und gibt mit einer Geste den beiden Frauen zu verstehen, schnell weiter zu gehen. Chandaraissa ahnt bereits, wer der Fremde sein könnte, sagt aber nichts, als sie los laufen. Dionysos? Auch Europa ist eigentlich mit seiner Antwort unzufrieden.

Woltónos, Thórtys und Németos stehen gleichzeitig sprachlos und mit offenem Mund da und glotzen die drei Wächter an. Wo sind die beiden Frauen? Der plötzliche Sandsturm hat sie weggeblasen. Einfach weg. Und die drei Wächter machen einen ziemlich schlecht gelaunten Eindruck.

Na, da habt ihr aber euren ersten wichtigen Auftrag echt in den Sand gesetzt oder besser gepustet, was?!“ mault sie der eine an, der ihnen eben den Mordbefehl gegeben hatte. Die beiden anderen nicken böse dazu.

Das kann man wohl sagen!“

Woltónos weiß nicht, was er dazu sagen soll. Zu viele Gedanken stolpern gerade durch seinen Kopf. Nichts läuft zur Zeit nach Plan, nichts. Archaikos, der Minos von Kreta, darf auf keinen Fall erfahren, dass er jetzt zur Palastwache gehört, auf keinen Fall. Also muss er irgendwie den Rückzug einleiten. Aber wie? Seine beiden Mitstreiter scheinen da keine Hilfe zu sein. Dümmlich starren sie vor sich hin, zittern, sabbern. Eklig.

Drei Gassen weiter hat der Fremde die beiden Frauen in einen kleinen Garten geführt, lädt sie ein, sich zu setzen. Er will ihnen alles erklären.

29 Feb

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 93

Chandaraissa und Europa werden auf geheimnisvolle Weise gerettet.

Die drei Männer – eben noch mit einem Anschlagsplan unterwegs – werden von den drei göttlichen Brüdern kurzerhand umgedreht: Als erster Beweis dafür, dass sie dem Minos von Kreta treue Palastwächter sein wollen, sollen sie gleich eine Gelegenheit dazu erhalten. Zeus hatte nämlich gerade bemerkt, dass seine beiden Feindinnen, diese Hohepriesterin und die Phönizierin, gerade aufgebrochen waren, um zum Tempel ihrer Göttin zurückzukehren. Nervös tuschelt er mit seinen beiden Brüdern, um sie einzuweisen. Woltónos, Thórtys und Nemetos zittern vor Angst. Worin könnte der Beweis bestehen? Da gibt ihnen einer der drei Wächter ein Zeichen. Sie sollen in die nächste Gasse einbiegen. Schon laufen sie los. Die drei Götter hinterher. Jetzt sollen sie sich in einer Hausnische verstecken. Die drei Brüder tun es ebenso. Sie schauen angestrengt die Gasse hinauf. Es dämmert bereits. Nur eine streunende Katze schleicht vorbei. Mit steil hoch gestrecktem Schwanz. Ob sie die Nähe der Götter spürt? Dann sehen sie zwei Frauengestalten sich nähern.

Die sind gerade dem Zugriff der Wachen entflohen, sie wollten den Minos umbringen!“

Woltónos glaubt, sich verhört zu haben. Zwei Frauen? Die da? Das wollte doch er mit seinen beiden Helfern erledigen. Ratlos schauen sich die drei an. Vielleicht träumen sie die Szene ja bloß, vielleicht…Da aber raunt der Wächter, der ihnen gerade flüsternd diese Neuigkeit eingeträufelt hatte, erneut:

Lasst sie nicht lebend davon kommen. Es sind nur Frauen, und außerdem böse Frauen!“

Dabei glauben sie Blitze durch seine Augen fahren zu sehen. Ihnen wird eiskalt, sie zittern. Aber was bleibt ihnen übrig? Sie stehen mit dem Rücken an der Wand. Es gibt kein Zurück. Jetzt sind die beiden Gestalten schon ganz nahe. Jetzt müssen sie los. Jetzt müssen sie töten. Sie wissen es. Doch da erkennen sie hinter den beiden Frauen so etwas wie eine schwarz umhüllte Gestalt, die lautlos mit beiden Armen fuchtelt, so dass plötzlich eine große Staubwolke die Gasse verschluckt.

Statt loszuschlagen halten sich Woltónos, Thórtys und Nemetos die Hände vors Gesicht. Sand in den Augen, in den Nasen, in den Mündern. Sie sehen gar nichts mehr. Der Wind, der durch die Gasse heult, schluckt jeden anderen Ton. So hören sie auch nicht, wie die drei Götter hinter ihnen heftig zu fluchen beginnen. Und die Gestalt, die eben noch hinter den Frauen zu sehen war, ist – wie die beiden Frauen auch – wie weggewischt.

Chandaraissa und Europa fühlen sich im plötzlichen Sandsturm in einen Innenhof gedrängt, stolpern weiter, bis sie auf der anderen Seite des Innenhofes wieder eine Tür finden, durch die sie davon laufen. Was ist da gerade passiert? Europa, aber auch Chandaraissa, haben das Gefühl, gerade einem göttlichen Machtkampf entkommen zu sein. Aber wer war es?

19 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 91

Nur Tagträume der drei Brüder Europas?

Die drei göttlichen Brüder – Zeus, Poseidon und Hades – brauchen vom Zweistromland zur Insel der Tochter des Kronos – jetzt aber olympische Adoptivtochter vom Heißsporn Zeus selbst – knapp eine Stunde. Unterwegs hatten sie sich als besonderen Scherz ausgedacht, diesmal als arme Fischer aufzutreten, um mal wieder ein Bad in der Menge zu nehmen. Lange mussten sie über diesen genialen Einfall lachen, lange.

Auf Aphrodites Insel ist gerade Mittagszeit. Die drei Brüder Europas liegen mit geschlossenen Augen am Strand – unweit des Tempels der Göttin – im Schatten eines Pinienwäldchens und geben sich genüsslich ihren Tagträumen hin. Nicht weit von der Stelle, wo sie sich ausruhen, stehen drei Fischer bei einander. Sie machen sich an einem zerrissenen Netz zu schaffen, das vor einem an Land gezogenen flachen Boot gelegen hatte. Die drei haben keine Ahnung, was zu tun ist. Sie sind ja keine Fischer, sondern olympische Götter. Grinsend ziehen sie mal da, mal dort am Fischernetz, als könnten so die Löcher weniger werden. Dabei unterhalten sie sich – wie drei Verschwörer – leise über Europas träumende Brüder Kilix, Kadmos und Phoinix.

Vielleicht sollten wir warten, bis sie wieder aufwachen“, sagt gerade der eine Fischer zum anderen.

Nein, Bruder, wir werden einfach ein paar Geschichten in ihre Ohren träufeln“, meldet sich Hades zu Wort.

Hervorragende Idee! Jeder nimmt sich einen und träufelt ordentlich was hinein. Was haltet ihr davon?“ fragt Zeus lachend.

Hades und Poseidon schauen verdutzt und mit offenem Mund ihren Bruder an. Dann haben sie verstanden, lachen, klatschen in die Hände und nicken erleichtert. Das dürfte ja wohl nicht so schwierig werden, denken sie; lässig lassen sie das Netz fallen, schlendern langsam am Strand entlang Richtung Pinienwäldchen und überlegen sich dabei, was sie denen eintrichtern könnten. Der Ehrgeiz hat sie nämlich gepackt. Jeder möchte hinterher sagen können: Meine Idee war aber die beste!

Hört mal, ihr zwei“, beginnt später Kilix als erster zu sprechen, „wenn wir weiter zu dritt nach ihr suchen, sind wir sicher weniger erfolgreich, als wenn jeder für sich auf die Suche geht. Oder?“

Kadmos und Phoinix hatten den gleichen Gedanken, sie haben sich auch schon Ideen ausgedacht und so brechen sie noch am gleichen Tag auf: Kilix will mit einem schnellen Segler Richtung Athen segeln, Kadmos mit einem großen Handelsschiff nach Ägypten und Phoinix mit einem Pilgerschiff nach Delos, wo einst Leto Artemis und Apollon zur Welt brachte. Er will dort die Priester befragen, ob sie etwas von ihrer Schwester Europa gehört haben. Abends, als alle drei Schiffe längst abgelegt haben, hocken drei alte Fischer in einer Hütte im Hafen vor ihren Weinkrügen, lachen, trinken und halten sich für große Siegernaturen. Sie sind einfach die Größten, meinen sie.