21 Jan

Fabel – # 6 aus Jonathanien (Leseprobe)

Fabeln aus dem wohlig warmen Urwald von Jonathanien # 6

Aus dem Blätterwirrwarr stürmt ein riesiges Nashorn. Wildepu und Thói sind ganz blass vor Angst und Schrecken. Im nächsten Augenblick wird dieser riesige Fleisch- und Panzerberg samt Horn auf sie los stürmen und ihr letztes Stündchen hat geschlagen.

Brururururu – kommt es aus seinem Maul, mit einem Vorderbein scharrt es im Urwaldboden. Dann fängt das Riesentier zu reden an:

Was guckt ihr so blöd? Habt ihr noch nie ein Nashorn gesehen?“

Sie schütteln beide den Kopf und denken, vielleicht wird es ja doch nicht so schlimm wie befürchtet.

Warum knurrst du denn so böse?“ fragt Wildepu vorsichtig.

Böse? Ich knurre böse? Soll ich mal böse knurren?“ dabei scharrt es noch lauter mit seinen Vorderhufen.

Nein, nein – wir dachten nur, dass du…“ „So, so, ihr dachtet nur. Da kann ich ja nur lachen. Außerdem habe ich überhaupt keine Zeit, mit euch hier rumzuquasseln. Ich suche diese Piratenbande, die haben nämlich…“

Wildepu und Thói können es gar nicht fassen. Sie wollen ja auch gerade zu der Piratenbande.

Ach so“, sagt Wildepu nun echt erleichtert. „Wir wollten auch gerade losgehen, die Piratenbande zu finden. Thói nickt eifrig hinterher. „Stimmt!“ fügt Thói noch schüchtern an.

Das Riesentier ist völlig verblüfft. „Echt? Ihr wollt auch da hin? Warum gehen wir dann nicht zusammen?“

Thói fasst all seinen Mut zusammen und fragt schließlich ganz freundlich:

Könntest du uns vielleicht auf deinem breiten Rücken mitnehmen?“

Klar. Wenn es weiter nichts ist, steigt nur auf. Wir sollten keine Zeit verlieren, wenn ihr mich fragt.“

Wildepu und Thói haben das Gefühl, dass sie gerade träumen. Eben erst glaubten sie, ihr letztes Stündchen habe geschlagen und jetzt bekommen sie sogar noch eine kostenlose Mitfahrgelegenheit. Da geht der Riese mit seinen beiden Vorderbeine auch schon in die Knie, damit Wildepu leichter aufsteigen kann. Vorsichtig hat sie sich Thoi, die Eidechse auf die rechte Schulter gesetzt und klettert furchtlos an dem grauen Riesen hoch. „Und wie heißt du denn eigentlich?“ fragt Thói leise.

03 Apr

E u r o p a – M e d i t a t i o n # 89 Heimat-Text Nr. 8

Juristen sollen den Politikern das Problem lösen

Was spielt sich da ab? In den Kneipen wird heftig debattiert: Nach und nach arbeiten sich die Leute an das Thema heran: Katalonien. Volksentscheid. Polizei – Einsatz. Auslieferung. Wer hat da welche Rechte? Rebellion und Veruntreuung von Geldern. So lautet der Vorwurf aus Madrid. Und was sagt Barcelona dazu? Europäer vor dem Landgericht in Neumünster. Deutsche Richter aus Schleswig-Holstein sollen über einen Spanier zu Gericht sitzen, der in Katalonien Unabhängigkeitsbestrebungen vorangetrieben hat. Ist das jetzt das David-Goliath-Spiel, was da gespielt wird?

Was würden die Brandenburger sagen, wenn vor einem Gericht in Salamanca ein Politiker aus Brandenburg sich verantworten müsste, weil er in Potsdam für einen Freistaat Brandenburg erfolgreich Wahlkampf gemacht hatte und jetzt von der Zentralregierung in Berlin ein Auslieferungsantrag gestellt wurde? Der Mann hatte in Portugal Urlaub gemacht und war auf dem Rückweg nach Brüssel, wo er bei der Europäischen Kommission sein Problem darlegen wollte.

Salamanca? Wo liegt das denn?

Wir hier in Potsdam rühren denen in Salamanca doch auch nicht in der Suppe rum. Was soll das denn?

Das Schöne bei diesem nun entstehenden Zorn ist allerdings, dass die Leute in den Kneipen in Brandenburg plötzlich spüren, dass sie die Kumpel am Tisch nebenan richtig nett finden. Die hatten sie völlig unterschätzt. Coole Typen.Wie die sich aufregen. Vorbildlich geradezu!

So entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Der Klang der Wörter, die ironischen Schlenker (der Pfarrer könnte auch mal wieder von der Kanzel anstimmen: Ihr seid das Volk. Hihihi…), die nächtlichen Fahrten an den Baggersee, damals…

Den Katalanen gleich hinter den Pyrenäen geht es sicher genauso.

Sollen die in Madrid doch ihre eigenen Seilschaften vor den Kadi bringen, die in Barcelona brauchen keine Hilfe in Sachen Heimat. Wirklich nicht.

Und wir hier in Potsdam oder die in Heilbronn oder die in Bonn auch nicht.

22 Apr

Leseprobe # 1 Zu den Fabeln der kleinen Fee

Der Mann im Mond – ein richtig guter Typ

In sanftem Sinkflug bringt uns Sindalf zum Eingang der großen Grotte vom Mann im Mond. Fahles Licht kommt von innen her auf uns zu, als wir mit bangen Herzen eintreten.

„Kommt nur alle herein, meine Lieben, ich habe schon so lange auf euch gewartet. Die Tafel ist für das längst fällige Gästetreffen festlich gedeckt, wie ihr es verdient habt!“

Wir trauen unseren Ohren nicht. Träumen wir? Seine Stimme ist zu hören, aber er selbst noch nicht zu sehen. Erst als wir tiefer in die Grotte kommen, öffnet sich der Felsenflur hin zu einem weiten hohen Saal. An den Wänden hängen zahllose Lampions, alle in der Form eines Vollmondes. Sogar die dunklen Stellen darauf fehlen nicht. Und in der Mitte ein langer hochbeiniger Tisch. Drum herum Sitzgelegenheiten, eigenartige; sie scheinen alle von innen irgendwie auch schwach beleuchtet zu sein. Am Kopf des Tisches steht auf einer oben abgesägten Alabaster-Pyramide der Gastgeber. So hatten wir ihn uns nicht vorgestellt: So klein gerade mal wie ich, die kleine Fee, er könnte ein kleiner Bruder von mir sein, breitbeinig und mit ausgebreiteten Armen winkt er uns heran. Er lächelt. Große hellblaue Augen strahlen uns an, darüber brauenlos eine hohe Stirn unter einem kahlen Schädel, aus dem fünf blaue Zöpfe steil in die Höhe zeigen. Sphärenmusik von irgendwoher. Aber etwas blass sieht er aus. Ob er krank ist? Leise, weiche Töne sind zu hören.

„Kleine Fee, für dich ist die Pyramide mir gegenüber reserviert, nimm doch einfach Platz. Deine Freunde werden ihre Sitze schon selbst herausfinden. Oder?“

Und so ist es auch: Sindalf schwebt lautlos zur linken Seite nach vorne, wo ein Gestänge mit jeweils zwei silbernen Flügelpaaren an den Ende der Querstange fest im Steinboden verankert scheint, landet problemlos und schaut streng in die Runde, als wäre diese hohe Halle das Falken-Reich. Die Freunde schauen ein Moment ratlos zum immer noch lächelnden Mann im Mond. Seine Hände hält er jetzt einladend ausgestreckt, als wollte er sagen:

„Hab ich nicht Recht, liebe Freunde, ihr kennt doch eure angestammten Plätze. Oder?“

Um die Schultern trägt er einen weiten offenen Mantel, der ihm bis zu den kleinen Füßen reicht, die in spitz zulaufenden gelben Stiefelchen stecken. Darunter erkennen wir den nackten schmalen Brustkorb, im Bauchnabel blitzt wohl ein Edelsteinchen. Und die Gürtelschnalle des grauen Gürtels ist geformt wie ein erloschener Vulkan. Statt einer Hose trägt er einen langen sehr bunt gestreiften wallenden Rock, in dem unzählige Sternchen gelblich weiß zu blinken scheinen. Verblüfft schaue ich die Pyramide direkt vor mir an. Wie soll ich denn da hochkommen? Im schummrigen Licht hatte ich die Stufen in der Rückseite der Pyramide gar nicht erkannt. Erleichtert steige ich nun, als wäre es das Normalste von der Welt – dabei waren wir doch auf dem Mond – diese Stufen hinauf und mache es mir oben bequem, lasse meine Beine lässig vorne herunterbaumeln und lächle dem großzügigen Hausherrn entgegen, der mir genau gegenübersteht. Dann sehe ich, wie meine anderen Freunde sich in Bewegung setzen, einige losstürmen, jeder zu seinem speziellen Sitzplatz, als wären es lauter Stammplätze: Alitot schreitet würdevoll auf der rechten Seite nach vorne; seine Sitzgelegenheit sieht aus wie ein flauschiger Ohrensessel, der von mir aus gesehen fast einem Fuchsbau zu gleichen scheint, also genau richtig für unseren klugen Freund. Mit einem kühnen Satz ist er auch schon oben und für einen Augenblick kommt es mir so vor, als stünde er gerade vor dem Eingang seines eigenen Zuhauses. Die weichen, dicken Polster aus hellbraunem Stoff – oder ist es hellbrauner Fels? – wölben sich schützend um den schlanken Fuchs, der sich räkelnd die bequemste Stellung darauf sucht. Gleich hinter ihm her war Blinker los gehüpft und hatte sich natürlich den alten Baumstumpf ausgesucht, aus dem ein starker Ast herauswuchs, auf dem unser Eichhörnchen nun vergnügt hin und her lief und ausgelassen mit dem bauchigen braun-schwarzen Schwanz auf das Holz schlug, als wäre es daheim im vertrauten Wald. Tebelchen, unser Rehkitz, das eigentlich erwartet hatte, dass Blinker sich bedanken würde für den Lift auf weichem Rücken, tippelt tänzelnd zu der einladenden Hollywoodschaukel und macht es sich darauf kichernd bequem. Fuchs, Eichhörnchen und Rehkitz alle zu meiner Rechten. Zu meiner Linken, wo vorne schon der stolze Falke Platz genommen hatte, belegen nun Weichzottel und Mürnli die beiden verbliebenen Plätze. Zwischen der Einladung Platz zu nehmen und dem Finden der Plätze vergehen in Wirklichkeit nur ein paar Augenblicke. Am längsten dauert es aber, bis Mürnli seinen besonderen Ort fürs Festmahl gefunden hat. Denn Mürnli hätte niemals alleine auf seinen Thron steigen können. Er ist nun mal der Kleinste von uns allen. Und große Sprünge wie Blinker kann er auch nicht machen. Sein Platz ist nämlich auf drei ganz schlanken Beinen oben drauf gebaut, von wo – wie ein kleines Sprungbrett – ein hölzerner Arm bis über den Tisch reicht. Da weiß ich natürlich gleich, was zu tun ist. Schnell springe ich die Stufen meiner Pyramide herunter, nehme Mürnli, der ja auf Weichzottels Rücken hatte sitzen dürfen, in beide Hände, steige wieder hinauf – noch bevor der liebe und sehr verlegene Igel überhaupt etwas sagen kann – und setze ihn einfach auf dem Tisch ab, auf dem weder Teller noch Becher zu sehen sind. Eigenartige Festtafel, geht es mir noch durch den Kopf. Mürnli aber wird sicher knall rot (zum Glück verheimlichen seine Stacheln diesen peinlichen Moment), denn alle schauen nun auf ihn, wie er über den Tisch flitzt und dann über das Sprungbrett zu seinem Thrönchen findet. Der Mann im Mond klatscht vergnügt Beifall. Also Entwarnung. Ich hatte schon gedacht, der würde vielleicht befremdet mit dem Kopf schütteln. Tut er aber nicht. Fein. Und Weichzottel, der gutgelaunte Wuschelbär, sitzt auch schon auf seinem roten Sofa, gleich neben mir.

„So, nachdem ihr nun alle eure Plätze gefunden habt, möchte ich auch gleich die guten Geister meiner bescheidenen Hütte bitten aufzutischen. Ihr habt sicher Hunger!“

Und wie, hätte ich am liebsten gerufen. Aber dazu bleibt gar keine Zeit, denn nun geschieht etwas ganz Geheimnisvolles: Zu den süßen Klängen, die immer im Raume zu tanzen scheinen, schweben von weiter hinten silbern glänzende Scheiben herein – fast wie fliegende Untertassen – und landen jeweils vor einem der acht Teilnehmern des Gastmahls. Und was noch viel geheimnisvoller ist: Auf jedem dieser Scheiben liegt genau das, was das Lieblingsgericht von jedem von uns schon immer ist. Doch gerade, als meine Freunde heißhungrig und gierig zulangen wollen, erhebt der Gastgeber noch einmal seine Hände, räuspert sich umständlich und hebt dann an – wohl zu einer längeren Rede. Wie eingefroren in unsere Geste starren wir zum kleinen Mann im Mond und beten im Stillen: Bitte, fasse dich kurz, wir haben solchen Hunger, bitte!

„Liebe, liebe Freunde! Ich weiß, ihr habt Hunger, aber ich muss es noch schnell los werden, wie es überhaupt möglich war, dass ihr es zu mir hierher schaffen konntet – so stark euer Gombral auch sein mag und so gut er auch fliegen kann.“

Hier macht der kleine Redner ein kleine Pause. Er genießt unsere staunenden und sprachlosen Gesichter. Denn wir sind auch wirklich baff: Woher kennt er den Namen unseres Dinofanten, woher weiß er von unserer Ratlosigkeit in Sachen Fliegen im Weltraum? Da fährt er aber schon fort:

„Ich hatte mich in einen Traum der kleinen Fee geschlichen und da mitbekommen, dass sie mit euch auf den Mond fliegen wollte, um den Mann im Mond zu besuchen. Da war ich so glücklich, dass nun endlich meine Erlösung nahte, dass ich gleich alle meine guten Geister losschickte, euch heimlich beim Atmen, Fliegen und Landen beizustehen, denn eigentlich ist unsere Welt hier im All euch Erdlingen nicht so einfach zugänglich. Doch daran sollte es nun nicht scheitern. Aber jetzt guten Appetit!“

Wir haben wirklich Heißhunger, das ist wahr, aber was wir gerade hören, überrascht uns so, dass wir uns zuerst gar nicht zu rühren wagen. Und wer wagt sich als erster aus dieser Sprachlosigkeit heraus? Genau. Mürnli, unser Igel.

„Äh, was meint ihr eigentlich mit ‚meine Erlösung‘? Wovon sollt ihr denn erlöst werden?“

Genau. Diese Frage schwirrt uns allen gerade durch den Kopf. Der Mann im Mond schmunzelt:

„Das erzähle ich euch dann nach dem Essen. Einverstanden?“