Europa – Meditation Nr. 508

Die Volonté générale und der Gemeinsinn schwinden europaweit. (Teil I)
Sommerloch? Keine Zeit für Sommerloch! Skandale, Skandälchen, Sport-Großereignisse Tag und Nacht und natürlich auch reichlich Eintagsfliegen, die zu Schein-Elefanten mutieren.
Auch die Kriege haben längst ihre Dauer-Präsenz in den Medien gefestigt: Opfer und Täter buhlen um Sendezeit. Der Zuschauer zappt hin und her, als ginge es um Video-Spiele. Kinder ertrinken in Sturzfluten, sterben bei Drohnen- und Panzerangriffen, dann Bilder von der Ahrflut und dem Wiederaufbau. Alles so austauschbar, so tonlos, so fiktiv, scheinbar.
Ein kleines Stürmchen im Wasserglas servieren vor der Sommerpause die gewählten Volksvertreter aus dem Berliner Medientheater: Eine Kandidatin für den Bundesgerichtshof scheitert. Und schon wird das unselige Gerangel der Ampelkoalition bemüht, um weiter in schlechter Laune baden zu können. „Die kriegen es einfach nicht gebacken!“ kommentiert der kompetente Zuschauer entrüstet und sieht sich in seiner Demokratie-Verdrossenheit ein weiteres Mal unsäglich bestätigt.
Die Parteien-Demokratie demontiert sich weiter selber. In den USA geradezu den politischen Gegner dämonisierend, in Europa immer mehr rechtslastig unterwegs.
Wer hat da eigentlich noch die Volonté Général im Blick? Was ist eigentlich noch der gemeinsame Nenner trotz aller Vielfalt im Parteienspektrum? Gibt es überhaupt noch so etwas wie Gemeinsinn? Wer definiert ihn heutzutage in der Medien-Demokratie? Die Medien?
Darüber wird gesprochen, aber nicht in den Medien, nicht auf großem Podium. Sondern in der Kneipe um die Ecke, auf dem Kinderspielplatz, im Park unter Schatten spendenden Platanen, im Viertel vor dem Kiosk, beim Boule oder beim Public Viewing. Hier kennt man sich, hier bekennt man Farbe, hier treffen die gleichen Sorgen aufeinander, hier ist Hilfsbereitschaft selbstverständlich.
Man hat sich längst von falschen Hoffnungen über die vierjährigen Wahlen verabschiedet. Aber man schöpft Hoffnung aus der Nähe zum Nachbarn, mit dem man Tacheles reden kann. Kleine Schritte, überschaubare Aktionen vor Ort – für die Kinder, die Alten, die Schulen.
Da wachsen realistische Pläne, Solidaritätsgefühle und Freude am gemeinsamen Sorgen. Denn das ist wirklich, nahbar und machbar, was man da bespricht. Lauter kleine Inseln, auf denen sich Nähe unverstellt erleben lässt.
Könnte man das nicht auch auf die nächste Ebene heben?
Europa als eine überschaubare Inselwelt, die mit lauter begehbaren Brücken verbunden ist, ein lebendiger Archipel, in dem jede Insel seine ureigene Geschichte hat und wo dennoch jeder weiß, dass er ohne den anderen Nachbarn gar nichts mehr gebacken bekäme.
Parteien-Demokratie? Ein Auslaufmodell. Ein Modell vernetzter Inseln, auf denen die Demokratie direkt gelebt wird, das sollte die Zukunft Europas sein. Ein Projekt, das gute Laune macht und Zukunft als gestaltbar denken lässt.