02 März

Europa – Meditation Nr. 491

Dreimal kommt das Rumpelstilzchen, dreimal!

Wenn Väter für ihre Töchter sorgen – wie zum Beispiel im Märchen – dann geht das fast immer zu Lasten der Frau. Auch der Prinz sieht die Fremde nur als Vermögenszuwachs und das kleine Rumpelstilzchen will dann den Deckel drauf machen. Dreimal wird gestundet, doch beim dritten Mal läuft das Glücksspiel aus dem Ruder und in seinem wilden Zorn, zerfetzt es sich selbst.

Als Märchen wollen wir es vielleicht gerade noch so durch gehen lassen, aber „on reality“? Die Tochter wird vom Zufall gerettet. Das ist einfach zu riskant. Da hätte schon der Vater für seine Tochter mehr Liebe und weniger Habgier mobilisieren müssen. Hat er aber nicht. Genau wie der Prinz.

Wenn nun aber zum Schluss das Rumpelstilzchen nicht mehr im Märchen auftaucht, sondern in der Realität, dann sollten wir erst recht aufpassen: Einmal ist schon der „DEAL“ , den er mit der Verzweifelten macht, kein deal, sondern nur gestundete Zeit, und zweitens würde er sich sowie so nicht an die eigenen Versprechen halten. Wär er ja schön blöd.

Wir können ganz sicher sein, dass er seine Verabredungen nur so lange einhalten wird, wie sie für ihn von Vorteil sein werden. Sonst ändert er sie einfach ab, oder behauptet, der Vertragspartner habe alles völlig falsch verstanden, oder er kann sich nicht mehr erinnern. Außer seine eigenen Spielregeln akzeptiert er gar nichts. Man kann also nur verlieren, wenn man wirklich meint glauben zu können, einen Vertragspartner vor sich zu haben. Das kann innerhalb von Sekunden kippen. Jede Laune ist ihm da recht, um sich nicht an irgendetwas gebunden fühlen zu müssen.

Ein schlichtes Gemüt, das ist er, das vor lauter Unsicherheit, Angst und Minderwertigkeitsgefühlen in jedem Augenblick seine Nebelkerzen werfen wird – es sei denn, wir erklären sein Spiel für beendet und gehen getrennte Wege.

Einmal rasselt er mit dem Schwert, einmal demütigt er den eigenen Gast, und einmal wird er noch einen drauf legen, um Eindruck zu schinden und um zu bekommen, was er will. So schlicht, so ausrechenbar.

Hören wir also auf, ihn ernst zu nehmen, verblüffen wir ihn einfach mit seiner eigenen fehlenden Verbindlichkeit.

Kommen wir doch noch einmal auf das ihm absolut gegen den Strich gehende Thema: Gleichberechtigung der Frauen.

Warum solidarisieren sich nicht einfach alle Frauen – schließlich sind sie längst in der Mehrheit – und kündigen – wie in Aristophanes’ Lysistrata – dem Papiertiger und seinem Zappelanhang, die hinter ihm her trottende Elefantenherde von Parteimitgliedern, nicht nur die Gefolgschaft, sondern auch das Betreten des Schlafzimmers. Das wäre sicher ganz auf seinem Niveau, nur nicht in den Zielvorstellungen akzeptabel.

Vielleicht wird er sich dann vor lauter Zorn vor laufenden Kameras selbst in Stücke reißen, um allen zu zeigen, dass er auch zum Äußersten bereit ist, dieser Dünnbrettbohrerrumpeltumpelpumpelseifenblaseneitelfatzke.

25 Feb.

Europa – Meditation Nr. 490

Das viele Blau sollte uns zu denken geben, endlich!

Hohe Wahlbeteiligung, klare Koalitionsvariante, abgestrafte Ampel. Und zwei sind weg…! Sieht so aus, als könnten „wir“ zufrieden sein mit diesem Ergebnis – doch angesichts der Situation in der Ukraine und den neu zu würfelnden Konstellationen in Sachen einer weiter regelbasierten multilateralen Welt hecheln die Europäer – aufgeregt wie aufgescheuchte Hühner – von einer Gesprächsrunde zur nächsten und beschwören Solidarität und Gemeinsamkeit: Die Amis sollen sich mal ganz schön wundern, der kleine Erdteil Europa kann auch „selber machen“, wenn es sein muss!

Wäre da nicht die blaue Welle, die gleichzeitig (84% Wahlbeteiligung) über den Osten rollt. Daran aber verschwendet kaum einer einen ernst zu nehmenden Beitrag. Doch die alten Wunden wollen einfach so nicht heilen. Die Menschen in den neuen Bundesländern können nicht mit Waren und Autobahnen gekauft werden. Weder gestern, noch heute, noch morgen. Sie sind bis ins Mark weiter gekränkt, abgehängt, geduldete am Katzentisch. „Ich kann es nicht mehr hören“ ist dazu der chorus mysticus der Besserwisser und Alleskönner aus dem Westen. Das aber verschlimmbessert es nur noch.

Denn von Anfang an war es eine bequeme Lüge, der „Westen“ sei der Retter und die „drüben“ sollen froh sein, dass sie gerettet wurden. Was für ein wohlfeiles Ammenmärchen ist das denn? Und nun haben „Wir“ ja wirklich wichtigere Probleme als olle Kamellen wieder auszulutschen, wirklich – oder? Die Arroganz, die dahinter hämisch grinst, ist ohnegleichen. Und die Retourkutsche ist der Wahlzettel mit dem Kreuz im blauen Feld. Beide derzeitigen Positionen sollten beiden Seiten peinlich sein und sie sollten möglichst bald endlich in die Phase der g e m e in s a m e n Überwindung einbiegen. Und zwar auf Augenhöhe.

Denn: Das Materielle war noch nie der letztlich entscheidende Faktor im Selbstbild eines Volkes. Immer sind es die gemeinsamen Geschichten, die gemeinsamen Bilder, die gemeinsamen Schicksale. Wenn allerdings der designierte neue Kanzler das in die Hand nähme, wäre es höchst wahrscheinlich gleich ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen: zu sehr würde er von oben herab, zu sehr konziliant, zu sehr in Siegerpose auftreten, als dass ihm irgendjemand aus den neuen Bundesländern abnähme, es ernst zu meinen mit dem notwendigen Eingeständnis, dass der Vereinigungsprozess von Anfang an in eine Sackgasse münden musste, weil die smarten Wessis sich und denen einzureden nicht müde wurden, es werde alles gut, wenn man nur die „Profis“ machen lasse und den Rest mit Infrastruktur zubetoniert. Den Rest würde die Zeit erledigen.

Nein, so läuft das nicht – auch nach 35 Jahren nicht! Denn gerade die immer älter werdenden Menschen in Blauzonesien, die nun auch vermehrt auf Hilfe angewiesen sein werden, werden sich in ihren Kränkungen einigeln und immer widerborstiger der Ärgerriese sein wollen, als ob man so etwas so ändern könnte. Denn diejenigen, vor deren Karren sie sich jetzt da trotzig spannen lassen, benutzen sie nämlich ironischerweise ebenfalls nur als Stimmvieh und nicht als Bürger mit ernst zu nehmenden Sorgen und einem ramponierten Selbstwertgefühl.

Auf der anderen Seite ist es in diesen kriseligen Zeiten unerlässlich, dass wieder ein möglichst ungeteiltes Wir-Gefühl endlich zustande kommt, damit solidarisch die inneren wie äußeren Gegner in Schach gehalten werden können und die nationalen wie europäischen Probleme gemeinsam bearbeitet werden können. Von den globalen Problemen ganz zu schweigen.

Es muss aber ein zentrales Projekt der kommenden Regierung sein, im Bündnis mit den Bundesländern, denn sonst wird noch aus dem jetzigen Blauzonesien ein schwarzblauer Mitteleuropa – Brei werden – 2029 !

21 Feb.

Europa – Meditation Nr. 489

Die Gleichzeitigkeit der vielen Zeitzonen im kurzen Leben des homo sapiens.

Die Zellen des Organismus haben ihre eigene Zeit: lautlos und fast nicht wahrnehmbar gestalten sie im Jetzt ihre endlos andauernden Veränderungen – zwischen Geburt und Tod. Ähnliche Abläufe, doch immer unverwechselbar einzigartig. Mit Hilfe erbärmlicher Tricks – wie Facelifting, viel Farbe und vielen Krafttrainingsgeräten – versucht die spezies über das Unausweichliche hinwegzutäuschen: einfach die Schlagzahl erhöhen, dann lässt sich scheinbar die Zeit links und rechts überholen und gewinnt so Zeit gegen die verfließende Zeit. Veränderungen liegen somit gewissermaßen in der Verfügungsgewalt des sich dennoch weiter Verändernden. Dem bloßen Hinnehmen des Alterns stellen wir ein aktives Gestalten der eigenen Gestalt gegenüber, die dem Traum vom Anhalten der Zeit näher und näher zu kommen scheint.

Und um nicht auf Selbstzweifel und Verzagtheit zu verfallen, erfindet sich der homo sapiens ein immer wirkungsvoller die Zeit außer Kraft setzendes Ablenkungsprogramm, das es ihm ermöglicht, je länger, je mehr dem flüchtigen Augenblick so etwas wie Dauer zu verleihen. Lieblingswort: Dauerschleife. Die einzigen Störfaktoren in diesem running gag sind Krankheit und Erschöpfungszustände. Aber auch die können überbrückt werden mit der immer gleichen Methode: Ablenkung, traumloser Schlaf und gesunde Ernährung. Das regeneriert den Organismus nachhaltig, glaubt dann der homo sapiens.

Aber weitere Störungen melden sich hartnäckig zu Wort: Anfälle von Einsamkeit malrätieren den nach vorne stürmenden Blindgänger, ein overkill an Botschaften überschwemmt den eitlen und neugierigen Zeitgenossen, Lärm und schlechte Luft drangsalieren den flüchtenden Dauerläufer. Aber es will einfach nicht aufhören, das Gerenne, das Gequatsche, das Getue, das Gemeckere. Als würden Goldmedaillen verteilt für den überzeugendsten „Schlechte-Laune-Propheten“. Nur nicht angepasst sein, nur nicht mitlaufen, nur nicht Durchschnitt oder gar „normalo „ sein! Am besten gleich wieder shoppen gehen, Kurzurlaub buchen, zocken, kiffen, cracken, Staffeln glotzen.

Gleichzeitig zieht die Klimakrise weiter ihre Kreise zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Verbrennermotoren bespielen ihre Halter mit sonoren Klängen, während gleichzeitig Plastik zum festen Partikel-Bestandteil der Meere wird, aus dem einst das Leben an Land kroch.

Gleichzeitig wird die wärmende Sonnenstrahlung mehr und mehr zum zusätzlichen vorzeitig Vernichter der species – home-made, versteht sich.

Statt die eigene Abhängigkeit von den Mitmenschen als Chance und Gegengift zur mörderischen Individualismusspirale zu begreifen und so gleichzeitig der eigenen Veränderung in der Zeit solidarisch in Familie, Freundschaft und guter Nachbarschaft zu begegnen, beschleunigt das hilfsbedürftige Einzelwesen seine Fluchtkonditionierung hin zu immer schnelleren und besinnungsloseren Ablenkungsmanövern.

So wächst gleichzeitig die antrainierte Fremdheit mit dem eigenen Organismus ins schier Uferlose und kann so auch nicht mehr als das erlebt werden, was sie ist: trotziges Totschweigen des selbst inszenierten Sackgassen-Wettrennens, das individuell immer mit dem eigenen Tod endet.

Dennoch existieren wir weiter als verwandte Wesen, die auf die familiäre Hilfe von Anfang bis Ende angewiesen bleiben, so aber dieses belebende Erleben sich verweigern, was sie im Grunde ausmacht: Nähe, Wärme, Schutz, Hilfe annehmen und Hilfe geben. Schwäche, Bedürftigkeit, ein Mangelwesen eben.