06 Juni

Europa – Meditation Nr. 504

Rumpelstilzchen und Kasperle klatschen sich platschend ab.

Als wären die Europäer kurz ins Märchenland der Gebrüder Grimm katapultiert worden: Da trifft das tapfere Schneiderlein auf den schlafenden Riesen und mit Bauernschläue wird der eine zu Fall gebracht, während der andere von einem Sieg zum anderen eilt. Und die Moral von der Geschicht’? Wenn da, wo eigentlich der gesunde Menschenverstand das Sagen haben sollte, Poltergeister ihre Feste feiern dürfen, darf es niemanden wundern, wenn am Ende beide sang- und klanglos untergehen.Wenn Fundamentalisten à la Pilgerväter in die neue Welt segeln, um dort ein neues Jerusalem zu gründen, darf es niemanden wundern, dass bald dort nur noch zwei Götter das Sagen haben: Das Geld und ein unbarmherzig strafende Gott.

Die Europäer haben lange gebraucht, um diese unheilige Allianz zu durchschauen. Da musste erst ein Rumpelstilzchen wütend auf der Stelle tretend und ein Hanswurst von Kind gebliebenem Draufgänger samt Kettensäge auf großer Bühne seinen Veitstanz inszenierend gemeinsam Lügen verbreiten, bevor sie kurzerhand die lächerlichen Masken fallen ließen, damit man die Fratzen dahinter ungeschminkt besichtigen konnte:

Europäisches Demokratie-Verständnis, das sich in Einklang sah mit amerikanischem Vorverständnis, musste zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur ein gewisser Goebbels ein gelehriger Schüler in Amerika war, wie man mit Werbung die Leute übers Ohr hauen muss, um Gewinn zu machen, sondern auch die Verlierer des zweiten Weltkrieges, die schuldbewusst und in vorauseilendem Gehorsam eben solche Muster sich aufschwatzen ließen.

Jetzt gehen ihnen die Augen auf: der in Europa einst erfundene Nationalismus echot nun aus Übersee in seiner bizarresten Weise, gekoppelt mit einer wüsten Gier nach fossilen Brennstoffen -als gäbe es keine Öko-Krise – von den Bereicherungsphantasien eines techno-pseudo-visionären Futurismus der siamesischen Zwillinge Musk und Thiel assistiert, denen Deregulierung und Neo-Liberalismus das neue Mantra ist.

Dass sich Musk und Trump nun öffentlich nicht entblöden wie kleine Jungs, die alleine mit der elektrischen Eisenbahn spielen wollen, auf einander einzuschlagen, sollte nun auch den letzten Europäern, die bisher das amerikanische Modell für vorbildlich hielten, klar gemacht haben: Wir Europäer müssen endlich unser Geschick in die eigenen Hände nehmen. Eine einmalige Chance, die ökonoomische, philosophische und soziale Kraft des alten Kontinents phantasievoll und wild entschlossen zu bündeln und wirkungsvoll gegen hegemoniale Gelüste – von wo auch immer – zusammenzustehen.

03 Juni

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 187

Das Ende der Regentschaft von Europa auf Kreta. (Teil I)

Beim nächsten Vollmond ist es so weit: Europas Söhne, ihre Zwillinge, sollen sich nun endlich den Thron des Minos von Kreta teilen. Sie hatten geduldig gewartet, wenn auch nicht immer in Gelassenheit, denn viele Entscheidungen ihrer Mutter gefielen ihnen ganz und gar nicht. Sadamanthys und Parsephon hatten vor allem die Strafe für die alten Ratsherren nicht verstanden: Würden sie nicht versuchen, aus ihrem Kerker heraus Gefolgsleute für eine Rückkehr in die Freiheit zu gewinnen? Würden sie nicht versuchen, den Beginn ihrer Herrschaft zu unterlaufen – mit Attentaten, mit Gerüchten? Aber ihre Mutter hatte immer nur abgewunken: „Die große Göttin ist auf unserer Seite. Seid also unbesorgt!“ Das war ihre immer gleiche Antwort auf ihre Zweifel.

Schon weit vor Sonnenaufgang beginnen die Vögel eifrig mit ihrem Gesang. Laut und prächtig. Europa hatte schon ihre Gebete im Tempel der großen Göttin verrichtet, hatte mit ihrer Freundin, der Hohepriesterin Chandaraissa, noch einmal die Feierstunde vorbesprochen. Jetzt wirft sie einen letzten prüfenden Blick in den Thronsaal. Es ist alles so, wie sie es angeordnet hatte. Nur der Weihrauchduft fehlt noch.

Mit schnellen Schritten bewegt sie sich durch die stillen und sie dämmrig einhüllenden Gänge. Dann klopft sie kräftig mit dem bronzenen Minotauruskopf an die Doppeltür zu den Gemächern ihrer Söhne. Es dauert eine Weile, bis ihr geöffnet wird. Die beiden Diener verneigen sich erschrocken vor ihr: „Herrin, verzeiht, wir haben dich noch nicht erwartet!“ „Schon gut, schon gut! Sind die beiden noch nicht auf?“ fragt sie beim Eintreten. Wie können die beiden noch schlafen, geht es ihr durch den Kopf. Jetzt, wo ihr großer Tag anbricht! „Sadamanthys, Parsephon!“ Ihre helle Stimme füllt hallend den Raum. „Steht auf, sonst verpasst ihr noch eure eigene Inthronisation!“ Lachend klatscht sie in die Hände, reißt ihnen die Felldecken vom Lager und staunt, wie groß und kräftig sie doch geworden sind, ihre beiden Söhne, ihre Zwillinge. „He, was machst du da, ich friere!“ meldet sich nörgelnd Parsephon zu Wort. „Wir haben doch noch Zeit, Mutter, bitte!“ nuschelt Sadamanthys. „Nein, habt ihr nicht. Im Thronsaal werden schon bald die neuen Ratsherren und all unsere Ehrengäste eintreffen. Also los, rein in die festlichen Gewänder! Oder wollt ihr vom Volk als Schlafmützen verlacht werden?“

Das sitzt. Wie vom Blitz getroffen springen sie beide auf, steigen in die Wannen mit dem warmen Wasser, lassen sich einseifen, abtrocknen und einkleiden. Europa ist längst wieder unterwegs, um letzte Anweisungen für die Feierlichkeiten loszuwerden. Im gesamten Palast herrscht emsiges Treiben, Laufen, Tragen.

Jetzt schleichen sich die ersten frischen Sonnenstrahlen durch die Fenster, auf dem Dach stehen bereits die Posaunenbläser, um auch den Menschen unter im Hafen den Beginn der Feier anzukündigen.

Nur oben im Olymp – da ist jemand sehr schlechter Laune, ähnlich den alten Ratsherren unten im weitläufigen Kerker der Wächter und Pfleger des Minotaurus. Zeus zürnt Europa wie ein kleiner Junge, dem man vom Spiel ausgeschlossen hat. Und sinnt weiter auf Rache.

02 Juni

Europa – Meditation Nr. 503

Das Nationalstaatsprinzip gehört längst zum Altmüll (Teil II)

Selbst das Römische Reich – das alte Europa also – verzichtete auf Nationalstaats-Räson – das Zentrum versammelte um sich herum lauter Satelliten, die nicht nur ihre jeweilige Religion, sondern auch ihre soziale Strukturen beibehalten durften – sie mussten nur Steuern und Soldaten abführen, um das gesamte Große Ganze nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern auch prosperieren zu lassen. Ein kluges Modell, dass die Peripherie genauso wachsen ließ wie das Zentrum. Und die maßgeblichen Macher kamen mehr und mehr auch vom Rand, brachten frische Gedanken und neue Typen in die Bürokratie, Philosophie und in das Wissen über Straßen- und Kuppelbau, von kilometerlangen Viadukten ganz zu schweigen.

Dieses Wissen und dieses kluge Konzept ging im Mittelalter scheinbar verloren. Man setzte auf Stammeszugehörigkeit, überwölbt von nur noch e i n e m Gott, der keine fremden Götter mehr neben sich duldete. Entsprechend kriegerisch verhielt man sich jedem potentiellen Konkurrenten gegenüber. Kriege über Kriege, Massaker über Massaker, Elend auf Elend Jahrhunderte lang.

In der Neuzeit kamen die Europäer dann auf die unselige Idee, dass die Stämme und Völker in übergeordneten Nationalstaaten zu sortieren seien. Von kleinauf wurde dieses unerbittliche Zwangshemd „Nation“ wie ein Krebsgeschwür als Raster über den gesamten Kontinent ausgeweitet. Darunter brodelte es mächtig – dem wusste man aber entgegenzutreten, indem man nach außen ablenkte: sich „unterentwickelten Landstriche“ einverleibte, sie ausbeutete und in gewaltsamer Abhängigkeit hielt. Sich selbst stilisierte man zur erfolgreichen Species, die gewissermaßen ein Recht auf solche Knebelung zu haben schien – wenn nötig auch mit Gottes Segen. Vom Platz an der Sonne bis zur „Entwicklungshilfe“ schuf man sich Raum für Unterdrückung und Vorherrschaft – alles im glitzernden Spiegelbild einer nationalen Ideologie von Vorrang und gottgewolltem Tun.

Als man aber in Übersee auf die europäischen Konkurrenten stieß, musste der Nationalgedanke noch einmal überhöht werden: auch innerhalb der verschiedenen Nationen musste doch jedem vernünftigen Menschen einsichtig sein, dass es eine Hierarchie der Nationen gab, die sich nicht zuletzt am kriegerischen Erfolg festmachen ließ.

1945 waren dann mehr als 52 Millionen Tote zu beklagen – alle „natürlich“ ehrenhaft für die eigene Nation gefallen. Selbstverständlich gab es da auch die guten und die bösen Nationen.

Die regionalen Strukturen aber hatten sich jenseits dieser nationalen Auswüchse weiter erhalten. Jetzt können sie endlich wieder zu sich selbst finden, ein Wir leben, das auf friedlicher Nachbarschaft basiert, das nach der arroganten Bevormundung durch die Vereinigten Staaten von Amerika sich in einem neuen Bündnis von gleichwertigen Partner europaweit organisiert: die eigenen regionalen Stärken systematisch ausbaut und die notwendigen Zugeständnisse zur gemeinsamen Verteidigung dieses auf Diversität basierenden Modells gegen das Auslaufmodell „Nation“ mutig favorisiert, um gemeinsam nicht nur den Kontinent, sondern auch den Planeten aus den selbst zu verantwortenden Krisen herauszumanövrieren mithilft. „Gebt Europa, was Europa zum friedlichen Wachsen braucht!“ – damit der Rest regional blühen und gedeihen kann!