Lachte doch nur das Glück in Europas Gesicht! (Mythos # 23 )
Des Chaos Töchter und Söhne greifen weiter mutig ins Leere und Europa genießt
wild entschlossen den nächsten Augenblick des Glücks
I
Die drei ungleichen Brüder sitzen schwitzend im Dampfbad unter der Erde und starren vor sich hin. Immerhin sind sie die wichtigsten Götter überhaupt. Hades, der Herr der Unterwelt, denkt angestrengt nach. Gar nicht so leicht bei der feucht-schwülen Luft, stöhnt er gelangweilt. Sein Bruder Zeus schaut ihn aus seinen Glupschaugen an, als hätte er etwas verbrochen.
„Glotz nicht so, Bruder!“
zischt Hades leise und plantscht dabei mit seinen spinnendürren Fingern in der brodelnden Schwefelbrühe. Und Poseidon, der immer noch grinst, weil ihm die Entführungsgeschichte der Europa nicht aus dem Kopf geht, weiß sich auch keinen Rat. Auch ihm ist es viel zu heiß hier drinnen, in dieser hoch gewölbten Grotte. Immer wieder machen diese Menschen einfach, was sie wollen, sinniert er vor sich hin. Da bleibt ihnen aber nun wirklich nichts anderes übrig, als mal wieder ein Zeichen zu setzen. Der Frauen Übermut gilt es entschieden in Schranken zu weisen. Und Zeus, der Obergott, der sich gerade ächzend aus dem heißen Nass zu erheben versucht, bläst wütend die Backen auf und spürt genau, dass die beiden jetzt einen umwerfenden Plan von ihm erwarten.
„Also gut. Es reicht. Semele wollte nicht auf mich hören, Alkmene fühlt sich betrogen…“
Da fährt ihm grummelnd Hades dazwischen:
„Ja, ja. Die Leier kenne wir jetzt schon bis zum Überdruss, lieber Bruder. Willst du sie wirklich wieder alle aufzählen? Leda, Mnemosyne und wie sie alle heißen mögen.“
„Wollte ich auch gerade sagen“,
mischt sich gleich der neidische Poseidon ein,
„selbst deine Frau kann es nicht mehr hören. Stimmt’s?“
Zeus kann es gar nicht fassen. Wofür hat er eigentlich denn seine Brüder? Die sollten ihm helfen. Ist doch das mindeste! Aber nein, sie fallen ihm geradezu in den Rücken. Übel, echt übel.
„Gut. Ich mache euch jetzt einen Vorschlag, den ihr nicht ablehnen könnt. Streng geheim, versteht sich. Hera darf auf keinen Fall erfahren, was wir abgesprochen haben.“
Hades und Poseidon machen große Augen und nuscheln wenig begeistert vor sich hin:
„Noch haben wir gar nichts abgesprochen, Bruder, rein gar nichts.“
Zeus holt tief Luft, schürzt kurz die wulstigen Lippen und verkündet dann seinen Beschluss:
„Wir drei werden von nun an – natürlich insgeheim und ohne weitere Mitwissen – die Frauen nicht nur beim Gebären leiden lassen, sondern auch sonst.“
Zufrieden strahlt der Obergott seine verdutzten Brüder an. Meine Güte, was schauen die nur so blöd aus ihren schwitzenden Visagen! Das hat wohl gesessen. Hades und Poseidon wechseln ausdruckslose Blicke, nicken fast unmerklich, verdrehen die müden Augen und schweigen gerne weiter. Zeus streckt seine vor Schweiß triefende Hand aus, die beiden Brüder schlagen lustlos ein.
II
Im Land der Libanonzedern
Während die drei mächtigen Götter in der Unterwelt ihre Geheimabsprache besiegeln, läuft Agenor, Europas Vater, weiter schlecht gelaunt durch die finsteren Gänge seines Palastes. Wütend muss er sich eingestehen, dass der Meuchelmord an seiner Frau ihm keinerlei Befriedigung verschafft. Schlaflos liegt er nachts alleine auf seinem großen Bett und giert nach seiner Frau, die genau wusste, was er wollte. Er hat sie töten lassen. Sie war ihm zu eigenmächtig, zu stolz geworden. Und Europa, seine Tochter, einfach verschwunden. Ein blutrünstiger Gedanke zischt wie ein tödlicher Blitz durch seine Ohnmachtsphantasien: Jede Frau, die er von nun an in sein Bett holen wird, weil er es einfach braucht, soll es mit dem Tode büßen müssen. Aber der Plan verschafft ihm keine Befriedigung. Ich werde Spione ausschicken – in alle Himmelsrichtungen – einer muss Europa doch finden, einer wenigstens. Dann werde ich sie für den Rest ihres Leben einsperren. Kinderlos soll sie alt werden und sterben. Auch dieser Gedanke kühlt nicht seine Wut. Aber ich bin der König, keiner soll ungestraft meinem Willen im Wege stehen. Vielleicht sollte ich einen großen Krieg beginnen, damit alle Welt sieht, wie furchtbar meine Rache sein wird.
III
In P a i t o lacht das Glück Europa ins Gesicht
Zwei Gesichter hat dieses Lachen aber. Zwei. Das eine sieht Europa, als sie morgens neben dem Minos von Kreta in dessen Schlafgemach erwacht. Die feinen Morgensonnenstrahlen suchen begeistert ihren nackten Körper ab. Im Raum flimmern zahlose Goldstaub-Tänzerinnen und -Tänzer. Archaikos lliegt noch immer in tiefem Schlaf. Sein Gemächt hängt klein und zufrieden zwischen den kräftigen Lenden. Die Lust der gemeinsamen Nacht hat ihn wohlig geschwächt. Europa genießt den Anblick des schlafenden Manns. Lange betrachtet sie ihn. Wie feurig gestern sein Blick auf ihr geruht hatte. Wie stolz er sie in Schranken wies. Und wie sehr sie diesem Blick stand gehalten hatte. Es war ein gieriges Kräfte Messen gewesen. Und als sie sich berührt hatten, brachen die Dämme ihres Fremdseins lautlos ein. Falls neues Leben in mir wachsen soll, werde ich nicht wissen, wer der Vater ist. Ein wunderbarer Gedanke, das wird ihr nur zu deutlich. So lacht nicht nur dieser Morgen überschwenglich Europa an, nein, sie selbst genießt ein entspanntes Lachen über sich und ihre Kühnheit, über ihre Gewissheit. So lacht sie und betet sie zu ihrer Göttin. Was für ein Glückstag!
Aber das andere Gesicht dieses Lachens sieht sie nicht. Das baut sich draußen vor den Mauern des Palastes von Paito auf: Die alten Herren tuscheln, grinsen, lachen. Wenn der Minos von Kreta so unüberlegt und so hastig eine völlig fremde Frau mit in sein Bett zerrt, dann haben sie etwas in der Hand gegen ihn. Nicht ungestraft wird er sie alle vor ihr gekränkt haben. Sie werden Rache nehmen. Dieser unbedachte Schritt des Minos schmiedet sie mächtig aneinander, so sehr sie sich auch untereinander hassen mögen. Sie können sich nun zu den Bewahrern der Insel aufschwingen. Der Minos von Kreta, Archaikos, hat sich als zu leicht befunden erwiesen. Und die fremde, allzu stolze Frau, wird bald schon bloß eine lächerliche Geschichte sein. Es wird sich leicht jemand finden, der für sie tun wird, was jetzt zu tun ist. Ein hässliches Lachen quillt hämisch durch die Ritzen der alten Mauern. Die Vorboten eines unverhofften Unglücks.