Europa – Verraten und verkauft ? Meditation (# 41)
ubi bene, ibi patria
wo es mir gut geht, da ist auch mein Zuhause
Und wo kann es mir gut gehen? Doch nur da, wo ich mich auskenne und wo mich die anderen im Alltag kennen und zu schätzen wissen. Und wo ich Arbeit finde und wo die Kinder angstfrei Kinder sein dürfen.
Das kann aber nur in einem vertrauten geographischen Rahmen sein, der durch Sprache, Glaube, Kultur und Gebräuche sich selbstverständlich weiter gibt – von Generation zu Generation. Zahlen sind da höchstens praktisch, nützlich und Spielwiese, nicht aber gesellschaftliches Programm, Leitlinien.
Heimat kann in einem solchen Selbstverständnis in der Vergangenheit liegen, auf einem anderen Kontinent oder in Träumen und Phantasien, manchmal aber eben auch im eigenen Zuhause. Die Vielfalt der jeweiligen Sinnfüllungen von Heimat schafft Abend für Abend überraschende Gespräche im Gasthaus oder bei Festen daheim. Man erkennt sich wieder oder auch nicht, man wundert sich oder auch nicht, man versteht es nicht oder auch doch. Immer aber bleibt das Andere, das Fremde einem entfernt vertraut. Angst, gar Schrecken kann da nicht wachsen.
Ein Gedanke zu dem Stichwort Zahlen: Gerade kommen – wie froheste Botschaften – Meldungen aus der EU, Griechenland bekomme neue Kredite, weil es „geliefert“ habe. Nun könne es ja in der Wirtschaft – langsam zwar, aber immerhin – wieder aufwärts gehen, soll der neugierige Zeitgenosse denken. Was verbirgt sich aber hinter den Zahlen? Doch nichts anderes als die weiter gestundete Zeit, Zinsen für Schulden bedienen zu können. Da bleiben kaum Zahlen übrig, hinter denen sich ein wirtschaftlicher Aufschwung vermuten lassen könnte. Augenwischerei. Nur die Gläubiger werden so bei Laune gehalten – das darbende Volk soll zumindest ein Gefühl haben dürfen, die Drehschrauben seien gelockert worden, es dürfe ein bisschen aufatmen. Augenwischerei. Mit Solidarität der Europäer hat das nichts zu tun, wohl aber mit Zahlenreihen der Banken und Staaten, die Geld geliehen haben, um damit Geld zu verdienen.
Wie sollte es da denen gut gehen können, die da nicht Zuhause sind, sondern die unter solchen Zahlen weiter zu leiden haben? Wenn sie nun mit ihresgleichen über die neuen Zahlen reden in diesen Tagen, werden sie nur abwinken können. Solidarisch sind sie in ihrer Not mit den anderen Notleidenden, das ist ein gutes Gefühl – an das allerdings gerne Gesundbeter der schlimmen Art anzudocken versuchen. Auch in dieser Erfahrung sind wir Europäer Verwandte, die bei der Suche nach den Verursachern der Misere oft den Vereinfachern einfach folgen – manchmal aus Wut, manchmal aus Unkenntnis, manchmal voller Lust, um sich wenigstens für einen Augenblick stark fühlen zu können.
Wissen und Bildung sind zwei brauchbare Geschwister, mit deren Hilfe Verführer keine Chance haben, jemanden einfach so über den Tisch zu ziehen. Da müssen allerdings Menschen vor jungen Leuten stehen, die Vorbild, Herausforderer zu sein vermögen, denn auch Wissen und Bildung können nur wachsen, wenn Lernen zwischen Menschen respektvoll verhandelt wird. In überschaubaren Gruppen.
Wer kennt nicht das Trojanische Pferd?
TTIP ist solch ein Pferd. Wie ein stolzes Geschenk auf eine blühende Zukunft steht es vor den Toren Europas. „Kommt, holen wir es zu uns herein!“
Lieber nicht. Denn wir geben dann endgültig den Überblick über wirtschaftliches Handeln an einen Zahlenapparat ab, der sich unserer Kontrolle und unseren europäischen Normen endgültig entzieht. Stattdessen sollten die europäischen Teilnehmer am Weltmarkt sehr wohl auf ihren eigenen Wertschätzungen beharren. Die Qualität ihrer Produkte und die Qualität ihrer Spielregeln sind nach wie vor vorbildlich, nachahmenswert und weiter zu verfeinern.
Daraus lässt sich Stolz auf Eigenes ableiten, Wiedererkennen von Vertrautem sichern und so etwas wie ein Gefühl von Zuhause empfinden, bei sich sein, sich gut fühlen.
Und es lassen sich dann auch Geschichten erzählen, die gemeinsame europäische Geschichte verdeutlichen, die Kinder gerne hören wollen, weil man darin die eigene Biographie wiedererkennt, die in Sprache, Glaube und Kultur eingebettet bleibt wie in ein gemeinsames Zuhause.