Europa – Mythos # 45
Das göttliche Dreigestirn ratlos und machtlos?
Als Hebe im Olymp die drei Langschläfer weckt, ist unten auf der Insel eben einiges geschehen, das den Brüdern da oben sicher nicht gefallen wird. Nur wissen sie noch nichts davon. Hebe hebt sich wieder leise davon. Der Sonnengott ist schon längst unterwegs. Sein Licht bescheint auch gnädig die drei immer noch müden Götter. Hades gähnt lautstark und furchterregend, Poseidon räkelt sich unwillig weiter in seinem Daunenbett und Zeus hat schlimme Träume gehabt („Wer hat die mir hier oben eingeträufelt? Sicher eine von den eifersüchtigen Göttinnen. Wer sonst? Dieser unverschämten Europa würde ich so etwas allerdings auch zutrauen… Nur nicht wieder an d i e denken!“). Athena erscheint urplötzlich mit dem Frühstückstablett und stellt es klirrend auf das kleine Felsplateau, um das herum die drei weichen Ottomanen der drei Götter gruppiert sind. Und schon ist sie wieder weg. Den Anblick ihres Vaters morgens kann sie überhaupt nicht ertragen. Sie, die Kopfgeburt. „Athena? Bring was Ordentliches, Nektar und Ambrosia zum Frühstück finde ich nur langweilig und fad! Athena?“ Zeus öffnet seine kleinen Schweinsaugen und schon hat er schlechte Laune. Seine Tochter ist längst auf und davon. Mist. „Hades, können wir nicht bei dir frühstücken, mir…“ „Hä, meinst du, ich mache jetzt wegen dir erst mal Morgenlauf? Nee, kannst du vergessen, ehrlich.“ Zeus denkt, ich weiß, warum ich meinen Bruder nicht leiden kann. Poseidon grinst und spielt den Vermittler: „Leute, wir nehmen das hier einfach als erstes Frühstück, das zweite wird sich dann von selbst ergeben.“ „Schlaumeier!“ zischt Zeus unzufrieden zurück. Da schleicht sich Hermes heran, räuspert sich umständlich und legt dann aber auch gleich los: „Hallo! Schön, euch drei beim Frühstück zu treffen. Darf ich mich dazu setzen? Komme gerade von Kreta, kann einiges berichten, wenn ihr wollt!“ Die drei schauen sich immer noch reichlich verschlafen an, als hätte der Götterbote gerade Gift versprüht. Gespannt richten sie sich ächzend auf. Hermes langt zu, schmatzt, wischt sich genüsslich den Mund ab, langt wieder zu und schaut dabei ins Leere. Zeus kann nur den Kopf schütteln. „Hermes, worauf wartest du denn noch? Spann uns hier nicht so auf die Folter, leg los!“ Hermes klopft sich erst einmal den Staub aus seinem Gewand (dabei gibt er den dreien wichtigtuerisch zu verstehen, dass er eben eine ziemlich weite Reise hinter sich hat, viel Staub aufgewirbelt wurde und so.) Schließlich hat er ein Einsehen und beginnt mit seinem Rapport: „Der Minos von Kreta hat heute Morgen einen neuen Feiertag auf der Insel bekannt gegeben.“ Die drei Brüder schauen sich missvergnügt an. „Hermes, das interessiert uns überhaupt nicht. Nichts von den Frauen, der Hohenpriesterin und Europa?“ fragt Zeus schließlich – es sollte so richtig nebensächlich klingen. Dahinter war er natürlich gespannt, ob ihr gemeinsamer Fluch gegen die Frauen von neulich schon erste Wirkung zeitigt. Poseidon und Hades nicken beifällig. „Genau!“ Hermes schaut erstaunt von einem zu anderen und fährt dann irritiert fort: „Ja, versteht ihr denn nicht? Diesen Feiertag werden die Frauen mit einem noch geheim gehaltenen neuen Tanz gestalten. Der soll ganz besonders sein.“ Zeus hält die Luft an: „Die Frauen? Was für ein Tanz? Welche Frauen?“ „Na, die, die du gerade genannt hast. Leukopa oder so…“ Hades verbessert ihn besserwisserisch: „Europa, Europa, heißt sie. Und die andere Chandaraissa.“ „Ist das wichtig?“ fragt Hermes etwas säuerlich zurück. Zeus rudert schnell zurück, Hermes soll auf keinen Fall mitbekommen, was eigentlich los ist. Der Göttervater weiß nur zu gut, was für eine Plaudertasche der Götterbote ist. Nachher erfährt Hera, seine strenge Gattin, noch von seinem misslichen Stierabenteuer mit dieser Europa. „Nein, nein, überhaupt nicht.“ „Gar nicht“, grummelt Poseidon noch hinterher. „Dann ist ja alles Ambrosia“, brabbelt beim Kauen Hermes dazu. Die drei Brüder wechseln Blicke und tun so, als wäre die Nachricht für sie überhaupt keine Überraschung. Hermes schaut noch einmal von einem zum anderen, springt auf, wischt sich ein paarmal zufrieden den Mund ab und weg ist er. Zeus kocht vor Wut. Wie kann sich dieser mickrige Minos erlauben so etwas zu gestatten? Die Frauen dürfen doch nicht auch noch eine Bühne für sich bekommen: „Das müssen wir umgehend verhindern“, zischt er los, „umgehend!“ Seine beiden Brüder nicken mitleidig. Poseidon hat plötzlich eine Idee: „Hör mal, Bruder, wäre es nicht viel wirkungsvoller, wir würden heimlich beim neuen Fest erscheinen und es voll danebengehen lassen? Sodass die Männer sich schlapp lachen, weil die Frauen wie lahme Enten und Nichtskönner aussehen?“ Zeus macht große Augen. Hades stellt sich schon mal die Szene vor und findet die Idee großartig. Er hält aber lieber den Mund. Vielleicht hält Zeus ja nichts von diesem Plan. Abwarten. „Ich kann es zwar kaum aushalten, aber ich muss zugeben, die Vorstellung, die Frauen so richtig ins Messer laufen zu lassen, wäre eine sehr angenehme Genugtuung für mich. Poseidon, so machen wir es. Tolle Idee.“ Der fühlt sich geschmeichelt und klopft seinem Bruder auf die Schulter. Hades meint nun, auch noch etwas dazu sagen zu müssen: „Wisst ihr was? Wir können von der Unterwelt durch einen Tunnel direkt zur Insel gelangen – den Ausgang dort in einer Höhle unter dem höchsten Berg kennt niemand, höchstens die eine oder andere Schlange – da machen wir dann unser eigenes Fest aus dem Tanz. Klingt gut oder? “ Hungrig greifen die drei zu. Lärmend schlürfen sie vom Nektar, schmatzen, rülpsen und zermahlen das mehlige Manna in ihren Mündern. Bevor das Schweigen peinlich wird, meldet sich Hades wieder zu Wort: „Jetzt müssen wir nur noch herausbekommen, wann dieses geheimnisvolle Tanzfest auf Kreta stattfinden soll.“ Nach einem kräftigen Schluck aus seinem Pokal antwortet ihm Zeus kurzerhand: „Das dürfte ja wohl kein Problem sein oder?“ Poseidon hat zwar keine Ahnung, wie sie das anstellen sollen, aber sein großer Bruder kommt sicher gleich wieder mit einem seiner tollen Vorschläge.