Europa – Mythos # 53
Europa durchschaut den faulen Zauber
Hatte sie nicht – im selben Augenblick, als ihr die Sinne schwanden – ein Blitzlicht-Wiedersehen mit dem Fremden in der Höhle gehabt? Natürlich, er musste es sein. Und eben nicht irgendein ER, sondern eben ER. Es war ein göttlicher Rausch gewesen, in dem ihre Sinne badeten, damals. Sie beide. Dann war sie davongeschlichen. Zum Glück. Denn was wäre geschehen, wenn ER nach diesem Sinnenfest erlebt hätte, dass sie IHN überwältigt hatte, IHN etwas hatte fühlen lassen, das er in seiner berauschenden Sinnenfülle – triebgetrieben wie er ist – braucht wie jeden lebensnotwendigen Atemzug?
Wer aber sind die beiden anderen Männer an seiner Seite gewesen, denkt sie weiter. Doch da die jungen Tänzerinnen noch ganz außer Atem vor ihr stehen und eine Antwort brauchen, lächelt sie scheinbar völlig gelassen und sagt:
„Ihr Lieben. Ihr macht wunderbare Fortschritte. Archaikos und alle anderen Zuschauer werden überwältigt sein, wenn sie diesen neuen Tanz erlebt haben. Jetzt seid ihr entlassen. Morgen um die gleiche Zeit üben wir weiter.“
Ihre Gesichter spiegeln ihren inneren Zwiespalt: Schön, dass du uns freigibst, Europa, aber wir hätten auch gerne etwas erfahren über den Grund für deine Ohnmacht und…Aber darauf gibt sie ihnen keine Antwort. Schade, wirklich schade. Kichernd laufen sie davon.
Chandaraissa, die das ganze Theaterstück hautnah miterlebt hat, will natürlich mehr wissen. Mit großen Augen geht sie Europa entgegen. Sie umarmen sich innig. Dann flüstert Europa ihr ins Ohr, was eben eigentlich geschehen ist. Sie erzählt ihr eine Geschichte, die ihr gerade in den Sinn kommt.
„Stell dir vor, ich gehe über den Strand und trage auf meine Schultern einen schlaffen Stier.“
Chanadaissa prustet wild: „Was ist das denn für ein Bild, Europa? Ein schlaffer Stier? Auf deinen Schultern?“
Es war ein Traum, versucht sich Europa aus ihrer Verlegenheit heraus zu schleichen, ein lustiger Traum, weiter nichts.