06 Mrz

Europa – Meditation # 85 Heimat – Text Nr. 4

Heimat-Ministerium – so ein Quatsch!

Wie die Lemminge huschen sie mit ihren Augen über das Flimmerangebot dieser Tage: In Südkorea wird das Füllhorn der Medaillen ausgeschüttet – wie strenge Buchhalter zählen sie die Münzen. Man wiegt wohlwollend die Köpfe. Die Medien geben ihr Bestes. Geht in Ordnung, sagt die Volksseele, geht in Ordnung – hätte schlimmer werden können. Bei der Goldkür lassen Musik und fliegende Figuren für einen Moment den Atem anhalten. Schön anzuschauen. Diese Kraft und diese Leichtigkeit zugleich. Wenn die Heldinnen und Helden nach Hause kommen, sollen sie in der Heimat würdig empfangen und gefeiert werden. Klar.

Auch die Bilder von der Westküste der ehemals Neuen Welt – die vielen inzwischen ziemlich alt erscheint – versorgen die huschenden Augenblicke die Glotzer mit Glamour und Glitzer. Fern der Heimat. Aber keine wirklich bekannten Helden werden hinterher zu Hause zu feiern sein. Schade. Da muss in der Heimat doch noch mehr dran gearbeitet werden, am filmischen Können. Oder? Oder sind in unserer Heimat die Filme darüber einfach nur anders?

Heimat.

Jetzt soll doch tatsächlich die Hymne umgearbeitet werden: Aus Vaterland soll Heimatland werden. Und in Berlin ist ab Mitte März das Innenministerium nicht mehr nur für Polizei, Sicherheit und Ordnung verantwortlich, sondern auch für die Heimat. Ein kleiner Handstreich eines machtbesessenen Ministers, weiter nichts. Claqueure gratis dazu.

Heimat?

Im huschigen Alltag – zum Glück gibt es ja noch den Tatort, die Bundesliga und die champions-league – weiß keiner so recht, was das soll, diese Heimat-Euphorie.

Denn eigentlich muss niemand darüber aufgeklärt werden, wo seine Heimat liegt. Erstens trägt er sie in sich und zweitens kann er sie jederzeit besuchen. Dazu bedarf es keiner Weltreise und auch keiner Anleitung. Bei jedem Klassentreffen stellen sich wie von selbst die entsprechenden Bilder ein, aus denen man sich heraus entwickelt hat – abnabeln kann man sich davon jedenfalls nicht. Wer will das denn auch überhaupt? Jedenfalls an keiner Garderobe abzugeben.

Das Unbehauste und Entwurzeltsein als Stärke zu verkaufen, kann doch wirklich nur den Personalern großer Player einfallen, wenn sie neue Leute suchen für China, Indien oder Korea. Eigenartig: Nach Japan wird kaum jemand geschickt. Darüber sollten die vielleicht mal nachdenken. Für einen Japaner jedenfalls – wie übrigens auch für jeden Palästinenser – ist Heimat eine Erfahrung, die sie trägt, wo auch immer es sie hindriften lässt – jenseits jedweder nationaler Ummantelung.

Heimat findet niemals in einem Heimatministerium statt und das Heimatland hat mit dem Vaterland wenig gemein. Dazwischen liegen Welten, zum Glück.

03 Mrz

Leseprobe zum Roman – Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück # 81

Die Villa Marcellina zwischen Hoffen und Bangen

Marcellus dunkle Augen strahlen voller Zuversicht. Julian und Philippos sehen das gerne. Ihnen kommt nämlich mehr und mehr die Zuversicht abhanden. Nicht so dem alten und stolzen Römer.

Wir haben große Pläne, mein Sohn. Wir müssen nur noch den Göttern opfern, dann wird neue Hoffnung unser Fatum gebären.“

Julian ist sich gar nicht so sicher wie sein Vater. Unsichere Blicke wechselt er mit seinem Lehrer, Philippos. Aber er will nicht kleinmütig scheinen.

Ihr habt lange getagt, in der Bibliothek. Unsere Nachbarn sah ich dann vergnügt und lachend davon reiten. Sie haben Deine Vorschläge gut aufgenommen. Das freut mich.“

Philippos versucht auch ein kleines Lächeln dazu.

Unsere stolze und ruhmreiche Geschichte lehrt uns, dass nach Zeiten des Niedergangs immer wieder ein neuer Aufschwung möglich war. Wenn Männer kühn und furchtlos an sich und unsere Götter glaubten. Nicht wahr?“

So ist es, mein Lieber. Und meinen Sohn hast du in dieser Gewissheit erzogen, belehrt. Er wird die Größe und den Reichtum unserer Familie weiter tragen“, erwidert Marcellus. Nach kurzem Nachdenken fällt ihm auch gleich ein gutes Beispiel ein:

Denkt doch nur an die Belagerungen Roms in der ruhmreichen Vergangenheit der Väter und Vorväter!“

Schon, Vater, aber da gab es immer noch den Senat in Rom, der neue Legionen ausheben konnte und die Ehre wiederherstellte.“

Philippos spürt sofort den Unwillen, der sich im Gesicht von Marcellus zeigt. Er muss vermitteln – wie immer schon.

Mein Herr, Julian und ich haben letzthin erst über die vielen Plünderungen Roms…“

Da unterbricht ihn Marcellus unwirsch:

Mein lieber Philippos! Vielleicht wären Marathon und Salamis bessere Vorbilder für uns in diesen Tagen. Außerdem ist das Wiederholen der griechischen Grammatik und Wörter eine sinnvolle Übung sowieso. Nicht wahr?“

Julian fühlt jetzt auch, wie der Vater seinen Unmut versucht klein zu halten. Und er möchte einfach nicht, dass sein Lehrer wegen ihm Ärger bekommt.

Eine gute Idee, Vater! Gerne lesen wir im Thukydides noch einmal nach, was für unglaubliche Siege ein starker Wille in einem Volk erzeugen kann – auch gegen scheinbar unüberwindbare Gegner, wie es damals die Perser waren.“

Plötzlich steht Somythall vor seinem inneren Auge. Warum gerade jetzt? Warum gerade sie? Julian spürt, wie ein leises Zittern durch seinen Körper huscht. Sie hat ihn verzaubert, seit sie vor dem Bild der Göttin zusammen gebetet haben. Amor hat ihn erwischt. Ihretwegen will er an einen guten Ausgang glauben, ihretwegen.

Gleichzeitig steht ihm aber vor Augen, wie auch das mächtige Augusta Treverorum längst an die fränkischen Machthaber verloren ging. Wie sollen sie denn ohne Unterstützung aus Arelate – von Rom ganz zu schweigen; war es doch eben erst von den Ostgoten verwüstet und entvölkert worden – wie sollen sie denn da erfolgreich Widerstand leisten können? Als hätte sein Vater seine Gedanken gelesen, hört er ihn auch schon erwidern:

Ich weiß, ich weiß. Rom von diesem Unhold Totila überrannt, Trier schon länger von den Franken in Besitz genommen. Wo soll da Hilfe her kommen?“

Mit großer Geste erhebt sich Marcellus – und wie es der Zufall will, sieht ihn sein Sohn jetzt gerade zwischen Diana und Apoll stehen; das große Wandgemälde war ihm schon immer eines der liebsten hier in der Bibliothek. In die unangenehme Stille hinein gibt Marcellus selber die Antwort auf seine Frage:

Wir, wir sind es, die helfen können.“

Aber wie denn, fragt sich Julian. Dabei schaut er entgeistert zu seinem Lehrer. Wie denn?