19 Sep

Europa – Meditation # 111 Alles fließt – alles geht den Bach runter

Alles fließt – alles geht den Bach runter…

Wo soll da denn noch so etwas wie Vertrauen in die Volksvertreter wachsen können, wo doch allzu sichtbar wird – Tagesthema: Verfassungsschutz-Präsident – dass die Damen und Herren in den Regierungsetagen außer Arbeitsplatzsicherung und Pfründe-Verteidigung nichts im Sinn haben, was so etwas wie Glaubwürdigkeit signalisieren könnte?

Das Gemeinwohl wird als bunte Kuh durch das Bundesdorf gejagt, alle johlen, der Unterhaltungswert des Narrentreibens hält sich allerdings in überschaubaren Grenzen.

Selbst in der Fußballszene wird mit gezinkten Karten gespielt, gezockt und gedopt. Und auch die Medien spielen gierig mit.

So scheint die heutige Schlagzeile einer einschlägig bekannten Tageszeitung nur zu wahr zu sein:

„Unsere Gesellschaft geht den Bach runter!“

Unsere Gesellschaft? Nein. Die, deren falsche Versprechungen immer offensichtlicher werden. So hat die Schmieren-Farce coram publico doch auch sein Gutes: Selbst dem letzten Schnarchzinken wird unübersehbar deutlich, dass seine gewählten Vertreter seine Interessen nicht vertreten wollen. Dieses Gesellschaftsmodell ist – auch da machen uns unsere besten Freunden von jenseits des Atlantiks vor, wie es geht – in der Tat ein Auslaufmodell. Mit siebzig Jahren ist es an sein vorzeitiges Ende gekommen. Bereicherung, Begünstigung, Beschwichtigung, das sind die Eckpunkte einer Politik, die den Bürger nun schon seit Monaten zum Narren hält: Eben noch verdrehte man die Augen, als es um das Thema Asyl ging. Doch der biedere Bürger gab den Kontrahenten noch eine Chance. Nun ein ähnliches Spiel, nur mit anderem Deckmantel: Fake-Video und Co…Und wieder kommt ein fauler Kompromiss heraus, der nicht einmal mehr einen Lacher wert ist!

Und was lernen wir daraus? Groko? Nein, danke!

Der Selbstbedienungsladen „Parteiendemokratie“ hat ausgedient.

Der Bürger will endlich wieder selber entscheiden, wie die großen Themen der Gegenwart in Europa angegangen werden sollen.

Und sieh einmal an! Der Nachbar sieht es genauso, hat den gleichen Eindruck in Sachen „Berlin-Schmieren-Komödie“, weiß sich in guter Gesellchaft im Stadion oder in der Kneipe oder beim Spaziergang mit den Enkelkindern im Park:

Wir haben gut gearbeitet, wir sind ein reiches Land, wir haben den Willen, die anstehenden ökologischen und sozialen Probleme in Europa gemeinsam anzugehen – in Respekt vor den Nachbarn jenseits der eigenen Grenzen – aber wir können es uns nicht mehr leisten, unsere Resourcen von parteipolitischen Machenschaften verbrennen zu lassen.

Es ist an der Zeit, ein völlig neues „Spiel“ in Europa miteinander zu spielen!

17 Sep

Europa – Meditation # 110 Heimatlos auf dem Wohlstandsfloß

Lassen wir die Kirche doch mal im Dorf…!

Nicht nur die Parteien haben Mitgliederschwund zu beklagen. Nein, auch die Kirchen. In den meist altehrwürdigen Gemäuern, opulent mit Steinmetzkunst verschönert, kann man die Kirchgänger mehr und mehr an zwei Händen abzählen. Hohe, leere Hallen.

Nach dem letzten Krieg, da waren sie noch voll. Jeden Sonntagmorgen strömte die Gemeinde zu ihrem Pfarrer, um zu singen, zu beten und der Predigt zuzuhören.

Je größer der Wohlstand, umso kleiner der Teilnehmerkreis in den Kirchen – das scheint eine Erklärung zu sein; eine andere wäre die Erziehung zum selbstbestimmten Individuum, das sich nicht mehr sagen lassen möchte, was es glauben soll.

Und nun die Welle der Missbrauchsgeschichten, die sich hinter dem religiösen Vorhang wohl zu verstecken wussten. Der Bürger wendet sich angeekelt ab. Die Lüge hat Hochkonjunktur.

So geht das Vertrauen in die Institution Kirche nachhaltig verloren. Wo aber gibt es Ersatz für die wunde Seele? Wo gibt es Trost, wenn der berufliche Erfolg nicht eintreten will? Wo fühlt sich der Bürger denn noch nicht hinters Licht geführt? Die Banker trixen, die Konzerne bluffen, die Kirchenoberen vertuschen, und sie alle kommen trotz enormer Schäden für die Gesellschaft ungeschoren davon.

Oder was ist mit der Familie – als letztem Rückzugsort einer Welt gegenüber, die verlogen und gierig nur noch zum Konsum aufzufordern scheint? Auch der Schutzraum der Familie bricht weg: Beide Elternteile müssen arbeiten, es bleibt keine Zeit mehr für gemeinsame Rituale -wie zum Beispiel das Treffen am gedeckten Tisch, wo man sich austauscht, zuhört, aufmuntert und lachen kann, weil man sich wohl und sicher fühlt.

Da gerät der Glaube an die Vertrauenswürdigkeit in die großen Institutionen der Gesellschaft natürlich heftig ins Wanken. Ironie und Zynismus feiern stattdessen eine Party nach der anderen.

Und wer ist schuld an der Misere? Nicht die Verursacher, nein, die Fremden sollen es sein. Und in kleinem Kreis, im Club, im Verein, in der Kneipe verständigt man sich genüsslich unter Kumpeln: Ist doch klar, oder?

Und die jungen Leute, die zur Zeit im Hambacher Forst in Baumhäusern wohnen, haben weder eine Hausrats- noch eine Brandschutzversicherung. Ist doch klar, dass da die Polizei und die Feuerwehr eingreifen müssen! Auf die ist wenigstens noch Verlass!

06 Sep

Leseprobe aus dem zweiten historischen Roman – Blatt # 85

GESANG UND GÖTTERBERG IM SCHNEE

Unruhig hockt die alte Eule auf dem dicken Ast der Blutbuche. Was sie sieht und hört, gefällt ihr nicht. Weder die tanzenden Schneeflocken, noch das flackernde Licht, das von einigen Feuerstellen herrühren muss. Das ist ihr Berg. Weder Kälte, noch Menschenstimmen behagen ihr, aber sie nimmt es hin. Wie immer.

Somythall muss nicht frieren. Sie ist in Felldecken gehüllt. Ihr Atem zaubert wunderbare Luftgebilde in die Nacht. Ihre Augen sind geschlossen. Sie träumt. Rochwyn hat sie in einer Sänfte hierher tragen lassen. Seine Leute murrten vergeblich.

Es ist Wintersonnenwende, Leute!“ hatte er gezischt.

Wir müssen unseren Göttern huldigen, dass sie uns im kommenden Jahr gewogen sein mögen“, schiebt er noch hinterher.

Jetzt stehen sie in der Höhle, die schon so lange den Waldgöttern geweiht ist, und beten und summen ihre alten Melodien. Nur wenige Fackeln beleuchten das heimliche Fest der Gläubigen. Rochwyn erinnert sich an bessere Tage, an denen sein Vater ihm von diesem fernen Götterberg erzählt hatte, damals in Arelatum. Dort steigen sie auf und ab – zur Sommersonnenwende wie zur Wintersommerwende – hatte er gesagt. Und die Menschen bringen ihnen Opfergaben, schon immer. Ganz gleich, ob es Römer, Sklaven, Franken oder Yren sind. Sie alle spüren, dass sie von den Göttern beobachtet werden. So sein Vater. Und er als kleiner Junge hatte gebannt gelauscht und sich gewünscht, auch einmal an solch einem Fest dort teilnehmen zu dürfen. Dass er nun hier neben seiner Göttin, Somythall, steht, sie schützt und mit ihr den uralten Göttern huldigt, erscheint ihm wie ein Traum.

Gleichzeitig betet unten in der kleinen Klosterkirche Bruder Benedikt mit seinen Mitbrüdern zu seinem Gott, der über Syrien und Yrrlanth seinen Weg hierher gefunden hat:

Herr, mein Herr, lass uns nicht zuschanden werden! Wir feiern heute deinen Geburtstag. Aber wir sind umgeben von gewaltbereiten Ungläubigen, die sich einfach nicht taufen lassen wollen oder an den falschen Christus glauben! Drum lasset uns singen: Herr, erbarme dich und verlasse uns nicht!“ Benedikt reckt die Arme hoch und stimmt den Sermon an.

Und gleich beginnen die Mitbrüder singend zu antworten. Sie frieren. Die Öllämpchen spenden nur spärlich Licht. Es ist bitter kalt in ihrem kleinen Gotteshaus. Ihre Hände vergraben sie unter dreckigen Stoffbahnen.

Währenddessen schneit es weiter lautlos Flocken vom Himmel. Und auf der anderen Seite des Götterbergs, im Schutz des dichten Buchenwalds beten alte Männer, alles ehemalige Krieger, in der Ruine ihres Gottes zu Sol Invictus. Finster blicken sie am Geburtstag ihres Gottes auf das zerborstene Standbild und murmeln übelste Flüche gegen all ihre Feinde, die sie gerne tot sähen. „Hilf uns, sie zu töten!“ beten sie inbrünstig, „hilf uns!“