17 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 75

Zwei Machtmenschen vor dem Abgrund

Sardonius schlendert vergnügt nach seiner Besprechung mit Thortys und Nemetos Richtung Palast. Die beiden werden endlich dieser Europa ein ganz plötzliches Ende bereiten. Er grinst genüsslich. Schade, dass er den Anschlag nicht miterleben kann. Wirklich schade. Um aber seine Unschuld zu beweisen, will er gleichzeitig um eine Audienz beim Minos von Kreta nachsuchen. Der Gedanke kommt ihm ganz überraschend. Er findet: Wirklich, ein richtig kluger Gedanke. Jetzt muss er zufrieden schmunzeln. Auf dem Weg zum Palast verbeugen sich die kleinen Leute ehrfürchtig und ängstlich vor ihm. Das ist ihm noch ein zusätzlicher Genuss. Gönnerisch winkt er den demütigen zu, sich wieder aufzurichten. Er ist bester Laune. Schließlich festigt sich gerade durch einen Mord, den böse Buben sinnloserweise verüben, seine Machtstellung im Palast. Er wird die Täter umgehend hinrichten lassen. Archaikos bleibt dann gar nichts anderes übrig, als ihm, dem Hüter der Zahlen und Namen, weiter zu vertrauen.

Am Tor angekommen, schickt er gleich einen der Wächter los, Minos anzukündigen, dass Sardonius um eine Audienz ersucht. Sofort. So lange setzt er sich im Schatten der hohen Mauer im ersten Innenhof auf eine kühle Bank, um sich noch einmal in aller Ruhe jedes Wort zu überlegen, dass er bei der Audienz sagen will. Sein Puls geht schneller und schneller. Es darf jetzt nichts mehr dazwischen kommen. Vielleicht ist Europa schon tot.

Sardonius? Jetzt? Was will er?“ Archaikos ist ziemlich ungehalten über das, was der Wächter da gerade vorträgt. Er will nämlich gerade einen Spaziergang zum Tempel der großen Göttin machen. Europa geht ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Aus dem Blut. Seine Fragen klingen schroff und zornig.

Er sagt, es sei wichtig und dulde keinen Aufschub.“ Der Wächter verneigt sich und hofft, dass der Minos nicht ihm die Schuld gibt. Er ist doch nur der Bote. Archaikos schwankt einen Augenblick. Dann nickt er.

Geh, er soll sich beeilen!“ Blitzschnell macht sich der Wächter aus dem Staube. Glück gehabt, denkt er im Davonlaufen, Glück gehabt.

Wenig später öffnen die beiden Türsteher das Tor zur Audienzhalle und Sardonius tritt mit ernster Miene herein, geht in die Knie, wartet auf das Zeichen sich wieder zu erheben und sieht, wie der Minos tief durchatmet, bevor er loslegt: „Nun, was kann das sein, das zu dieser Stunde eine Audienz bei mir erfordert, Sardonius?“

Sardonius spürt, dass das Gespräch nicht nach Plan verlaufen könnte. Er macht ein besorgtes Gesicht, verbeugt sich erneut und sagt dann etwas, was er gar nicht geplant hatte:

Herr, meine Horchposten bringen zur Zeit besorgniserregende Botschaften ins Haus. Es braut sich etwas zusammen…“ Doch bevor er weitersprechen kann, fährt ihm Archaikos schroff dazwischen: „“Es braut sich, es braut sich…Es, es! Wenn du keine Namen hast, verschone mich mit so etwas!“

15 Jan

Europa – Meditation # 127

Sollte Europa sich freuen oder ist es eher zum Heulen?

Vielleicht ist ja schon die Fragestellung falsch geraten: Es geht ja nicht um Europa, sondern um die EU – diesen „feinen“ Unterschied sollten die Europäer schon noch machen.

Die EU spielt das geknickte Geschwisterkind – hat doch eine der großen Schwestern unmissverständlich gesagt: „Ich ziehe aus!“ Und jetzt das! Was soll denn die EU-Familie von diesem Theater nun halten? Federn lassen tun zur Zeit beide, aber einen klugen Plan scheint niemand in der Hinterhand zu haben. Dumm gelaufen.

Die Europäer aber sollten vielleicht erkennen, dass sie die historische Chance, die diese Krise allemal bereit hält, nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Und welche Chance – bitte schön – soll das denn sein?

Kassensturz der EU-Politik stünde nun an: Wie lässt sich die völlige Überschuldung einiger EU-Volkswirtschaften überwinden? Mit einem „weiter so!“ sicherlich nicht. Das EURO-Fiasko von Anfang an lässt sich eben nicht aussitzen, es müssten die ökonomischen Karten neu und vor allem fair gemischt werden.

Besinnung angesichts einer bröselnden Gesamtweltlage auf die gemeinsamen Wurzeln – den europäischen eben – der gesamte Kontinent muss sich zu einer Solidargemeinschaft zusammenraufen; sonst könnte die schwere See, die von weither gerade anrollt, das Ende der europäischen Kultur bedeuten.

Menschsein darf einfach nicht im bloßen Konsumieren gedacht werden und Wachstum um jeden Preis ist auch nur noch die Losung derer, die sowieso schon ihre Schafherde im Trockenen haben.

So ist die Entscheidung von heute Abend in London – den Brexit-Deal abzulehnen – ein lehrreiches Stück, dass die vertrauten und bisher selbstverständlichen Muster europäischer und eben auch weltpolitiischer Selbstvergewisserung ausgedient haben, leere Hülsen nur noch sind.

Wenn jetzt die Völker Europas sich verständigen könnten, gemeinsam die gewachsene Ungerechtigkeit hinter sich zu lassen und mit Hilfe der Digitalität übereinkämen, ein völlig neues und humanes Bündnis miteinander zu schließen, vielleicht wäre dann Europa erstmals in der Rolle einer Vorkämpferin für den mutigen Aufbruch in eine lebenswerte Zukunft!

Und diesen Schritt sollten die Europäer nicht mit maroden Parteiapparaten tun, sondern mit digitalen Netzwerken einer Debatten- und Entscheidungskultur, die so noch nie da gewesen sind.

12 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 74

Die Attentäter schreiten zur Tat

Nemetos und Thortys liegt der Auftrag wie ein Mühlstein im Magen. Aber sie wissen, sie haben keine Möglichkeit, Sardonios zu widersprechen. Er hat sie voll in der Hand. Aber nicht nur die Tat selbst bereitet ihnen Magenbeschwerden. Nein, auch die Aussichten, wie sie hinterher davon kommen sollen, macht ihnen Angst und Bange: Sie sollen sich nach dem Mord ruhig festnehmen lassen, Sardonios wird ihnen den Prozess machen, sie werden zum Tode verurteilt werden, die Hinrichtung wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden (Sardonios werde sich da schon etwas einfallen lassen, hatte er breit grinsend getönt), nachts würden sie aus der Todeszelle heimlich abgeholt werden und ein kleiner Segler werde sie an einen geheimen Ort bringen – und wenn sie wollen, würden auch ihre beiden Frauen, Sarsa und Belursa, auf dem Schiff sein. Aber nur, wenn sie es wirklich wollen. Natürlich würden sie das wollen!

Mit ihren Dolchen unter ihren Gewändern gehen sie – scheinbar einfach so und völlig ohne Hintergedanken – in der angenehmen Nachmittagssonne zum Tempel der großen Göttin. Das Meer wogt wie immer lautlos bleiern blau um die schöne Insel herum. Ein Tag wie jeder andere. Im Näherkommen hören sie Musik und Lachen. Was ist da los? Wie sollen sie da ihren blöden Auftrag erledigen? Diese Fremde, Europa, hätte besser gar nicht erst auf ihre Insel kommen sollen, denken die beiden verdrossen. Dann gäbe es für sie jetzt nicht diesen Gang zum Tempel. Da stehen auch lauter Frauen gaffend herum. Was machen die da, jetzt? Was gibt es da zu gaffen? Nemetos und Thortys werden gar nicht bemerkt, als sie zwischen den hohen Säulen des Tempels ankommen. Denn alle schauen gebannt zu. Dann können sie es auch sehen und hören: Im Vorhof tanzende Priesterinnen in eigenartige Tücher gesteckt. Zwei Flötenspielerinnen und drei Trommlerinnen an der Schattenseite des Platzes zaubern eine leise und rhythmisch monotone Melodie dazu. Und am Eingang ins Innere stehen die Hohepriesterin und Europa und schauen lächelnd den jungen Priesterinnen beim Tanzen zu. Aber die Blicke der beiden Mordbuben sind völlig gefangen vom Tanzgeschehen. Sie merken gar nicht, wie ihr Puls sich erhöht, wie ihre Augen größer werden, wie sie sich erregen. Das spüren sie wenigstens nun. Und wie! Ihr Atem geht plötzlich ruckartiger, ihre Münder stehen weit offen. Denn die Bewegungen der Tanzenden halten sie gefangen: Die Arme schnellen immer wieder schlangenartig in die Höhe, die Köpfe wiegen sie mit geschlossenen Augen hin und her, als wären sie alle von Düften und Säften betört. Und dann die bunten Tücher erst. Alle durchsichtig und vom Wind gebläht, den die Tanzenden mit ihren Bewegungen erzeugen, scheinen sie kaum mehr die Körper bedecken zu wollen. Jetzt sehen sie auch ihre eigenen Frauen, Sarsa und Belursa. Nemetos und Thortys können es gar nicht fassen. Die beiden Männer geraten unversehens in einen Rausch.