27 Mai

Europa – Meditation # 147

Die Alten und die Jungen sagen: Basta

Warum ist es immer noch für viele eine Überraschung? Das Wahlergebnis – europaweit – ist nur ein weiteres Mal Klartext derer, die sich nicht ernst genommen fühlen. Wird nun endlich klar, dass Demokratie eben doch Herrschaft des Volkes und nicht der Parteien heißt? Auch die zunehmende Wahlbeteiligung spricht eine deutliche Sprache: Früher hieß es stets – je größer die Beteiligung umso besser schneiden die großen Parteien ab. Und nun das! Stark gestiegene Beteiligung und die „großen“ schrumpfen und schrumpfen sich krank und kränker.

Was verändert sich da eigentlich gerade in Europa so peu à peu?

Der Allgemeine Wille verabschiedet sich nach und nach von der jahrzehntelangen Bevormundung einer Parteiendemokratie. So will das Volk wohl nicht länger repräsentiert werden. So nicht!

Wenn die wirklich wichtigen Anliegen nicht ernst genommen werden – Altersvorsorge und Altenpflege, Lernhäuser für neugierige Kinder und das sofortige Umschalten in Sachen Umweltbelastungen auf breiter Front – dann müssen eben andere, glaubwürdigere Menschen europaweit diese dringenden Anliegen in die Hände nehmen.

Und dass die neuen Bundesländer flächendeckend in altem Blau nun erblühen, ist das bittere Echo auf die falschen Versprechungen von den sogenannten „blühenden Landschaften“.

Wer nimmt es denn einfach so hin, wenn sein Lebenswerk einfach so ausradiert wird: „Sorry, du warst einfach auf dem falschen Dampfer!“ Eine solche Kränkung schreit nach Wiedergutmachung. Ja, es geht hier um Gefühle, nicht um Parteiprogramme oder Börsen, so einfach ist das.

Den Stolz eines Bürgers auf seine Arbeit kann man nicht einfach so schlecht reden, nur weil es den Gewinnern ökonomisch so passt und der Erfolg ihnen recht zu geben scheint.

Ein Arbeitsloser, der vorher ein Leben lang ordentlich gearbeitet hat, weiß die Spielregeln der Demokratie sehr rational zu nutzen, um seinen Gefühlen Gehör zu verschaffen.

Insofern sind die blauen Landschaften der fünf Länder nicht nur keine Überraschung, sondern ein zu Herzen gehendes Signal, dass Menschen ihre Selbstachtung sehr wohl zu verteidigen wissen.

Wenn es den Verlierern – europaweit – wirklich ernsthaft um eine gerechtere und umweltfreundlichere Welt geht, sollten sie jetzt nicht ihre Wunden lecken und die Grünen und die Blauen schlecht reden, sondern endlich ihre Hausaufgaben machen und gemeinsam nach vorne schauen. Es werden a l l e gebraucht dafür! Alle.

26 Mai

Europa – Mythos # 81

Wie Woltónos die Flüchtlinge empfängt

Seine Tiere hatten eine unruhige Nacht. Doch es war weder Vollmond, noch hatte er schlecht geträumt. So schaut Woltónos jetzt etwas ratlos in den strahlenden Morgen. Er sitzt wie immer und jeden Morgen auf seinem Lieblingsstein und schaut über seine große Schafherde hin. Oben – wie immer – ziehen die zwei Seeadler ihre lautlosen Bahnen – bald werden seine beiden Söhne ihm Brot und Käse bringen und Milch. Ein Tag wie jeder andere. Fast. Wenn da nicht die zittrigen Beine seiner Tiere wären. Droht Gefahr? Was war los mit ihnen in dieser Nacht? Oder spüren auch sie seinen Unwillen mit seiner Rolle hier im Westen der Insel? Er muss über sich selber lachen: Als wenn diese dummen Tiere mehr könnten als nur fressen, trinken, sich gegenseitig ärgern und sich fortpflanzen! Machen wir Menschen es nicht genauso? Woltónos nickt breit grinsend. Ihn ärgert es immer noch, dass dieser Sardonios, der sich hochtrabend der Herr der Namen und Listen nennt, ihn vor Jahren beim Minos verpfiffen hat. Vielleicht wäre sonst er jetzt die rechte Hand des Minos oder zumindest sein Mundschenk oder Anführer der Palastwache.

Da holen ihn zwei Figuren aus seinen dumpfen Überlegungen. Wer könnte das sein, so früh am Morgen, hier? Dann erkennt er sie: Nemetos und sein Kumpel, dieser kurzhirnige Thórtys. Mit der linken zerdrückt er zwischen Daumen und Mittelfinger ein paar Thymianblättchen, holt mit einem starken Atemzug den frischen Duft in seine Nase und mit der rechten umfasst er kraftvoll seinen Weidestab. Die kommen mir gerade recht, denkt er grinsend. Nemetos winkt ihm von weitem zu. Er hat ihn erkannt. Im Näher Kommen ruft er freudig:

Woltónos, deine Herde ist ja mächtig gewachsen! Da staun ich aber!“

Woltónos stutzt. Was ist das denn für eine Begrüßung? Was will der denn wirklich? Was ich will, das weiß ich jetzt. Seine Schafe laufen verängstigt davon. Woltónos pfeift sie gleich wieder zurück, winkt den beiden gönnerisch entgegen, erhebt sich umständlich und hört sich dann Sätze sagen, von denen er bis jetzt selber noch nichts wusste:

Die Götter schicken dich, Nemetos, da bin ich mir ganz sicher. Ich habe diese Nacht davon geträumt.“

Jetzt umarmen sich die Männer erst einmal kräftig, dann fragt Nemetos seinen Onkel:

Geträumt? Du hast geträumt?“ Woltónos nickt. Nemetos und Thórtys schauen sich irritiert an. Man setzt sich. Da kommen auch seine beiden Söhne dazu.

Vater, Mutter lässt ausrichten, dass der Käse alle ist. Du sollst in die Käserei kommen. Wir beide sollen so lange auf die Schafe aufpassen.“

Die drei Männer lachen laut, schlagen sich die Hände auf die Schenkel, fallen über das Brot, den Käse und die Milch her, als hätten sie seit Tagen nichts Essbares mehr gehabt, während die beiden Jungen gierig zuschauen. Doch ihr Vater schickt sie zu den Tieren.

Los, geht da rüber, wir hier haben Wichtiges zu besprechen!“

26 Mai

Europa – Meditation # 146

Wenden-Welle-wohl-möglich

Bevor an diesem denkwürdigen Abend die Stimmen derer, die in der EU wählen gegangen sind, weil sie etwas mit verändern wollen, ausgezählt sind, wäre ein kurzes Innehalten vielleicht ganz schön:

Natürlich“ werden über die Medien gleich wieder die Deutungswellen schwappen, „natürlich“ haben es die kritischen Geister auch schon vorher gewusst: Der Wählerwille neigt mehr und mehr zu launischen Kapriolen oder verweigert sich sogar einem Votum – was für eine ernüchternde Wahlbeteiligung! Und gleich wird wieder analysiert werden.

So stolpern wir Europäer von einem Moment zum anderen, ohne wirklich inne zu halten, nach-zu-denken und zu überlegen:

Warum wenden wir uns nicht freiwillig einem völlig neuen Europa zu, das den Rahmen der EU einfach sprengt, weil wir uns gerne

digital europaweit vernetzen

lassen, aber gleichzeitig auch unbedingt

regional europaweit nachhaltig verankert

sein wollen.

Beides ist doch heute schon Realität. Nur haben wir Europäer noch gar nicht bemerkt, dass es so ist, weil immer von den Chancen und Problemen der EU die Rede ist und nicht von uns Europäern.

Was wäre da jetzt alles möglich, wenn wir endlich die europaweite Dimension in den Blick nähmen?

Erstmals könnte Europa nachhaltig aus der

Rolle des globalen Räubers

aussteigen und einsteigen in die völlig neue

Rolle des Moderators, Retters

zwischen den kriegerischen Großmächten, die vor lauter nationalistischem Furor nicht mehr die tatsächlichen Probleme sehen können: Wie blind folgen sie einem Gefühlswildbach, der sie unkontrolliert stürzen lässt – von Klippe zu Klippe. Für die Beulen und Wunden sind dabei „natürlich“ immer die anderen schuld. Klar.

Wir hier in Europa haben doch zum Glück die Epochen unseliger Kriege und Machtposen hinter uns gelassen. Frieden seit mehr als siebzig Jahren! Unglaublich eigentlich und leider nur noch wie selbstverständlich konsumiert. Wie fast alles.

Nur Heimat lässt sich nicht konsumieren. Die lebt man. Und jeder in Europa beansprucht da ein eigenes, unverwechselbares Gefühl für sich, an dem er ein Leben lang strickt und poliert. Und jede Erzählung hat da ihr eigenes Recht, ihre eigene Berechtigung. Bürokratietürme oder Börsennotierungen kommen darin einfach nicht vor.

Warum sehen wir die historische Chance des brökelnden Augenblicks nicht?