22 Dez

Europa – Meditation # 169

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein.

Das unersättliche Wachstumsmantra gerät ins Taumeln, die Wachstumsraten werden kleiner und kleiner, die Müllberge dagegen größer und größer. Und die Prophezeiungen, so das Glück des Menschen erarbeiten zu können, erweisen sich mehr und mehr als Trugschlüsse. Nun kommt es wie ein Bumerang von Osten her zurück. Durch alle Ritzen und Spalten, zu Lande wie zur See, überall macht es sich leise, aber nachhaltig breit. Ein bekanntes Muster in fremden Gewande?

Jahrhunderte lang segelten die Schiffe von Europa um die Welt. An Bord nicht nur Krankheitskeime, nein, auch neue Waffentypen, neue Götter, neue Münzen, neues Denken.

Das bisher Unermessliche ist nur so lange unermesslich, wie wir es nicht messen. Wir wissen, wie man das macht!“ Die damit Beglückten hatten natürlich ordentlich dafür zu zahlen.

So oder so ähnlich lautete dieses Mantra der Christen, die eben auch ein Kreuz dabei hatten – das Symbol ihres gnädigen Gottes.

Nach und nach gerät allerdings der Glaube in den Hintergrund, in die Privatsphäre, als wäre es bloß noch ein familiäres Ereignis, das man dann und wann in feierlichem Rahmen (etwa Weihnachten) zu gestalten weiß.

Schließlich schien alle Welt dem Muster zu folgen, das Ende aller Ideologien wurde sogar ausgerufen: es gibt nur noch die e i n e Welt, die ehemals von Europa aus erdachte und exportierte. Demokratie und Kapitalismus.

Aber die Schatten werden länger und länger: Einsamkeit in großem Maßstab, Süchte in noch größerem, Ängste auch. Das betrifft die Seelen der Menschen; die Natur, deren Teil sie alle nach wie vor sind, ächzt und stöhnt in deren Schatten auch.

Es ist wie in einem Bild aus einer kleinen Geschichte von Robert Musil: da verschwindet nach und nach ein kleiner Junge hinter der eigenen Fettwand, um sich zu schützen. Manchmal sieht man ihn aus seinen kleinen Augen winken, doch sonst ist nichts mehr von ihm zu sehen, nur noch Fett.

Der Abendländer scheint auch solch ein kleiner, ängstlicher Junge zu sein, der sich hinter seiner alt und schrumpelig gewordenen Fettwand versteckt und manchmal noch winkt und winkt. Wohlstandsfett. Blutdruck und Puls werden schwächer und schwächer. Inmitten von Müllhalden.

Begabt, wie die Species nach wie vor zur Welt kommt, beginnt der eine oder die andere im Verborgenen neu nachzudenken, denn die gewohnten Muster sind eben nichts als Muster, die man auch ersetzen kann, wenn man will. Das wirft dann auch ein völlig neues Licht auf sich und die Dinge. Und auf die Schlange Kaa, die sich da säuselnd – nun aus Osten – lautlos anschleicht und neue „Freunde“ sucht. Wer hätte das gedacht? Die Fremde, die da leise anklopft, bringt als Geschenke tatsächlich das mit, was der Europäer als sein eigenes verbrauchtes Produkt erkennt, nun nur eben in fremdem Gewande…aber ein Auslaufmodell.

20 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 89

Die drei göttlichen Brüder fassen einen rabenschwarzen Plan

Die drei göttlichen Brüder – Zeus, Poseidon und Hades – können es noch gar nicht fassen: Gerade hat die Hohepriesterin in der hohen Halle des Minos von Kreta eine Botschaft ausgesprochen, die so gar nicht in das Weltbild der drei alten Herren passt. Sie sind zwar zur Zeit in anderer Gestalt unterwegs – wer schaut schon drei krächzenden Raben hinterher? – aber ihr Unwille ist nicht zu überhören, so laut schallt ihr Geschrei durch die enge Felsenbucht, in der sie eben torkelnd gelandet waren.

Bruder, da müssen wir aber sofort gegensteuern oder?“

Hades schüttelt seinen Rabenkopf und schubst dabei den Bruder ordentlich gegen den Fels.

Hey, was soll das? Dumme Frage – natürlich werden wir dieser Priesterin eins auswischen, dass sie wünscht, niemals diese Sätze gesagt zu haben, klar!“

Aber Zeus fällt einfach nichts ein. Außer Wut kreist gerade nichts durch seinen Rabenkopf.

Und wie soll denn nun dein zweiter Streich aussehen, Bruder?“ fragt Poseidon. Er vermeidet es natürlich, die große Göttin und deren Botschaft zu nennen, schließlich ist die ja längst aus dem Olymp verbannt, untergetaucht, tot geschwiegen, diese Verräterin.

Die drei ist und bleibt die siegreiche Zahl bei uns oben genauso wie hier unten bei den dummen Sterblichen. Drei von ihnen – was für ein Zufall, stimmt‘s? – sind gerade auf dem Kriegspfad, die brauchen sicher dringend Unterstützung…“

Hä? Meinst du etwa diesen Woltónos und die beiden Versager, Németos und Thortys?“ fragt beiläufig Poseidon.

Zeus nickt. Genau. Die meint er. Und jetzt kommt ihm auch die rettende Idee für den zweiten Streich:

Hört mal, ihr zwei! Wir geben den dreien jetzt göttliches Geleit – rabenschwarz“ – die drei Brüder krächzen heftig, so toll finden sie den Witz, den Zeus da gerade losgelassen hat – „und werden denen verraten, dass diese Priesterin und ihre neue Freundin – ihr wisst ja schon, wen ich meine – unterwegs vom Gerichtssaal zu ihrem Tempel leider verunglücken.“

Und an was hast du da so gedacht?“ fragt Hades ratlos.

Später, später“, bricht Zeus das Gekreische ab, „wir müssen den drei Helden entgegenfliegen, unterwegs erzähl ich euch dann, wie die das machen sollen. Einverstanden?“

Hades und Poseidon bleibt nichts anderes übrig, als zu nicken. Das Getue ihres Bruders nervt sie rabig, richtig rabig. Aber was sollen sie machen?

09 Dez

Europa – Meditation # 168

Auf der Suche nach der eigentlichen Heimat – europaweit

Musik – sie versteht jeder Europäer, in welcher Sprache auch immer er unterwegs ist. Schon die Sprachmelodie schafft ihm einen vertrauten Raum, den er gerne betritt – z. B.: Wenn auf irgendeinem kleinen Platz einer kleinen Stadt (auch in großen Städten gibt es lauter kleine Plätze, wo man sich dieser Tage gerne trifft, quatscht, Glühwein trinkt, Witze erzählt, lästert, schwärmt oder einfach faselt) an einem provisorischen Stand ein paar Leute entspannt herum stehen, lachen, mampfen, trinken und manchmal sogar anfangen zu singen. Zwar nicht unbedingt notengerecht, aber doch geeignet zum Mitsingen.

Die in Jahrzehnten einkonditionierte Einzelkämpfer-Haltung, dieser kalte Individualismus, der ununterbrochen zelebriert sein will, dieser Hang sich gegen den anderen zu profilieren, möglichst in einer affigen Hochsprachen-Tonlage, mit ausgefallenen Klamotten, teurem Kram und steiler Frisur und dabei diese verhunzten anglifizierten Sprachfragmente lässig auszuspucken, all das taugt eben nicht für ein wohliges Lebensgefühl. Lauter schräge, schrille Töne bloß. Es trennt, es ist eher wie ein Aufenthalt in einer Kühltruhe, wo jedes Eisstückchen stumm vor sich hin friert.

Da hat Europa schon durchaus bessere Tage gesehen, als man noch in Gesangsvereinen, Sportvereinen, Wandervereinen auf Gleichgesinnte getroffen war, die im gleichen Singsang Sprache zwischen den Zähnen hin und her rutschen ließen, lachten, und alle eben wussten, man kennt sich, spricht im gleichen Ton und wärmt sich an den eigenen Münchhausen-Geschichten, die man gerne zum besten gibt. Klingt doch gut oder?

Warum sind denn diese Abende auf den Weihnachtsmärkten so überlaufen?

Warum steht man denn so dicht gedrängt um die paar Stehtische herum?

Die gut gelaunte Schar will doch nicht Zeug kaufen. Nein, sie wollen so etwas wie in vertraute Wellen eintauchen, baden, sich einfach treiben lassen, weil es eben so gut tut, nicht alleine auf irgendeinem Laufsteg gute Figur machen zu müssen.

Überall in Europa – und hier soll auch nur von Europa die Rede sein – gibt es jetzt solche Erlebnisse für die meisten, fast jeden Abend. Wie Musik. Die geht ja auch einfach so durch und durch. Das tut gut. Der eigene Akku wird steuerfrei geladen. Ein wohltuendes Bad im vertrauten Klön. Das Digitale sieht da dann ziemlich wie ein Looser aus. Wird nicht gebraucht – höchstens noch, um den Freund oder die Freundin anzurufen:

Hey, komm vorbei – hier ist richtig gute Stimmung, echt.

Nation, Staat, EU sind demgegenüber plötzlich nur noch wichtigtuerische Wasserträger. Mehr nicht.

Und europaweit lauter kleine gut gelaunte Gesellschaften, die die abendliche Wärme und Nähe am Stand genießen und der Einsamkeit einen pfundigen und findigen Haken schlagen.