21 Feb

Europa – Meditation # 179

Die Bilder im Kopf sind es … und nicht irgendein Gift!

Betroffenheit allenthalben. Das ist gut so und zeigt, dass wir alle in verwandten Gefühlswelten unterwegs sind, ganz gleich, woher wir kommen und welche Sprachen wir sprechen. Aber wir haben oft sehr, sehr verschiedene Bilder im Kopf, mit denen diese Verwandtschaft von uns allen mutwillig abgestritten werden soll – die einen stehen dann ganz oben und fühlen sich stark, die anderen werden in den Keller geschickt und sollen sich schämen – um nur zwei anschauliche Varianten solcher Bilder kurz zu skizzieren. Es ist also der reine Mutwille, der da Keile zwischen uns treiben will. Und warum? Die Ursachen sind vielfältig, so vielfältig wie die daraus entstehenden unseligen Wirkungen: Man hat seinen Job verloren, man kommt beim weiblichen Geschlecht einfach nicht an, man lebt in einer Familientragödie (Vater spielt – auch er arbeitslos – Mutter trinkt), man sieht unvertraute Konkurrenten im Alltag, die von weither kamen und hier Zuflucht fanden: Wieso soll ich dem etwas abgeben, wo es mir doch selber an allem mangelt? Und schon verdunkeln sich die Bilder im Kopf zu diesen „Verwandten“. Sie werden überschüttet mit aller Schande, die die Phantasie zu erfinden vermag. Das fühlt sich dann schon besser an. Und bald beginnt ein Kreisgespräch in der Kneipe an der Ecke, in dem ähnliche Bilder ausgetauscht werden. Man nickt, man versteht sich. Ist doch klar. Und schon sind die Bilder nicht mehr bloß eitle Kopfgeburten, sondern angenehme Beförderer von einem Gefühl der Kumpanei: Und bald entpuppen sich die ehemals mutwillig vor dem Spiegel eingeübten Wuttexte als ein scheinbares Recht, diesen anderen minderwertigen im Keller das Licht auszumachen – um im Bild zu bleiben. Von da ist es dann nicht mehr sehr weit zu der Bereitschaft, Täter zu werden. Einer muss eben die Drecksarbeit machen. Immerhin kann man dann darauf hoffen, so etwas wie ein cooler Held zu werden – unter seinesgleichen, immerhin. Und im Netz, wie in einem anschaulichen Bilderbuch, versorgt man sich Tag und Nacht vor dem Rechner hockend mit Vorbildern, Unterstützern und Antreibern.

Europaweit.

Denn diese Bilderwelt kennt keine Grenzen, außer denen, die im Kopf willkürlich gezogen werden gegen jene, die man nicht um sich haben will, die an allem schuld sind, die schwul sind, feminin, abartig.

Also sollten wir in Europa nicht vorschnell von einem Gift werden, denn das führt geradewegs wieder in dieselbe Bilderwelt, die mit Entsetzen gerade zur Kenntnis genommen werden muss.

Es ist kein Gift. Diese todbringende Haltung kommt täglich über unsere Sprache in unsere Köpfe, wo sie dann Amok läuft und sich hinterher auf der Straße spontan entlädt.

Also im Sprechen und Denken in der Mitte unserer Gesellschaft sollte wieder eine vermittelnde, eine respektierende, eine wertschätzende Wahrnehmung aller zur Norm werden.

19 Feb

Europa – Meditation # 178

Die Gnade unseres Kurzzeitgedächtnisses.

Eine kleine Empörungswelle nach der anderen und schon wieder verebbt. Die Redaktionen der Medien hecheln den Themen hinterher, um ja immer eben nicht nur aktuell, sondern auch kritisch und unabhängig zu erscheinen. Und dann die Bilder dazu und die Karikaturen! Auch sie müssen möglichst schön bearbeitet, ein Eye-Catch und originell sein. Das hohe Tempo bestimmt, was zur Sprache kommt: Epstein, Weinstein, zum Glück auch noch ein Royal als Sahnehäubchen, Überschwemmungen, Erdbeben, Vulkanausbrüche. Twittergewitter gratis. Dann das Schreckgespenst einer Pandämie, hui! Unersättliche Bereicherungsorgien entlarven, und Europa wird mehr und mehr zum Zuschauer – weltweit. Andere Macher haben die „Dinge“ in die Hand genommen. Uiguren, Rohingyas, Palästinenser, Erdgaspipelines, Plastik, Afghanen, Eisberge: das globale Unterhaltungsprogramm sorgt ordentlich für Abwechslung. Und die Geldgeber halten sich weiter vornehm im Hintergrund. Lediglich der Vektor an der Börse kann da etwas erzählen, was gerade gelaufen ist oder demnächst laufen soll. Spekulieren will gelernt sein, klar. Gewinne um jeden Preis, versteht sich. Und die Kollateralschäden dürfen dann wieder medienwirksam inszeniert werden. Dem Zuschauer läuft es eiskalt über den Rücken herab.

Da das aber Tag für Tag viel zu schnell geht und viel zu viel ist, hilft uns unser Kurzzeitgedächtnis freundlich beim schnellen Vergessen. Wie sollte man das denn auch alles speichern? Gleichzeitig nehmen – Cum-cum-Geschäfte sind bereits Schnee von vorgestern – aber das Tempo und die Datenmengen weiter zu, während unser Gehirn beim geistigen Abarbeiten dagegen seine Schlagzahl nicht erhöhen kann und will.

Daneben gibt es für uns Europäer allerdings auch noch das ganz normale Leben in normaler Echtzeit. Lange Lernprozesse aus Kindertagen, als Europa in Scherben lag, haben sich im Langzeitgedächtnis breit gemacht und bestimmen unser Wahrnehmen, unser Bewertungsmuster, unsere Partnerwahl, unsere Familienplanung.

Da versuchen nun die medialen Eintagsfliegen anzudocken, aber was da aufeinanderstößt, ist einfach nicht kompatibel. So trainieren wir unser Gedächtnis im Wegducken, im Schönreden, im Bagatellisieren. Das klappt sogar – vordergründig – weil die Einwände aus dem Langzeitgedächtnis nicht die Zeit bekommen, ihre Sicht der „Dinge“ behutsam dem dagegen zu halten – und wir Europäer, die früher mit strahlenden Ideen und überbordendem Selbstvertrauen in die Welt zogen und so etwas wie Modell-Geber sein wollten, ziehen sich schlecht gelaunt ins Private zurück, als könnte Europa Privatier sein in einer Welt, die sie längst in ihre Abhängigkeiten hineingezwungen hat.

Aufwachen bitte! Nachdenken! Und dann gemeinsam fundierte Entscheidungen treffen in europäischer Selbstvergewisserung.

17 Feb

Europa – Meditation # 177

Europa ächzt immer noch unter der Last des Stieres.

Das mythische Bild des weißen Stiers, den Zeus benutzte, um die Prinzessin zu verführen (wir sprechen heute ja gerne von einem „sehr, sehr alten Narrativ“) und nach Kreta zu bringen, war eigentlich immer schon ein Bild, das auf dem Kopf stand; denn eigentlich ist es doch Europa, die von Anfang an den falschen Fünfziger, den Götterbubi, auf ihren Schultern zu tragen und zu ertragen hatte. Weil es das Narrativ von schreibkundigen Männern war. Da aber die Geschichte schon so lange und so oft erzählt, bebildert, gemalt und gespielt wird, ist der eigentliche Gewaltakt nie durch ein gegenläufiges Narrativ entlarvt worden.

Ähnlich ist es wohl auch mit dem modernen Narrativ von Europa, das immer so erzählt wird, dass der große Bruder von Übersee die zerfledderte Europa sich auf die Schulter packte und wieder aufpeppelte nach 1945. So selbstlos, so hilfsbereit, so mitfühlend. Und schützend seine Hand über die geschändete hielt, auf dass nie wieder solches Ungemach über die Völker Europas hereinbrechen möge.

Dass aber derselbe Retter immer auch der eigennützige Bereicherer war und ist, der Europa brauchte, um seine eigene Wirtschaft wieder auf Friedenswirtschaft umstellen zu können, konnte man wunderbar ins Kleingedruckte verbannen. Man brauchte zusätzliche Absatzmärkte, Investitionsräume, Schuldner. Gerne schlüpften die geschundenen Europäer in die neue Rolle eines Abhängigen, die ihnen da aufgezwungen wurde. Im rosigen Narrativ der Nachkriegszeit wuchs wortgewaltig eine schier unschlagbare transatlantische Freundschaft heran. Musik, Film, Mode und Konsum kamen wie eine Frischzellenkur übers Meer geschippert. Besonders die Deutschen gaben ihr Bestes, um alles richtig zu machen, treuer Freund zu sein. Was für ein Narrativ!

Nun aber steht die erwachsen gewordene Nachkriegs-Europa da und wundert sich: Hatte man sich etwas in die Tasche gelogen, hatte man einfach übersehen wollen, dass der Transfer neben Geld und Waren flach und eher hohl war? Dass der amerikanische Eigennutz nun ungeschminkt die Dinge beim Namen nennt, die bisher blumisch verpackt waren? Dass der derzeitige Präsident nichts Neues aus der Tasche zaubert, sondern nur unverblümt in die eigene Tasche wirtschaften will – und wer nicht spurt, muss dann eben sehen, wo er bleibt? Das ist der NEW DEAL 2020 .

Erzählen wir also in Europa die Geschichte einfach so, wie sie wirklich war und jetzt auch ist: Keine Freundschaft, sondern ein günstiges Geschäft für die Amerikaner, das nun so nicht mehr weiter geführt werden kann. Der Gewinn muss sicher gestellt bleiben. Punkt. Onkel Trump könnte als schlechter Zeus-Mime von seinen Berater ja folgenden Spruch vor seinem nächsten Twitter-Schnellschuss eingeflüstert bekommen:

Wenn du zum Weibe (Europa) gehst, vergiss die Peitsche nicht!“