31 Mrz

Europa – Meditation # 191

Europa – Alter Mythos vs Neuer Mythos – Teil II

Nur weil wir Europäer nun schon so lange die alte Geschichte Europas erzählen, muss sie doch nicht weiter so in die Zukunft wiederholt werden. Unsere Phantasie liebt Grenzen nicht. Sie will stets aufbrechen zu neuen Ufern.

Könnte es sein, dass zufällig – wegen einer unvorhergesehenen Pause im globalen Arbeitsrhythmus – jetzt der richtige Zeitpunkt eingetroffen ist, tatsächlich erst denkend, dann handelnd zu neuen Ufern aufzubrechen?

Bei einer Überfahrt ist man ja nie allein. Nicht nur fahren andere auch in die gleiche Richtung, nein, auch die alten Bilder und Gedankenlabyrinthe sind dabei, kommen mit. Nur gelten am neuen Ufer nicht mehr ihre Wahrheiten. Sie haben einfach ausgedient. Im Altersheim können wir sie gerne noch oft besuchen und dann gemeinsam schmunzeln, was man doch nicht alles für dummes Zeug für wahr gehalten hat.

Schauen wir aber jetzt auf die Akteure in der Not, dann sind im Berufsfeld wie im Heim die Frauen und Mädchen die entscheidenden Macher. Sie waren es zwar auch schon davor, aber da konnten die Männer mit ihrem Kraft-Mythos noch so tun, als seien sie der einzig zentrale Motor in der Gesellschaft. Frauen durften gerne das Modell kopieren, nicht aber in Frage stellen. Klar.

Zum bisherigen Zauberkasten – gebetsmühlenartig wurden die Zauberformel wiederholt: Wachstum, Wachstum, Wachstum, Konkurrenz, Konsum, Konsum, Konsum, mehr, schneller, öfter, jetzt auch global inszeniert und sehr wenige sehr reich machend – kamen zuletzt das Bild von der schwarzen Null, Null-Zinsen und gezinkte Wetten auf fallende Kurse hinzu. Alles Konzepte, die das Bestehende zu stabilisieren hatten, die Reichtum weiter eindrucksvoll explodieren lassen und die Nörgler mundtot machen sollten.

Und plötzlich ist die schwarze Null vom Tisch, ist das Wachstum eingefroren, sind Schulden zinslos der neue Renner, sind Börsenstürze und -aufschwünge Nebenschauplätze, keine Dividenden keine Todsünde mehr und jetzt – ganz anders als sonst, als jedesmal, wenn Greta sich auf wissenschaftliche Daten berief und nur ein mitleidiges Lächeln über die Gesichter der Männer huschte – sind plötzlich die wissenschaftlichen Daten, Tabellen, Statistiken und Hochrechnungen so was von en vogue, als wäre es bloß eine neue Lesart der Zehn Gebote, dass all zu leicht vergessen wird, dass neue Daten, neue Annahmen wieder zu neuen Ergebnissen führen werden, die unser Handeln lenken.

Ein neues Zeitalter, in dem die Unterdrückung welcher Gruppe auch immer ein gesellschaftliches Tabu sein wird, in dem Frauen endlich für ihre grundlegende Arbeit in der Familie genauso wie in ihren Berufen neben den Männern gleichwertig entlohnt werden, und in dem Missgunst, Häme zu hässlichen Auslaufmodellen schrumpfen, und Empathie alle trägt und hebt.

30 Mrz

Europa – Meditation # 190

Alter Mythos vs neuer Mythos – Von Viren und Luftschlössern. Teil I

Wenn Harari im Eilschritt kurz mal die Menschheitsgeschichte Revue passieren lässt, und wir Satelliten zur Sonne und an den Rand des „Weltalls“ schicken, warum sollte man dann nicht auch diese kurze Geschichte kurz mal rückwärts laufen lassen – „gehe zurück auf Anfang!“ – und denken, dass die Trennung zwischen Genau und ungenau genau daneben geht, dass Kunst in ihrer Vielstimmigkeit und Vieldeutigkeit genau das erfasst, was uns als species ausmacht: In jedem Augenblick sehen wir uns selbst und die Welt um uns neu, anders, fremd, vertraut und beschwören uns leise: Jetzt weiß ich es, jetzt weiß ich es. Und diese Kunst des phantasievollen Erfindens und Zusammensetzen nennen wir dann das Leben. Ein Mantra für 20 000 Jahre. In jedem Erdteil anders gedacht und gelebt – schon immer.

Aber sind es nicht immer auch nur Probeläufe gewesen, die irgendwann als irrig verworfen wurden, begraben, um einen neuen Probelauf beginnen zu können?

Schon vergessen? „Errare humanum est – sed in errore perseverare dementis.“

Irren ist menschlich, aber im Irrtum zu verharren töricht.

Schon immer waren unsere Endlichkeit und unsere Unwissenheit die Portalfiguren, an denen wir nicht ungerührt vorbei schleichen konnten. Können.

Warum nicht endlich dazu stehen wollen? Jetzt?

Europa hat viele Varianten durchgespielt, Asien hat viele Varianten durchgespielt – beide stehen nun vor dem gleichen Problem: Das, was seit Jahrzehnten als gelungener Lebensentwurf weltweit propagiert wird, erweist sich nun nachhaltig als das, was es ist: ein weiterer Probelauf, der sich als globaler Irrweg herausstellt. Wäre es da nicht töricht – um ein aus der Mode gekommenes Eigenschaftswort wiederzubeleben – trotzig die Augen zu schließen, statt sich vom Hergebrachten zu verabschieden und neu zu verorten?

Dazu braucht die species keinen Gesundbeter, keinen Vordenker, jeder ist heute – nicht zuletzt durch die globale Vernetzung – Teil des Neuanfangs, Teil eines neuen Narrativs/Mythos, der den alten Mythos endlich ablöst: Denn am Anfang Europas steht ja nach wie vor das üble Bild einer gewaltsamen Entführung und Vergewaltigung – überhöht in ein Bild eines göttlichen Liebesabenteuers von Zeus selbst, dem Supermann von jeher. Aufgeschrieben wurde dieses Narrativ natürlich von Männern. Das Narrativ der Frauen hatte keine Chance.

Jetzt ist sie da.

Die unterdrückte Botschaft von einem gewaltarmen Leben, in dem die Frauen gleichberechtigt neben den Männern leben, kann nun endlich in die Tat umgesetzt werden. Es sind die Frauen, die gerade den Laden wuppen, nicht die Männer. Fortsetzung folgt schon morgen!

30 Mrz

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 95

Europas Vater Agenor verliert Land und Leben.

Agenor, sein Reitergeneral Abressonios und die kleine Streitmacht kommen gut voran. Vor Einbruch der Dunkelheit wollen sie in der Oasenstadt Melweli den ersten Überraschungsschritt getan haben, um – dank der drei Hirten, die ihm den entscheidenden Hinweis gegeben hatten – um dem Hinterhalt seines Doch-Nicht-Schwiegersohn Ufroras, junger König von Assur, zuvorzukommen.

Agenor ist bester Dinge. Eben erst hat er Abressonios versprochen, ihn reich mit Land und Leuten zu beschenken, wenn das Kriegsglück auf ihrer Seite bleibt und er dabei sein Bestes gibt. Der General legt sich ihm vor Freude und Dankbarkeit vor die Füße, küßt sie und weint vor Seligkeit. Das tut dem König gut. Er ist in Geberlaune. Auch seine drei Söhne – Kadmos, Phoinix und Kilix – will er wieder in Gnaden aufnehmen, wenn sie ihre aufsässige Schwester Europa gefangen zurück gebracht haben werden. Selbst seiner Frau würde er alle ihre Eigenmächtigkeiten verzeihen, doch die ist ja leider vorzeitig in die Unterwelt abgereist. Schade. Schade.

Der Sand weht heiß in ihre Gesichter. Kurzer Halt. Die Soldaten brauchen eine Verschnaufpause. Wasser trinken. Die Vorräte sind zu Ende. Aber in der Oase werden sie ja reichlich frisches Wasser finden. Und fremde Frauen. Und Tanz am Feuer abends. So sind alle voller Zuversicht. Noch.

Da kommt der voraus geschickte Späher zurück, bringt sein dampfendes Pferd neben Agenor zum Stehen.

„Nun? Was hast du für Neuigkeiten?“ fragt schmunzelnd der König der Phönizier.

„Herr, die Oase werden wir – wenn wir schnell reiten – noch vor der Dämmerung erreichen. Die Leute dort ahnen nichts von unserem Vormarsch. Und Ufroras und sein Heer werden erst im Morgengrauen erwartet!“

Agenor strahlt. Seine drei Nomaden haben ihn also nicht betrogen.

„Wir machen kurzen Prozess, Abressonios. Schick schon einmal deine Reiter voraus!“

Abressonios nickt nur und bald sehen Agenors Leute nur noch eine große Staubwolke. Die Reiterei reitet schnell. Angekommen wüten sie gnadenlos in der Oase, wo gerade Kinder am Wasser spielen, Kamele weiden und Frauen das Abendmahl bereiten. Das Geschrei ist überall, bald auch Feuer und bald ist beides wieder vorbei. Melweli, die Oase. Bis dahin ein kleines Paradies.

Agenor sieht die Rauchwolke und tobt: Wie können die nur so dumm sein und Feuer legen. Abressonios werde ich dafür bestrafen, morgen Abend, wenn wir die Assurer besiegt haben, denkt er und verzieht dabei keine Miene. Als sie die Oase erreichen, kommt Abressonios ihm entgegen, steigt stolz vorm Pferd und meldet seine Heldentat:

„Herr, sie sind alle tot und alle Hütten platt. Meine Leute verscharren sie gerade alle im Sand.“

Agenor gibt ihm mit kleiner Geste zu verstehen, dass er seine Arbeit gut gemacht habe.

Die kalte Nacht verbringen sie unter einem glitzernden Sternenhimmel. Die Krieger träumen von der kommenden Schlacht und der Beute und den Auszeichnungen, die ihr König Agenor ihnen zuteil werden lassen wird. Nur das leise Schnauben der Pferde ist zu hören.

Noch vor Sonnenaufgang beziehen sie hinter hohen Dünen ihre Stellungen. Wenn die Assurer ohne jeden Verdacht und ohne jede Vorsicht vor der Oase auftauchen werden, sollen sie von den Seiten auf sie einstürmen, den Überraschungsmoment ausnutzen und sie überwältigen. So Agenors Plan. Der Reiterei soll dann der Rest überlassen bleiben.

Jetzt lauern die drei Verbände an den geplanten Plätzen – nicht sichtbar für die aus dem Osten erwarteten Feinde. Agenor hat Zelte in der Oase aufschlagen lassen, sie sollen die Sicht auf die niedergebrannten Hütten verdecken und gleichzeitig ein Zeichen sein, dass Agenor und sein Heer keine Ahnung haben, was auf sie zukommt.

Man kann es bereits hören, bevor man sie sieht: Viele Pferde müssen da im Anmarsch sein. Dann zeigen sich die Vorhut und ein erster Reitertrupp. Agenor hatte seinem General eingeschärft, auf keinen Fall zu früh loszuschlagen, damit möglichst alle eingekesselt werden könnten. Der König ist unruhig. Er weiß nicht, warum. Eigentlich läuft doch alles nach Plan, ihr Sieg ist unvermeidlich. Warum diese Unruhe? Jetzt erscheint ihm auch noch das Bild seiner Frau, der gemeuchelten Königin, vor seinem inneren Auge. Sie scheint ihm etwas sagen zu wollen. Aber was? Da geht die Sonne auf. Der tiefrote Ball wächst langsam am Horizont über dem fernen Gebirgszug. Langsam. Und bringt fahles Licht zur Oase, wo ein schlimmes Blutbad bevorsteht, von dem noch niemand dort weiß.

Agenor spürt, wie sein Herz heftig schlägt, wie Schweißperlen auf seiner Stirn herunterlaufen. Warum schlägt er nicht los? Die arglosen Feinde sind jetzt nah genug, also los jetzt, los!

Und dann beginnt ein Dröhnen, ein Geschrei, als die drei Verbände nun auf die ahnungslosen Assurer los stürmen. Aber die scheinen gar nicht beeindruckt. Keine Panik, kein Davonlaufen, kein Angstgeschrei. Im Gegenteil. Agenor, der es gar nicht fassen kann, was er da sieht, bemerkt, wie die Assurer ihre langen Schilde vor sich aufbauen, einen neben den anderen in einem großen Kreis, den sie dabei gleichzeitig bilden. Wie ein eiserne Mauer, mannshoch, versteckt sich der wohl nicht überraschte Feind hinter diesem metallenen Bauwerk. Wie kann das sein?

Agenors Mannen – vorneweg sein General Abressonios – stürzen sich gerade immer noch mit wildem Kreigsgeschrei auf die feindlichen Soldaten hinter ihren Schilden. Doch im gleichen Augenblick sieht Agenor, der gerade erleichtert ausatmet, hinter seinen anstürmenden Verbänden in breiter Front eine riesige Streitmacht anrennen. Lautlos, völlig lautlos. Das muss ein böser Traum sein, denkt Agenor. Doch der nun anbrandenden Übermacht haben seine Krieger nichts entgegen zu setzen, zumal nun auch der eiserne Schilderkreis sich öffnet und die besten Männer von König Ufroras auch den Zweikampf suchen. Nun stecken sie in der Falle, zwischen zwei Fronten, ein zweites Blutbad muss nun die sonst so stille Oase über sich ergehen lassen. Diesmal aber sind es nicht Frauen und Kinder und Kamele, die herzzerreißend schreien, diesmal sind es die siegessicheren Phönizier, die da in ihrem Blut ertrinken.

Die Sonne, die inzwischen den schrecklichen Ort hell beleuchtet, sieht auch mitleidig, wie König Agenor gefangen genommen wird. Er hatte noch versucht, Richtung Westen zu fliehen. Er hat ein gutes Pferd. Aber es hatte nichts genutzt. Sie fangen ihn und bringen ihn zurück zur Oase, wo König Ufroras auf ihn wartet. Zitternd steht er nun vor seinem Beinahe-Schwiegersohn. Der grinst böse. Lässig lungert er auf einem Schemel:

„So hast du dir sicher unser Wiedersehen nicht vorgestellt, Agenor! Oder?“

Agenor glaubt in einem bösen Traum eingesperrt zu sein, böse Dämonen müssen ihn überwältigt haben. Er muss nur warten, bis dieser Traum vorbei ist. Also einfach mal mit spielen.

„Nein, fürwahr, so nicht. Aber sag mir, woher wusstest du, dass wir schon die Oase erreicht hatten?“

Da lachen Ufroras Paladine aus vollem Halse, der König stimmt ein. Schließlich gebietet er dem Gelächter Einhalt, und nach einer gehörigen Pause antwortet er so:

„Nun, Agenor, König von Phönizien, Vater der Europa, um die du mich betrogen hast, so höre: Du warst so dumm, ein großes Feuer am späten Nachmittag in der Oase zu entfachen. Das war uns ein sehr hilfreiches Zeichen. Danke auch dafür!“

Und wieder lachen alle, die um König Ufroras herum stehen. Agenor, dem die Angst ins Gesicht geschrieben steht, würde jetzt gerne seinen Reitergeneral Abressonios vierteilen lassen. Dieser Idiot. Er hat den klugen Plan zunichte gemacht.

„Die Dummheit geht zu Lasten meines Reitergenerals Abressonios, mir wäre so etwas nicht passiert!“

Ufroras gibt mit kleiner Geste ein Zeichen. Sofort packen vier Männer Agenor an den Armen, zwingen ihn in die Knie und halten ihn so fest. Noch bevor der König protestieren kann, hört er die schneidende Stimme von König Ufroras:

„Schade. Hättest du den Fehler auf dich genommen, hätte ich dein Leben geschont, so aber sollst du unehrenhaft geköpft werden und den Geiern zum Fraß dienen.“

Agenor hört es und kann es nicht fassen. Ist denn dieser Albtraum immer noch nicht zu Ende? Gleichzeitig sieht er seine Familie um sich stehen, seine Frau, seine drei Söhne und Europa, die ungehorsame Tochter, die doch an allem Schuld ist. Dann hört er sehr deutlich und schneidend ein Zischen in der Luft. Der Henker versteht sein Handwerk. Blut läuft aus seinem Kopf, als der im Sand zu liegen kommt.

König Ufroras aber und seine Streitmacht feiern einen großen Sieg. Und am nächsten Tag marschieren sie in Eilmärschen zum großen Fluss, den sie auf einer aus vielen Booten zusammengestellten Brücke überqueren und noch ehe die schlimme Nachricht in Agenors Königsstadt anlangt, sind die Assyrer schon da. Es ist ein leichtes, die unbewachte Stadt einzunehmen. Die Einwohner werden als Sklaven mitgenommen, auch der Königsschatz darf nicht fehlen. Die meisten aber sind in den Gassen und Häusern der Stadt verblutet.

König Ufroras aber wird in seiner Stadt eine große Prachtstraße anlegen lassen. Die hohen Wände aus riesigen Quadersteinen sollen auf beiden Seiten zur Straße hin mit großen Reliefs gestaltet werden. Und in bunten Farben. Darauf soll in allen Einzelheiten der erfolgreiche Feldzug gegen die Phönizier nachgemeißelt werden: Die Überraschungsschlacht vor der Oase, der eiserne Mauerring, die sterbenden phönizischen Soldaten, die Enthauptung des feigen Königs – auch sein Fluchtversuch wird dort festgehalten werden – der Eilmarsch und die Einnahme von König Agenors Stadt, die Versklavung der Überlebenden und die reiche Beute, die sie jubelnd mit nach Hause nehmen.

So werden auch noch die Kinder und Kindeskinder von diesem glorreichen Feldzug von König Ufroras erzählen können und von der Schmach der besiegten Feinde.