Europa – Meditation # 198
Europa – die Weitsichtige
Wenn man ihren Namen aus dem Griechischen ins Deutsche überträgt, dann kommt eben: DIE WEITSICHTIGE, DIE GUTSICHTIGE heraus. Wenn das Programm ist für den ganzen Kontinent, dann ist klar, dass sie vorausgesehen hat, was die Europäer gerade erleben müssen, aber eben auch, dass es ein danach geben wird, das nicht – wie Kassandrasprüche – düster und beängstigend gedacht werden muss, sondern offen, hoffnungsvoll, erfahrener. Denn ein Mensch mit guter Weitsicht – so der Wortsinn – ist eben einer, der nicht als Angsthase oder Eintagsfliege Welt und Zukunft denkt, sondern als ausbaufähiges Gemeinschaftswerk, das aus der Erfahrung der Not, der Angst, der Katastrophe Schlüsse ziehen will, die ihm ein Weiter Leben leichter machen sollen. Denn in der Not macht der weitsichtige Mensch die Erfahrung, dass er nicht allein überleben kann, dass er immer angewiesen bleibt auf den Nächsten, und dass die Angst zugrunde zu gehen, keine Macht über ihn gewinnen kann, wenn er sich mit seinesgleichen zusammentut.
Und das ist weder abhängig von Sprache, Ort, Religion, Philosophie und Geschichte, sondern nur von dem grundlegenden Gefühl, dass jede Herausforderung, die das Schicksal an die Menschen hier in Europa stellt, gemeinsam zu schultern ist. In Cadiz genauso wie in Tromsoe. So ist die Angst ein guter Ratgeber, wenn sie uns sehen lehrt, dass wir allein verloren sind, solidarisch aber mit dem anderen, auch dem scheinbar Fremden, sehr wohl klug überleben können.
Und wenn wir dazu hier in Europa früher Bilder erdachten, dass da jemand Unsichtbarer für uns die Geschicke lenke, so war das ein verständlicher Versuch, der nach und nach aber an Gültigkeit verlor, bis dass die Europäer auf den Gedanken kamen, dass es keiner Priesterkaste bedarf (auch nicht im Gewande der Wissenschaft!), die uns vorgeben muss, wohin wir uns bewegen sollen. Die Weitsichtigen wissen auch so, wo begehbare Wege sind und wo die Fallen lauern.
Einblicke in solche Weitsicht und Übungen, selbst mit Weitblick zu denken und Handeln zu steuern, ist die erste Aufgabe von Lernen. Wenn dazu von klein auf die Großen die Kleinen anleiten und begleiten, wird weitsichtiges Denken wie zur zweiten Haut, die sich gut anfühlt, die verlässlich zu begleiten weiß, die zur zweiten Natur wird. Europa, die Weitsichtige, ist die große Lehrerin darin. Dann hat die Angst vor der Zukunft in Europa ganz schlechte Karten. Kein Stich mehr.