30 Dez

Europa – Meditation # 242

Der Neinsager und der Jasager.

Treffen sich zwei unter freiem Himmel – mit Masken, versteht sich, dieser Tage – spielen weder Schach noch Boule, sondern gehen einfach am Wasser auf und ab und jedes mal, wenn sie auf gleicher Höhe sind, fällt ein Satz durch den Äther. Der andere denkt darüber nach und bei der nächsten Begegnung antwortet er dem Vorredner. Und so in einem fort.

R – (Rufer in der Wüste) Ist es nicht wunderbar, endlich einmal inne zu halten, aus dem Hamsterrad auszusteigen und festen Boden unter den Füßen zu haben?

Z – (Zeitgenosse) Nein. Dieser Stillstand nervt doch nur. Möglichst schnell wieder zurück in die Normalität, das muss die Devise sein!

R – Normalität? Wird nicht gerade jetzt klar, dass diese sogenannte Normalität alles andere war als normal?

Z – Was für eine Frage! Ich fühle mich zur Zeit wie in einer kalten und leeren Bahnhofshalle – hier fahren keine Züge ab, steht in großen Lettern auf der Anzeigentafel.

R – Genau. Hier nehmen wir uns nämlich etwas ganz Neues vor. Jenseits der ausgeleierten Glücksversprechungen von Werbespots.

Z – Nämlich?

R – Der unübersehbaren Verunsicherung nicht mit in sich logischen Textgebilden zu antworten, sondern mit einem neuen Weltverständnis sich und die anderen anzunehmen.

Z – Keinen Schimmer, was du meinen könntest.

R – Angst und Unsicherheit halten uns in Bewegung, sie sind unsere engsten Verwandten. Sie zu verleugnen, hat uns in diese Not gebracht, in der wir nun sind.

Z – Ach nein, wir sind also selber schuld, dass wir in diesem Lock-down hocken?

R – Ich denke schon. Und wenn wir zu den alten Mustern zurückkehren, planen wir lediglich die nächste Katastrophe.

Z – Sag mal. Hast du nicht den Schuss gehört? Im Sausewind haben wir einen Impfstoff erfunden, der den Spuk über kurz oder lang beenden wird.

R – Jetzt sei doch mal ehrlich: Hast du in deinem Kämmerlein – wo ja keiner mit bekommt, was du so treibst – nicht vor kurzem wie in einem schlimmen Katergefühl für einen Moment das still stehenden Theaterstück „Weiter, schneller, besser, mehr!“ als üblen Humbug empfunden?

Z – Kann ja sein, für einen Augenblick vielleicht, aber vorbei jetzt, klar.

R – Und was ist mit den Künsten? Fehlen sie dir denn gar nicht?

Z – Schon. Die tun mir wirklich leid.

R – Mitleid hilft überhaupt nicht. Im von der PANDEMIE platt gemachten Beethoven-Jahr ist seine Musik geradezu ein unverzichtbares Lebenselexier.

Z – Seine Sonate Nr. 13 zum Beispiel – echt ein Fest für die Sinne, echt.

R – Na bitte, darauf lässt sich doch aufbauen. (Fortsetzung folgt)

24 Dez

Poiesis – Versuch einer Annäherung (Leseprobe)

Rätselhafte Wesen, die wir sind.

Alte Muster sterben lautlos weg,

Leiser Herzschlag macht sich wichtig,

Steht bang und klamm zwischen nackten Bäumen,

Wo kleine Wunderwesen lautlos Saltos landen

Oder luftig durch den Äther fallen.

Angstfrei. Beneidenswert.

Sprachlos tanzen sie nach des Lebens

Zaubermelodie

Und zeigen dem verzagten, fremd gewordenen

Betrachter,

Was Leben wirklich ist:

Unberechenbare Momente praller Schönheit,

Nicht zu fassen, aber immer nur

Wunderbar.

Gestern – heute – morgen

Rätselhafte Wesen, die wir bleiben.

20 Dez

Europa – Meditation # 241

Die Welt – endlich im Frührentner-Modus!?

oder

Die heilende Kraft der Kunst.

Die alte Geschichte ist zu Ende erzählt – so oft und in so vielen Varianten und so erfolgreich, scheinbar. Fast schien sie schon keine Geschichte mehr zu sein, sondern eine wirkliche Wirklichkeit in sich, die gar nicht erdacht und immer wieder erzählt worden war. Fast. Jetzt unversehens ausgebremst.

Welche Geschichte denn?

Nun, die von der Konkurrenz, von der Mobilität und der individuellen Selbstverwirklichung darin. Und der Anhäufung von Geld und Sachen als Lebensziel. Ein Werkzeug nach dem anderen erfanden die Menschen, um für diese Geschichte möglichst erfolgreich tätig werden zu können. Immer mehr, immer schneller, immer erfolgreicher. Eine schier endlose Spirale – so wie die Geschichte vom Turmbau zu Babel…oder so… Daneben und dahinter aber auch immer die anderen Geschichten.

Welche anderen Geschichten?

Nun, die von der anderen Seite des Mondes.

Wie bitte?

Wollte nur etwas Aufmerksamkeit erzeugen.

Die anderen Geschichten sind die, bei denen den Menschen der Puls hoch geht, Tränen in die Augen stürzen und der Atem stockt.

Sehr geheimnisvoll.

In der Tat.

In der nun zu Ende erzählten Geschichte gibt es nämlich (zumindest im Kopf des Erzählers) keine Geheimnisse mehr; jede dunkle Ecke wurde ausgeleuchtet, durchmessen und in Zahlen gefasst, jede.

Jede?

Eben nicht. Denn jetzt wird deutlich, was ihm fehlt, dem Erfolgsmodell.

Nämlich?

Ihm fehlt das, was immer mit gedacht werden muss: Alles Versuchsanordnungen, die nur so lange gelten, wie sie den Menschen befriedigen. Nur ist er nie befriedigt, weil alles eben immer eine Einbildung, eine Erzählung ist. Und nur in der Kunst wird ihm jede Erzählung so vorgeführt, dass er selbst sie zu Ende erzählen muss, mit Lust und frei von jedweder Bevormundung.

Deshalb waren sie auch nicht tot zu kriegen, die Künste, die Künstler und die, die es in Echtzeit mit erleben. Zu Herzen gehend, ein wohliges Bad der Gefühle eben.

Und jetzt Herakles am Scheideweg:

Möglichst schnell wieder zurück zum alten Erzählmuster, in neuer Auflage

oder endlich hin zu der Begegnung – jeder erzählt seine Variante dabei selbst – mit sich und den flüchtigen Gedanken auf dem unendlichen Meer der Gefühle, schwankend, aber selig zugleich?