07 Sep

Europa – Meditation # 289

Europäische Altlasten aus dem Walpurgissack der Kirchen.

Wie regen sich die aufgeklärten Europäer auf über hinterwäldlerische Männer, die ihre Frauen behandeln, als wären sie Waren, die sie käuflich erworben hätten. Anatolien, Afghanistan, Somalia, Herrenhuterländle, Walachai, Masuren, Bad Lands; die Liste wird lang und länger. Die Abtreibungsgegner in Georgia oder Argentinien, die Mafiosi all überall.

Wir Europäer vergessen nur allzu gerne, dass es zumeist Altlasten in der Tradition des Augustinus (354 – 430 in Hippo) sind, die da zutage treten, bzw. klammheimlich innerhalb der Familien festgezurrt sind, schon so lange:

Die Triebhaftigkeit des homo sapiens sei dämonengleich im Fleische der Frauen geparkt, wo sie zügellos toben würde, hätten die Kirchen dem nicht einen Riegel vorgeschoben: Der Mann steht für Selbstdisziplin, Stärke und kompromisslose Härte gegen diesen Pfuhl, der nur Unheil schafft. Sexualität ist seit den Tagen des Augustinus – dessen Botschaft seitdem das Abendland und auch später darüber hinaus (Brasilien, Indonesien und und und) in Atem hält – teuflisch; deshalb muss der Kampf gegen diesen dämonischen Trieb im Leib der sprechenden Primaten Tag und vor allem nachts unerbittlich geführt werden.

So begegnen nun die Europäer (die Amerikaner sind ja auch ehemalige Europäer, die ihre verkorkste und religiös verbrämte Körperfeindlichkeit mit nach Übersee nahmen – man schaue sich nur die Evangelikalen samt Trump an!) ihrem eigenen Irrweg in Gestalt der Taliban und schütteln entsetzt die Köpfe:

Wie kann man nur so gewalttätig, so frauenfeindlich, so körperverneindend sein, wie kann man nur so religiös verblendet sein!

Es ist so wohltuend für den scheinbar so aufgeklärten Europäer, mit dem angeekelten Finger auf diese Brut zu zeigen:

„Was seid ihr doch für Steinzeit-Affen, ihr sandalenschlappigen Mittelalter-Krieger, ihr!“

Der blasierte Pilatus-Gestus wabert da eilfertig und eitel durch Männerbünde, Vereine und Tresengeblubbere – Zoten ziehen zahllose Zuhörer an wie Honig die Wespen.

„Was haben wir es dagegen doch wahrlich so weit gebracht!“

Gleichzeitig sind die Europäer aber blind für das, was tagtäglich in den Medien europaweit ans Licht gezerrt werden muss: Gewalt gegen Frauen in der Familie, Missbrauch der eigenen und verwandten Kinder; und nicht zu vergessen der nicht enden wollende Missbrauch der Kinder in kirchlichen oder karitativen Institutionen – von Schule und Sportvereinen ganz zu schweigen. Zölibatäre Selbstgeiselungen inbegriffen.

Was ist da dann noch übrig von der sogenannten europäischen Aufklärungsepoche? Außer technologischem Fortschritt reichlich wenig. War es vielleicht gar keine Aufklärung? War es nur ein wortreiches Kaschieren der alten Muster zu neuen Preisen?

04 Sep

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 125

Des Meeres und des Tanzes Wellen.

Während die jungen Tänzerinnen erschöpft auf ihren Matten liegen und nicht wissen, ob sie träumen oder wirklich gerade im Rausch der Begeisterung der Zuschauer fast gemeint hatten zu fliegen, gehen die Kreter noch wie benommen vom Tanzplatz vor dem großen Tempel hinab ans Meer. Keiner will schon nach Hause. Alle fühlen sich wie verwandelt. Diese Bilder, diese Körper, diese Farben, diese Töne! So etwas haben sie alle noch nie gesehen und gehört. Keiner weiß es in Worte zu fassen. So ist es still am Ufer. Viele sitzen im immer noch warmen Sand, manche schlendern Arm in Arm am Wasser entlang. Die Blicke wandern übers Meer. In den Köpfen der meisten überschlagen sich immer noch die Bilder, die Gefühle, die Sehnsucht. Wonach? Die Stille gibt wortlos die Antworten. Jedem. Das Gleichmaß der kleinen Wellen, die in immer wieder neuen Formen sich erheben und dann wieder zerfließen, lädt die Betrachter ein zu genussvollem Betrachten und erregenden Träumen. Wie welke Blätter fallen Wutnester und Angstknäuel von ihnen ab, zerbröseln im fahl verlöschenden Licht der untergegangenen Sonne. Warme Haut findet weiche Stellen. Selbst die alten Ratsherren wandeln versonnen an den in die Ferne blickenden Bürger vorbei und das ohne alten Feindschaften hinterher zu hängen. Plötzlich ist ihr Blick frei für Zukunftspläne, für friedliche Allianzen, für Versöhnung mit Archaikos, dem Minos von Kreta. Wie das? Ein echtes Lächeln läuft ihnen über die zerfurchten Gesichter. Auch Chandaraissa, die Hohepriesterin, und ihre Freundin Europa schlendern am Meer entlang. Sie fühlen, wie dieser Tanz der jungen Frauen alle verändert hat, wie sehr die Freude, die Lebensgier von allen unverstellt Besitz ergriffen haben. Am liebsten würden sie eng umschlungen hier vorbei gehen, aber soweit sind die Kreter wohl noch nicht. So berühren sie sich beim Gehen immer wieder nur leicht an den Armen. Wohliges Gefühl durchströmt sie dabei.

Archaikos ist gleich – noch während alle anderen gar nicht aufhören wollten, beifällig zu klatschen, zu jubeln, zu jauchzen – zurück in den Palast geeilt. So hat er sich noch nie gefühlt. Die Abendluft, die er tief einatmet, beflügelt ihn. Dieser Duft, diese Kühle, diese Klarheit.

Jetzt liegt er auf seinem breiten Bett und versucht zur Ruhe zu kommen. Mit geschlossenen Augen horcht er in sich hinein, er hört Europas Stimme, sieht dazwischen immer wieder die fast fliegenden Körper der jungen Tänzerinnen. Eine wohlige Erregung wandert dabei durch seinen ganzen Leib. Europa. Sie an seiner Seite wird Kreta in ein von Lebensfreude und Frieden geprägte Insel umbilden.

Wieso ist er sich da so sicher? Die Musik und die Bilder der tanzenden Priesterinnen müssen in ihm etwas freigesetzt haben, das er vergessen hatte, dass er unterdrückt hatte. Warum nur?

Waren es vielleicht doch nicht nur die Musik, die Farben und Figuren, die ihn gerade verwandeln, war noch etwas Größeres im Spiel?

01 Sep

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 124

Der fast schon vergessenen Botschaft glückliche Rückkehr.

Athanama, die dunkelhäutige, schaut voller Trauer aufs Wasser. Sie hatte schon in ihren Träumen den Untergang von Sidon gesehen. Die Schreie der Sterbenden gehört. Jetzt auch die von den drei Brüdern Europas. Am ehemaligen Königshof war sie als junge Priesterin herangewachsen, hatte oft mit Europa am Ufer des Meers Ball gespielt. Auch hatten sie sich gegenseitig ihre Träume erzählt. Natürlich nur die schönen. Aber jetzt war sie völlig allein mit ihren Träumen.

Ich muss sie finden. Sie weiß selbst nicht, warum sie das gerade denkt. Aber sie ist sich ganz sicher. Dass die drei Brüder sie nicht gefunden haben, versteht sie nicht. Und als sie jetzt nach Westen, in die untergehende Sonne blinzelt, sagt sie sich einfach: Das ist die Richtung, in die ich mich wenden muss. Dass es die große Göttin ist, die ihr das gerade sanft einflüstert, ahnt sie nicht einmal. Und die Götter im Olymp – vor allem Zeus und seine beiden Brüder Poseidon und Hades – hätten da wohl besser aufpassen sollen, denn Athanama wird noch eine große Rolle spielen, um die fast schon vergessene Botschaft vom Glück auf ihrer Rückkehr helfend zu begleiten.

Mit dem Rücken lehnt sie sich an das kleine Beiboot, das hier zurück gelassen wurde. Stimmen hinter ihr. Männerstimmen.

„He, du, hau ab, oder willst du helfen, das Boot ins Wasser zu schieben?“

Athanama sieht die vier Männer erstaunt an.

„Oh, wo wollt ihr denn hin?“

„Siehst du denn nicht draußen in der Bucht den großen Segler? Da wollen wir hin!“ Dabei lachen sie verschwörerisch.

Athanama zögert keinen Augenblick.

„Könnte ich mitkommen?“

Den vier Seeleuten bleibt das Lachen im Halse stecken? Wie sollen sie diese Frage verstehen?

„Ich könnte an Bord in der Küche helfen, ich kenne mich gut mit Kräutern aus!“

Vielsagende Blicke gehen zwischen den vier Männern hin und her. Schließlich nickt der älteste von ihnen und sagt:

„Du weißt wahrscheinlich nicht, auf was du dich da einlässt, aber uns soll es nur Recht sein!“ Gegröle. Und schon schieben sie das Beiboot ins flache Wasser, Athanama folgt ihnen, einer hilft ihr ins Boot, und schon rudern sie los.

Das muss die Göttin für mich geplant haben, denkt Athanama. Trotz der vier starken Männer, trotz des schwankenden Bootes, trotz der platschenden Geräusche könnte sie vor Glück fast laut aufschreien. Das tut sie aber nicht. Wenn sie an Bord gehen, braucht sie eine gute Erklärung für den Kapitän. Der wird nämlich sicher gar nicht begeistert sein. Oder doch?