22 Dez

Europa – Meditation # 304

Dialog # 5

Friedrich Merz, der letzte Mohikaner.

Der eine:

„Es ist einfach so beruhigend, dass wir nie um ein neues Narrativ verlegen sind: Nach den Bühnenabtritten von Trump und Merkel – wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, so doch jeweils als markante Wegmarke – war zeitweise fast zu befürchten, dass der neue Ampel-Jargon die Lust am Hauen und Stechen nicht mehr bedienen würde…“

Die andere:

„Hör mal, soll das etwa heißen, dass Hillary Clinton oder Annalena Baerbock keine nennenswerten Narrative anzubieten haben?“

Der eine:

„Lass mich doch einfach mal ausreden, ja!? Zum Jahresausklang steht ein außergewöhnlicher Retter vor der Tür, dem viele, sehr viele gerne Geschenke vor die Füße legen würden.“

Die andere:

„Das ist jetzt nicht dein Ernst: Willst du jetzt wirklich diese ausgelutschte Bethlehems-Geschichte als Joker-Narrativ anmoderieren?“

Der eine:

„Danke für das Stichwort, darauf komme ich gerne später zurück. Aber mein Retter ist ein ganz anderes Kaliber, ein Knaller: Gewissermaßen der letzte Mohikaner.“

Die andere:

„Wer soll das denn sein?“

Der eine:

„Friedrich Merz natürlich, der nicht nur vom Erscheinungsbild, sondern auch vom ideologischen Hintergrund ein scheinbar erfrischendes Narrativ zu versprechen weiß: Die Nach-Merkel-Ära wird uns endlich aus dem Jammertal der Bedeutungslosigkeit herauskatapultieren, dass den drei Ampellampen so was von das Licht ausgeht.“

Die andere:

„Schönes Bild, aber auch schön tönern, wenn du mich fragst.“

Der eine:

„Dass nun in Berlin nicht nur das Oberbürgermeisteramt, sondern auch noch das Außenministerium von Frauen geleitet werden soll – nach 16 Jahren, 16!, Kanzleramtsleitung ebenfalls von einer Frau – ist für die Männerriege in den konservativen Parteien schon eine harte Prüfung.“

Die andere:

„Mir kommen die Tränen, echt.“

Der eine:

„Nun kommt die hohe Zeit der lang verborgenen Rache – ich sehe schon die Medien an einem blutrünstigen Narrativ arbeiten, das für jede Menge Serien und Headlines gut sein wird, der Bürger wird bestens unterhalten werden!

Es werden Köpfe rollen, es wird kleine und vielleicht sogar größere Palastrevolutionen geben – zum Beispiel im Süden, wo ein einsamer Wolf seit langem schon immer ungeduldiger auf seine Stunde wartet.“

Die andere:

„Komm, bitte nicht auf das Niveau einer Schmierenkomödie herabsteigen, bitte, die anliegenden Probleme sind wirklich zu dringend und ernsthaft.“

Der eine:

„Nun gut – aber du wirst es im neuen Jahr schon noch erleben, darauf können wir wetten – lassen wir den letzten Mohikaner sich zuerst einmal warm laufen, nach Neujahr ist der bestimmt auf Betriebstemperatur. Wenden wir uns also flott dem zweiten Stichwort zu: Dem Bethlehem-Narrativ.“

Die andere:

„Moment. Ist dir eigentlich klar, dass dieses Narrativ – immerhin erst 2000 Jahre alt – von lauter alten Männern wieder und wieder erzählt und aufgeschrieben wurde, wie all die Narrative davor auch und die jetzt mit der Missbrauchsagenda noch älter aussehen, als sie sowieso schon sind?“

Der eine:

„Ja und?“

Die andere:

„Was hatten denn gleichzeitig all die Frauen, die nicht lesen und schreiben lernen durften in all den Jahrtausenden, für ein Narrativ parat?“

Der eine:

„Bin ich Moses, wächst mir Gras aus der Hand, hab ich ein Loch in der Hose?“

Die andere:

„Das ist natürlich auch eine Antwort, aber keine sehr sachbezogene. Dann will ich dir eben auf die Sprünge helfen: Das Narrativ der Frauen war keines auf Gewalt, Lüge und Macht erpichtes, nein, es war ein sich verweigerndes Narrativ, das aber nicht überliefert werden konnte, weil Sprache, Erinnerung in Texten allein von den Männern betrieben wurde. Ausschließlich. So sind uns all die Begabungen, die in diesen Frauen schlummerten verloren gegangen, unbemerkt und unwirksam verschwiegen und verkannt worden. So hätte ich auch eine andere Wette anzubieten: Die Geschichte der Menschheit wäre zu mindestens 50% anders verlaufen, wenn dieses alternative Narrativ aufgeschrieben und weitererzählt worden wäre.“

Der eine:

„Wow, jetzt kommt aber die richtig dicke Kanone raus, wow.“

Die andere:

„Schade, dass du weiter nur etwas weglachen willst, das wir besser miteinander diskutieren sollten, schade.“

Der eine:

„Ok, Asche auf mein Haupt, ich bekenne mich schuldig und verspreche Besserung – aber vergiss bitte nicht, was ich über den letzten Mohikaner gesagt hatte.“

20 Dez

Europa – Meditation # 303

D i a l o g # 3

Die Patrix nimmt Fahrt auf – die Männer gehen dann schon mal vor…!

Der eine: „Na, das weiß doch jeder Hobby-Anthropologe, dass die Angst das Grundgefühl unserer Spezies war und ist und sein wird – oder?“

Die andere: „Genau – doch wenn dem so ist, dann war die Patrix bisher nichts anderes, als das Programm, diese Angst tot zu schweigen. Laut, gewaltig, so dass den Frauen nun doppelt Angst ist: Nicht nur in Sorge um das Leben, sondern auch in Furcht vor dem gewalttätigen Mann.“

Der eine: „Auf die Schippe kann ich noch einen obendrauf legen: Dazu kommt jetzt noch die Angst in der Pandemie, die ja leider keine Unterscheidung bei den Geschlechtern kennt.“

Die andere: „So ist es. Aber wer einen Großteil seiner Wachphase im Internet verbringt, um da in seiner Blase blasiert sich an sich selbst hoch zu geilen, der entfernt sich zunehmend von jedwedem Diskurs-Abenteuer. Er weiß es immer schon besser und hat es auch immer schon gewusst.“

Die andere: „Die Patrix hat eben nicht nur das Mann-Sein mantrahaft als Peak der species hinausposaunt, nein, seit der Aufklärung braucht der Mann dazu auch nicht mehr den Glauben, sondern nur noch die Wissenschaft, die ihn in seinem So-Sein anhand der unglaublichen wissenschaftlichen Erfolge, die fast alle auf das Konto der Männer gehen (meinen die Männer), so sehr unablässig zu bestätigen scheinen, dass…“

Der eine: „Der neue Glauben ist eben die Wissenschaft: Messbar, beobachtbar, wissbar. Dem ist kein Kraut gewachsen, erst recht nicht das von Kräuterfrauen.“

Die andere: „Nun sind wir wieder an dem berühmten Sprung in der Platte: Die Patrix vor ihrem Spiegel fragend: Wer ist der Schönste im ganzen Land? Und immer wieder die gleiche Antwort. Wie im Rausch. Gerne stellt er sich da für ein Selfie an jeden Abgrund – mag er noch so spektakulär sein – gegebenenfalls fällt er auch vor lauter Sensationsgier dabei hinten runter…“

Der eine: „Ein längst globales Muster, das seine weiblichen Opfer fordert, Tag und Nacht. Das Krankheitsbild kann ja gar nicht mehr als Krankheitsbild erkannt werden. Ist es doch die Norm, der sich „alle“ beugen, auch in Zeiten von Corona und in Zeiten der Klimakrise.

Die andere: „Statt einer Wende basteln wir und mit uns die euphorisierte Ampel weiter an Perfektionierungen, die unsere individuelle Mobilität nur noch schneller, schnittiger, sausender machen soll. Von Umkehr oder Entschleunigung keine Spur. Das können wir gerne in Yoga-Kursen von ausgebrannten Frauen zelebrieren. Gerne. Das stört uns gar nicht. Im Gegenteil. Es macht unsere dynamische Welt doch nur noch bunter, vielfältiger. Diversity pur! Die Kosten soll bitte schön – wie bisher – weiter der Planet zahlen, und nicht die Patrix, nicht die Macher, nicht die Pillen-Freaks, die schlaflosen Broker und Erfolgshengste!“

Der eine: „Um Vorbilder muss uns da ja auch nicht bange werden.!

18 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 128

Die Ankunft des großen Seglers in Kreta.

Chandaraissa und Europa haben sich nach der Generalprobe verabredet, sie wollen sich im Hafen ein bisschen umhören, was die Leute gerade so denken und über was sie gerade streiten. Zwei große, schlanke Figuren in schlichten Gewändern und weiten Kapuzen schlendern da durch die Gassen zum Hafen hin. Niemand beachtet sie. So scheint es. Die beiden lachen viel, ihre Augen wandern unterdessen von Haus zu Haus: Was wird da gerade getratscht?

„Der Minos soll ja jetzt eine neue Nebenfrau haben – oder?“

Anhaltendes Gekicher.

„Nebenfrau? Die sieht eher aus, als wenn sie dem Minos vorsteht!“

Aus dem Gekicher wird glucksendes Gelächter.

Da sind die beiden Frauen aber auch schon vorbei. Auch sie kichern jetzt unter ihren Kapuzen.

Als sie nun aus dem kühlenden Schatten der Gasse ins helle Licht des Hafenbeckens treten, fällt ihnen sofort der große Segler auf, der da gerade festmacht. Wo der wohl herkommt?

Oben an der Reling steht der Kapitän und neben ihm eine Frau. Chandaraissa flüstert ganz aufgeregt:

„Wer ist das? Kennst du die vielleicht?“

Europa hält eine Hand über ihre Augen, um nicht geblendet zu werden. Sie hat das Gefühl, als schaue diese Fremde von da oben ihr direkt ins Gesicht. Sie muss tief Luft holen, denn dieser Blick trifft sie mitten ins Herz. Natürlich kennt sie diese Frau. Wie ein unerbittlicher Blitz rasen gleichzeitig Bilder aus Kindertagen durch ihren Kopf, lassen ihr Herz schneller schlagen.

„Ja, ich kenne sie von früher, aus Sidon.“

„Und der Kapitän? Kennst du den vielleicht auch?“ Europa meint so etwas wie Eifersucht im Tonfall mitschwingen zu hören, als ihre Freundin, die Hohepriesterin, die Frage stellt.

„Nein, den kenne ich nicht“, antwortet Europa sofort.

Die beiden oben an der Reling beobachten unterdessen, wie das Schiff entladen wird, wie eine Amphore nach der anderen, gefüllt mit kostbarem Öl, in hölzernen Gestelle am Uferbecken aufgestellt werden. Sie sollen alle noch heute verkauft werden.

Es dauert auch nicht lange, da bildet sich eine neugierige Menschengruppe vor den Amphoren, lauter potentielle Käufer.

Die beiden Frauen, unter ihren Kapuzen kaum zu erkennen, schauen sich das Treiben in aller Ruhe an. Niemand beachtet sie. Niemand?

Im Kopf von Europa schweben alte Bilder blass vorbei, sie rühren sie bis in ihr Innerstes. Damals. In Sidon, als Athanama sie auf dem Arm hatte, sie herumtrug, sie in den Schlaf summte, während in der Halle ihre Eltern, König Agenor und Telephassa heftig miteinander stritten. Geschrei, böses.