29 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 130

Die Audienz beim Minos von Kreta.

„Kapitän Chaturo und die Priesterin Athanama aus dem zerstörten Sidon bitten dem Minos ihre Aufwartung machen zu dürfen!“

So klingt tief tönend die Stimme des Hofmeisters durch die Empfangshalle. Archaikos sitzt auf seinem marmornen Thron und winkt die Gäste gnädig herein. Vier kräftige Matrosen legen prall gefüllte Säcke vor dem Thron ab, dahinter verneigen sich Chaturo und Athanama. Die alten Ratsmitglieder beäugen von ihren Plätzen an den Längswänden der Halle misstrauisch die Szene.

„Nun, nun. Was habt ihr mir denn da mitgebracht und wer seid ihr überhaupt und was wollt ihr von mir?“

Chaturo spürt den drohenden Unterton sehr wohl. Er muss vorsichtig sein. Außerdem meint er gesehen zu haben, mit welch gierigen Blicken er kurz Athanama begafft hat.

„Hoch verehrter Archaikos, Minos von Kreta, wir kommen mit Öl, Wein und Oliven und natürlich auch mit Weihrauch vom fernen Phönizien, das über den Tod seines Königs Agenor trauert.“

Archaikos hält den Atem an. Agenor? Das ist doch Europas Vater. Blass und sprachlos versucht Archaikos so zu wirken, als wenn ihn das alles gar nicht interessierte. Er schweigt. Lässt die Gäste einfach warten. Athanama aber spürt genau, was da in ihm vorgeht. Sie hat seinen Blick eben wohl gemerkt. Einige Ratsmitglieder beginnen gleich zu tuscheln. Das holt den Minos aus seiner Starre zurück. Er winkt in die Richtung des Getuschels, das auch gleich verstummt.

„Das sind gute und schlechte Nachrichten, die ihr da bringt, wohl wahr, wohl wahr.“

Seine Stimme wirkt unsicher, heiser. Ihm will einfach nichts einfallen, was er sagen könnte. So gibt er ihnen einfach zu verstehen, dass damit die Audienz beendet ist.

Chaturo und Athanama verbeugen sich, die Matrosen desgleichen. Sie wenden sich zu gehen. Da fällt Archaikos doch noch etwas ein:

„Übrigens, bleibt doch bis zum Neumond, da geben wir ein großes Fest, das mit einer prachtvollen Tanz- und Musikvorführung endet. Seid unsere Gäste, wir würden uns freuen!“

Der Kapitän und die Hohepriesterin aus Sidon verbeugen sich erneut:

„Gerne nehmen wir eure Einladung an!“ ruft Athanama in die Halle. Nicht nur die alten Ratsherren, nein, auch der Minos von Kreta halten den Atem an: Diese Stimme, dieser Klang, diese Melodie! Als wäre ein Zauber von den Göttern auf sie herabgefallen und hätte sie alle in ihren Bann gezogen.

„Die Audienz ist beendet!“ schnarrt da die Stimme des Hofmeisters dazwischen. Die alten Männer, aber auch Archaikos verlassen fast fluchtartig die hohe Halle.

„Was war das denn?“ fragt Chaturo ratlos Athanama.

26 Jan

Europa – Meditation # 313

Europa – die Spitze des Eisbergs.

Der homo sapiens sapiens hat sich das Sprechen in Bildern von Anfang an selbst beigebracht; die Europäer bauten darauf auf und bebilderten sich die Welt mit Wortschöpfungen, an denen sie sich selbst berauschen konnten. So eben dann auch nicht nur das Bild vom Wüstenschiff oder vom Drahtesel, nein, auch das von der Spitze des Eisberges wurde solch ein Sprachbild, mit dem sich trefflich Vermeintes scheinbar anschaulich verdeutlichen lässt.

Europa – die Spitze des Eisbergs?

Wie könnte dieses Bild gemeint sein?

Es geht dabei um die zur Zeit europaweit wabernde Debatte um das Thema Gewalt gegen Frauen und Missbrauch in all seinen Varianten. Zur Zeit scheint diese Spitze dieses eiskalten Berges „nur“ die Kirche zu sein, bis hinauf zu ihren Päpsten.

Neben der inzwischen ermüdenden Auseinandersetzung um die wirkungsvollste Bekämpfung der Pandemie und dem 5-nach-zwölf-Klima-Katastrophen-Notruf des Globus‘ kreist in diesen Tagen nun die mediale Aufmerksamkeitskampagne träge um das Missbrauchs-Thema.

Da aber ist es – fokussiert auf die Kirche und ihre höchsten Repräsentanten – zwar ein schönes Beispiel für die sogenannte Fall-Höhe („Nur wer hoch steht, kann auch tief fallen“) – eine nicht hinnehmbare Verengung der Anstrengungen unserer Medien und der Gerichte:

Denn in einer patriarchalischen Gesellschaft, die u.a. auf einem körperfeindlichen Gesellschafts- und Moralmodell basiert, ist es europaweit nach wie vor so, dass zu viele Männer mit ihrer Sexualität nicht gewaltfrei umgehen können. Ein Kompensationskanal dabei ist auch die Gewalt gegen Frauen oder deren Diskriminierung mit Hilfe der Prostitution, die sie heimlich intensivst gleichzeitig nutzen.

Der Eisberg, der unter der Spitze des Missbrauchs in den Kirchen, unter der Oberfläche mächtig zu Buche schlägt, wird so gerne ausgeblendet, bzw. seine Kälte gegenüber den Opfer nicht als solche benannt. Denn neben der sexuellen Überhitzung frustrierter Männer meldet sich als geiler Partner gerne die Gewalt zu Wort, verbal genauso wie brachial – sei es nun in Polizeirevieren, Bundeswehrkasernen, Ausbildungsschiffen der Marine, oder eben auch Universitäten, Sportakademien, Schulen und Chören, um nur einige zu erwähnen – von Familien soll hier gar nicht erst die Rede sein.

Wie groß dieser Eisberg der Patrix unter der Wasseroberfläche, sprich unterhalb des öffentlichen Bewusstsein ist, lässt sich nur schwer ermessen, da die sogenannten Dunkelziffern europaweit kaum annähernd ordentlich beziffert werden können.

Aber das Bild von der Spitze des Eisbergs und dem, was darunter nicht zu sehen, aber immens gefährlich groß gleichzeitig präsent ist, sollte eben nicht nur als Sprachbild vor Augen stehen, sondern auch unablässiger Antreiber für unerbittliche Verfolgung und Bestrafung sein.

24 Jan

Europa – Meditation # 312

Wie soll es denn endlich aufhören? (Teil 2)

In diesen Tagen weiß jeder kundige Teilnehmer am öffentlichen Diskurs, was mit „es“ gemeint ist: Der Missbrauch und das Totschweigen der Täter. Ein Dementi folgt dem nächsten, keiner möchte zur Zeit als Begünstiger der Täter in Frage kommen, jeder will unnachsichtig endlich den Opfern zu ihrem Recht und zu Wiedergutmachung verhelfen. Dabei lässt sich dieses „es“ natürlich auch psyschologisch unterfüttern, schließlich gehört es inzwischen zur Allgemeinbildung in Europa, dabei an Freuds Seelenleben-Begrifflichkeiten zu denken. Es liegt eben nicht auf der Hand, oft aber eben auch unter einer Soutane versteckt agierend.

Aber es wäre grob fahrlässig, nun den Augenmerk bei der katholischen Kirche zu fokussieren: Familien, Sportvereine, Chöre, Kinderheime sind genauso sensible Institutionen, in denen Männer diesem „es“ ihren unseligen Tribut ungestraft zu zollen wissen.

Wenn es denn endlich aufhören soll, dann muss den Europäern klar werden, dass dahinter eben ein uraltes Narrativ wispert, das mit Angst und Gewalt diesen unnatürlichen Anspruch der Männer über die Frauen weiter und weiter gibt – auf allen Ebenen gesellschaftlicher Prozesse: Von der Taufe bis zum Gerichtssaal.

Gerade die Faszination von Apparaten, Raketen und Weltraumlaboratorien zeigt die wirkungsvollen Ablenkungsmanöver, bei denen Männer sich austoben können, um angestauten „ES-KRÄFTE“ ein scheinbar sinnliches Ventil zu gestatten. Dass Jungen mit der Eisenbahn spielen und Mädchen mit Puppen ist nur ein niedliches Muster dieses überwältigenden Machtanspruches. Aber eben sehr wirksam: Was die Kleinen brav einüben, wird später dann als natürlich weiter zelebriert, notfalls eben auch mit Gewalt – oder eigentlich gar nicht notfalls, sondern in der Regel mit Strafe für jeden, der sich diesem Anspruch zu widersetzen wagt. Kinder und Frauen zum Beispiel.

So hocken die Männer in ihrer Wagenburg der gewaltigen Männlichkeitsmuster, betrachten sich eitel im Spiegel ihrer unübersehbaren Erfolge und lassen den mächtigen Überdruck, bzw. Samen, im käuflichen Triebhaus ab.

Endlich aber melden sich auch die Betroffenen wirkungsvoll nicht nur zu Wort: Sie verändern sich und ihre Rollen in der Gesellschaft so lautstark, dass sie nicht mehr überhört oder nieder geschrien werden können. Der Hype um Prinz Andrew bringt es auf den Punkt: Missbrauch schützt vor Strafe nicht länger mehr. In Behörden, Firmen, Kirchen und Vereinen müssen sich warm anziehen in diesen Tagen, nicht wegen Winter oder Pandemie, nein, wegen einer Öffentlichkeit, die nicht mehr wegschaut oder schön redet!

Es ist der allzu lange schon fällige Anfang des Endes des Patriarchats, der ja nicht nur die Menschen quält, sondern auch die Natur.