17 Mrz

Europa – Meditation # 325

Europa – im Wechselbad der Gefühle.

Wut, Entsetzen, Zorn, Angst besuchen uns Europäer in diesen Tagen pausenlos. Gleichzeitig zerscheppern lieb gewonnene Gewissheiten über politische „Wahrheiten“ wie wertvolles Porzellan beim Stolpern auf einer Kirschbaumholztreppe. Und wenn dann auch noch der Geldbeutel anfängt wie schwindsüchtig zu hecheln, ist der Traum vom Wohlstandsparadies endgültig ausgeträumt.

Doch dann steigt aus diesem Dampfbad – wie Phönix aus der Asche – der bis dahin für unmöglich geglaubte Gedanke auf: Wir könnten mit viel weniger immer noch wunderbar das kurze Leben genießen, könnten zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Das wäre ja dann gewissermaßen sogar der für unmöglich geglaubte Einstieg in den Ausstieg der auf brutaler Konkurrenz aufgebauten Konsumhysterie. Und gleichzeitig schwächen wir den gefühlskalten Kriegsherrn und sein Gefolge nachhaltig in seinen eigenen Mitteln von Geld, Waffen und Ideologie.

Dann meldet sich aber wieder die Angst zu Wort: Redet euch doch nicht mit solch einem von Wunschdenken gespeisten Stärketrank in eine Euphorie hinein, die gerne vergessen möchte, wie sehr Macht die scheinbar Mächtigen zu blenden vermag. Hier wie da, übrigens.

Was, wenn daraus ein nicht mehr zu kontrollierender Weltkrieg wird, wenn plötzlich die Militärs ihre Stunde wittern, dass Frieden nur möglich sei, wenn der Gegner in Angst und Schrecken versetzt wird – mit allem, was an modernen Waffen so möglich ist?

Dann stehen da plötzlich diese Flüchtlinge am Bahnhof – Hunderte, Tausende. Voller Scham müssen sich die Westeuropäer heimlich eingestehen, dass die Osteuropäer ihnen verdammt ähnlich sehen – in allem: Kleidung, schnurlosem Telefon, Gehabe…aber diese Angst in den Augen der Ankömmlinge, diese Angst! Übersprungshandlung. Schon euphorisieren sich die West-Eu-Päs mit einer schier maßlosen Hilfsbereitschaft – weil im Hinterkopf vielleicht der kleine „Memeto-Mori-Beißer“ hockt und beinhart sein Sprüchchen in Dauerschleife uns ins Ohr träufelt? Inzidenzen? Ja, ja!

Die Verwirrung nimmt im Gefühlshaushalt der Europäer rapide zu: gewissermaßen katapultiert der mörderische Krieg in der Ukraine die Europäer in eine atemberaubende Verwirrung (was natürlich ordentlich Angst macht):

Der Konsument als autonomer Entscheider zwischen zahllosen Warenangeboten erlebt sich – ohne Vorwarnung, scheinbar – im Handumdrehen als nackt; des Kaisers neue Kleider entpuppen sich doch wirklich als Kaugummiblasen, die gerade schlaff in sich zusammensacken. Was ist der Sinn des Lebens? Helfen, zusammen handeln, den Planeten retten; endlich ist der richtige Zeitpunkt dafür da. Die bisherigen Prioritäten erweisen sich angesichts der Gewalt und des Todes als banal.

14 Mrz

Europa – Meditation # 324

Wie sich die Geschehnisse gleichen!

Da stolpern damals die USA in einen Krieg, den sie gar nicht wollten – in den Zweiten Weltkrieg. Pearl Harbor. Dezember 1941. Und Deutschland – eigentlich materiell, aber auch physisch längst überfordert und die Fronten überdehnt – erklärt den USA den Krieg. Als hätten sie sich nicht schon längst mit dem mörderischen Überfall auf Russland maßlos übernommen. Aber Tyrannen hassen Verluste, Niederlagen wie die Pest. Also einfach den Krieg ausweiten, Gegner täuschen, indem man Verhandlungen führt, die zu nichts führen – außer zu Zeitgewinn für den Tyrannen, seine Truppen neu aufzustellen.

Und heute?

Wie sagt Katja Petrowskaja heute zurecht im Rückblick: Demokratien sind immer schwach Tyrannen gegenüber, wenn sie sich nicht gemeinsam aufraffen und kompromisslos Gegenwehr und zusammen Stärke zeigen.

1939 erklären England und Frankreich zwar Deutschland den Krieg – nach dem Überfall auf Polen; aber was taten sie für die Polen? Nichts. Abwarten. Die Folge: Deutschland überrollt die Benelux-Staaten und Frankreich, England entgeht nur sehr knapp einer Katastrophe in Dünkirchen.

Verhandeln hilft gegen Tyrannen nur aus einer Position der Stärke, schon immer. Natürlich lässt sich die Situation der zwanziger und dreißiger Jahre nicht vergleichen mit heute; was sich aber sehr wohl vergleichen lässt, sind die Handlungsmuster von Tyrannen, für die Verlieren keine Option ist.

Wenn der Putler im Moment andeutet, Gespräche führen zu wollen, so doch nur, um währenddessen neue Kräfte an die Front heranführen zu können, Zeit zu gewinnen, damit er doch noch erreicht, was er eitel glaubte, mit einem Überraschungskrieg über Nacht zu erreichen.

Die Komfort-Zone, in der Westeuropa badet, ist keine zu rechtfertigende Lebenssituation, die vielfaches Morden und Zerstören als Kollateralschaden klein reden darf.

Also muss der moralische Imperativ an diesem 13. März 2022 sein: Europa, handle so, dass gleichzeitig deine Familie am Dnepr weiter leben kann! Ein lebenswertes Leben in Europa lässt sich auch auf einem viel bescheideneren Level glücklich und gesund gestalten. Auf jeden Fall!

12 Mrz

Europa – Meditation # 323

Die Angst hatte nur kurz Urlaub genommen.

Meinten wir hier in Europa. Die Gewöhnung an Todesstatistiken – der Pandemie geschuldet – nahm diesen ihren Horroreffekt. Die Buchungen für Urlaubsreisen sind auf dem besten Weg, durch die Decke zu gehen. Endlich? Nein. Denn die Europäer kommen aus dem Regen in die Traufe. Nun dieser irrsinnige Krieg Russlands auf ukrainischem Boden. Kommt nach der Angst vor der Pandemie jetzt die Angst vor dem Ende des exzessiven Konsumierens, auf das man nun schon seit zwei Jahren mehr oder weniger verzichten musste?

Covid-19 als unsichtbarer Feind und Todesengel war nie wirklich greifbar, immer dem Zugriff entzogen. Das brachte einige sogar auf die Idee zu glauben, es sei eine mutwillige Erfindung von machtgeilen Finsterlingen. Aber die Angst der meisten war da, führte zu Verhaltensänderungen, zur Verabschiedung von liebgewonnenen Gewohnheiten.

Und die Angst vor dem Klimakollaps? Schweren Herzens fand man sich bereit zu Kompromissen, aber dank der Konsumenten kommt man nur sehr schrittweise voran, wenn überhaupt. Dabei ist dieser Krieg, den die Erdlinge gegen die eigene Erde führen, längst sofort zu beenden. Zahlen belegen es. How dare you! Inzidenzien oder Co²-Werte erzeugen einfach nicht genügend Angst, um die unabwendbaren Veränderungen global zu starten. Jetzt.

Aber die Angst vor dem Krieg – mehr oder weniger vor der eigenen Haustür – scheint endlich Kräfte im Kopf und im Arm der Europäer freizusetzen, Verzicht nicht mehr als Einschränkung zu erleben, sondern als notwendiger Akt der Befreiung aus der selbstverschuldeten Sackgassen-Situation. Und das auch noch mit guten Gefühlen, denn die um sich greifende Solidarität beflügelt die ängstlichen Europäer zu einer nie für möglich gehaltenen Verhaltensänderungsbereitschaft (Monsterwort!). Der Begriff ein Monster, das Tun ein nicht für möglich gehaltenes Glück: „Memento mori!“ zaubert – wie aus dem Nichts – eine im Jetzt spontan gelebte Hilfsbereitschaft, die jenseits von Kosten, Preisen, Schulden das Leben als solches mit dem höchsten Preis versieht.

Das bis heute scheinbar selbstverständliche Muster, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu konsumieren – weltweit – entpuppt sich als eine irregeleitete Konditionierung („the american way of life“) zu Lasten derer, die es überhaupt erst ermöglichen. Über Nacht ist Sparen nicht mehr eine Haltung von Spaßbremsen, sondern eine Erlösung aus eher lächerlichen Zwängen. Dass weniger wirklich mehr sein kann – wer hätte das gedacht?! Statussymbole nur noch Fetische von Loosern!

Aber der homo sapiens sapiens hatte schon immer als besten Freund beim Überlebenskampf die Angst an seiner Seite. Sie beflügelt ihn zu ungeahnten Kraftanstrengungen. In diesen Tagen besteht sie darin, mit aller Kraft die Heizungen um zwei Grad zu senken, das Tempo herunter zu fahren, Leerstände mit Flüchtlingen zu füllen und Flugzeuge einzumotten.