28 Jun

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 142

Europa und Archaikos – Herrscherpaar auf Kreta. (Teil 1)

Wie Duft von Myrrhe, Weihrauch und Lavendel weht frischer Wind über die Insel. Frauen wie Männer – beschwingt, heiter und zugewandt – schlendern sie zum Versammlungsplatz vor dem Palast des Minos von Kreta. Wenn sich ihre Arme im Vorübergehen leicht berühren oder sich Blicke kreuzen, scheinen Wellen des Wohlwollens, der Zuneigung und Begeisterung hin und her zu schweben, als habe der gesamte Kosmos zum Fest geladen. Denn die Gerüchte, die seit dem unvergesslichen Tanzfest vor dem Tempel der großen Göttin kursierten, haben sich längst als wahr erwiesen: Archaikos nimmt die Fremde – Europa, die weitsichtige – zu seiner Frau.

Jetzt hallt der tiefe Ton der Hörner über den Platz. Die Bläser stehen über dem Tor, durch das gerade Europa und Archaikos treten. Ein atemberaubendes Raunen geht durch die Menge:

„Schau nur, wie sie lächelt!“

„Ihre Gewänder, sind sie nicht wunderbar?“

„Die Farben, ja!“

„Und der Minos – wie er sie anschaut!“

„Bestimmt hat sie ihn verzaubert, bestimmt!“

„Sie ist schön wie eine Göttin – oder?“ „Sie ist eine, ganz sicher!“

Da, wo sonst der Bote auf einem Podest steht, wenn er die Beschlüsse des Rats der Alten verkündet, steht jetzt die Hohepriesterin Chandaraissa. Das Paar ihr gegenüber. Der Minos in einem weißen Umhang, darunter ein weites, blaues Hemd und um den Kopf trägt er ein rotes, perlenbesetztes samtenes Band, stolz und zufrieden. Europa strahlt ihn überglücklich an. Grün und seiden glänzt ihr langes Kleid. Wie in einem Traum fühlt sie sich: gestern noch auf der Flucht vor dem Gott, der sie entführt und gewaltsam genommen hatte, heute als Gattin an der Seite des Minos von Kreta.

Jetzt hebt die Hohepriesterin beide Arme, alle gehen ehrfürchtig in die Knie.

„Oh Göttin, Schützerin der Insel, lege dein Wohlwollen über die beiden und segne sie, dass sie fruchtbar sein mögen und ein Segen für die Insel!“

Auch Europa und Archaikos beugen ihre Knie, verneigen sich. Chandaraissa legt sanft ihre Hände auf ihre Köpfe.

„Omana, omana!“ geht es dabei murmelnd über das weite Rund. Dann erheben sich wieder alle und jeder umarmt den nächsten neben sich. Wange an Wange murmeln sie wieder ihr „Omana, omana!“

Dann beginnt oben auf dem Tor der Trommelwirbel, erst leise, dann immer mächtiger werdend senken sich die tiefen rhythmischen Töne über die Menschen. Dazu kommen nun hohe Frauenstimmen, die in einem Freudengesang dagegen halten. Anschwellen, lauter und lauter; dann eine Pause, dann wieder anschwellen, lauter und lauter.

Vielen kommen dabei die Tränen, Glückstränen. Gerne lassen sie sie sich von den Wangen wegküssen, gerne. Was für ein Glücksmoment für alle!

23 Jun

Euopa – Meditation # 345

Bäumchen, Bäumchen wechsle dich?

Das zunehmende Tempo beim Taxieren der aktuellen Verhältnisse angesichts kriegerischer Auseinandersetzungen am Rande Europas und steigender Inflation und fallender Aktienkurse (Rüstungswerte selbstverständlich ausgenommen!) macht es immer schwieriger, halbwegs brauchbare Einschätzungen abzuliefern; dennoch wetteifern die Medien pausenlos mit Prognosen, die durchweg eingetrübt von schlechten Aussichten unken.

Die einen fordern gar mehr Führungswillen Deutschlands, obwohl solche Muster doch längst ausgedient haben – zum Glück – die anderen den Schulterschluss mit dem alten Gewinner transatlantischer Konflikte. Dabei werden auch bereits eingemottete Modelle wiederbelebt: Ein neuer Marschall-Plan muss her, lautet der Refrain in der Litanei der Kriegsgewinnler. Und da der von 1947 sehr effektiv den Geldbeutel reicher Amerikaner weiter füllte, ist es nur zu verständlich, dass man auch 2022 gerne solch ein Schuldenangebot der Ukraine machen möchte, damit die Safes der amerikanischen Geldaristokratie weiter vergrößert werden können.

Die Frage der Hegemonie wäre dann für die nächsten dreißig Jahre auch schon geklärt, samt Nibelungentreue der aufrechten Ampelpartner Mitteleuropas. Die amerikanische Rüstungsindustrie lässt gönnerisch fette Brosamen von ihrem Tisch fallen, damit die europäischen Partner auch das Gefühl haben können, sie seien Partner, wo sie eigentlich doch nur Gefolgsleute sein dürfen.

Damit aber sich aber niemand erniedrigt fühlen muss, werden die Gegner umso größer medial aufbereitet: China, Russland, Indien und Iran – das sind wahrlich Kaventsmänner, die einem ordentlich Angst machen können. Drum ist es gut, wenn man einem potenten Schutzpatron dient und diesen Dienst als Erfolgsgeschichte medial verkaufen kann. Also wird das alte Spiel lediglich mit neuen Karten gespielt, und weil es ja so eilt, muss auch nicht lange nachgedacht werden – von Kritik ganz zu schweigen – wenn man Saudi-Arabien wieder mit in den Club holt: schließlich haben die die Rohstoffe, die man zum Krieg führen nun mal braucht. Kashoggi oder Frauenrechte – von Menschenrechten überhaupt ganz zu schweigen – müssen da eben in die zweite Reihe rücken. Prioritäten angesichts beängstigender Visionen können keine Rücksicht nehmen auf Abweichler, Mahner, Kritiker, Frauen, Arbeitslose, Flüchtlinge. Auch die Meinungsfreiheit hat da ihre Grenze, wo es um existentielle Bedürfnisse großer Konzerne geht. Ähnliches gilt natürlich auch für die Türkei: Wenn dort weiter Systemkritiker eingesperrt werden, wenn kurdisches Territorium in Syrien und im Nordirak aus der Luft und zu Lande attackiert wird, dann ist das zwar aus europäischer Sicht problematisch, aber schließlich hat die Türkei ja für die Westeuropäer das Flüchtlingsproblem geschultert. Die Frage, wohin das Geld der EU dafür geflossen ist, sollte man wohl besser nicht stellen.

16 Jun

Europa – Meditation # 344

Das Märchen von der Demokratie

Wie stolz ist doch der „Westen“ auf seine demokratische Tradition, sein vorbildliches Gesellschaftsmodell!

Haben nicht schon „unsere“ Griechen vorgeführt, was es heißt, politisches Leben demokratisch zu gestalten?

Wirklich?

Oder war es nicht die wohlhabende Oberschicht, die unter sich ihre Führer wählte und die Beamten, die das Gemeinwesen über Steuereinnahmen auch militärisch fit hielt?

Waren nicht selbstverständlich Frauen, Zugereiste, Tagelöhner und Sklaven von jeder mitentscheidenden Teilhabe ausgenommen?

Ist dann nicht der schlanke Begriff Demokratie – Herrschaft des Volkes – bloß ein wohlklingender Euphemismus?

So viel über die Vorgeschichte dieser Herrschaftsform aus der Antike. Von Rom wollen wir sowie so lieber schweigen – da waren die machtvollen Interessen noch viel extremer ausjustiert. Von Teilhabe der Meisten keine Spur. Dann kam ja das sogenannte dunkle Mittelalter.

Gegenüber dieser Dunkelheit konnte „natürlich“ die Aufklärung und die Französische Revolution nur helleres Licht bedeuten: Ratio – ist seitdem der Zauberbegriff, mit dem wortreich und in atemberaubenden logischen Spiralen die Ungleichheit erklärt und betoniert werden konnte.

Wer waren denn die Entscheider in den 13 Kolonien in Übersee, wer die in der Nationalversammlung? Gebildete, wohlhabende oder zumindest nach dem Steuerrecht fixierbare Männer? WASPs.

Und wer blieb selbstverständlich draußen vor?

Die Frauen, die Zugereisten, die Tagelöhner, Kleinbürger und „natürlich“ auch weiterhin die Sklaven, die einfach mit Hilfe der Ratio aus der species homo sapiens als Sonderfall herausgenommen wurden – „natürlich“ auch mit dem Segen der Kirche.

Und nach der sogenannten Neuzeit kam dann noch heller und lichter strahlend die M o d e r n e – was für ein positiv konnotierter Begriff! Und „natürlich“ als ihre attraktive Schwester die D e m o k r a t i e !

Wie aber ist zu erklären, dass bei all diesem Glanz und dieser Vorbildlichkeit so viel daneben ging und geht, in diesen Demokratien? Trotz Vernunft nehmen die unvernünftigen Beschlüsse – mehrheitlich abgesegnet – von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu. Menschen, Tiere und Natur werden ausgebeutet bis zum geht nicht mehr. In Weltkriegen werden die Kassen der Rüstungsindustrien ordentlich gefüllt, das Zerstörte in hochgelobten Aufbauprogrammen gewinnbringend ersetzt und verschlimmbessert, der Hunger, die Armut, die Demütigung von immer mehr Menschen – auch in den Demokratien – nimmt eigenartiger Weise zu statt ab.

Was für ein verlogenes System ist das denn?

Also schnell mal mit dickem Finger auf die Bösen im Osten zeigen!