09 Nov

Europa – Meditation # 361

Wenn eine gute Idee verscherbelt wird.

Corrumpere, o, corrupti, corruptus.a,um – vernichten, verderben, zugrunde richten, zerstören – dieses aus diesem lateinischen Verbum abgeleitete Fremdwort „Korruption“ ist – wie so viele andere auch – durch ständigen Gebrauch verbraucht, nivelliert, leer laufend, oder sogar beschwichtigend alltäglich geworden. Landauf, landab sind wie in einer Litanei die Korruptionsfälle in Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport aufzuzählen; in ihrer Häufigkeit und Dreistigkeit ebnen sie nach und nach die kritische Grundhaltung gegenüber Wirtschaftskriminalität ein.

Inzwischen wird nur noch – mit profunder Durchblickermiene – gegrinst, wenn wieder ein neuer Fall ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird. Cum-Ex-Fälle, Wirecard-Skandal, Sterne-Koch, Fußball-Präsident: ein buntes Bild quer durch die Landschaft der Celebreties. Und natürlich im Hinterkopf als Basso Continuo der bekannte Soufleur: „Warum soll ich denn meine Steuern bezahlen, wenn „die da oben, die sich beredt als gesellschaftliche Vorbilder in den Medien präsentieren, alles probieren, um angemessene Besteuerung zu vermeiden?“

Und ob es nun der Oberbürgermeister von Frankfurt oder der gerade zurückgetretene Kanzler von Österreich ist, auch die Integrität der politischen Parteien – als „Volksparteien“ – nimmt mehr und mehr Schaden. Das unberechenbare Wählerverhalten und die abnehmenden Mitgliederzahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die Verdrossenheit in das in die Jahre gekommene Demokratie-Modell nimmt weiter zu. Wie war das neulich beim RBB und den Boni und Pensionsvereinbarungen? Eine öffentlich-rechtliche Institution ein Selbstbedienungsladen für „Führungskräfte“? Und das zynische Programm, das in Übersee ein gewisser Trampel in aller Öffentlichkeit durchzieht, stellt den Sicherungssysteme einer präsidialen Demokratie ebenfalls ein Armutszeugnis aus. Die Midterms werden es bestätigen: Mit genügend Geld lassen sich scheinbar nicht nur Medien instrumentalisieren, sondern auch Politiker – alle natürlich mit vorzeigbarem Werdegang, besten Zeugnissen und Empfehlungsschreiben von Universitäten und großen Konzerne und Kanzleien.

Wird da nicht schleichend eine passable politische Idee leichtfertig auf dem Markt von Marktschreiern verscherbelt? Wem kann man da eigentlich noch vertrauen?

01 Nov

AbB – „Neue Serie“ ab November 2022 – Leseprobe

„In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der ‚Weltgeschichte‘ : aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben. – So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt.“ (Friedrich Nietzsche)

Der kleine Floh – so scheint es ihm aus seiner Altersperspektive gesehen – hatte von Anfang an ein großes Misstrauen gegen diese „hochmütigen“ Erwachsenen, die für alles und jedes nicht nur einen fremd klingenden Begriff, sondern auch wortreiche Erklärungen hatten, die sie unablässig im Brustton höchster Sinngebung hinaus posaunten. Er aber hielt stumm und mit finsterer Miene dagegen. Gepaart mit der Angst, die ihn schon im Mutterleib als Dauergast nervte, waren seine Ausgangsbedingungen wahrlich bescheiden zu nennen. Ratlos stand er am Rande und konnte sich nur immer wieder wundern, wie selbstbewusst und arrogant die Erwachsenen die Welt im Griff zu haben schienen. Und da er völlig allein zu sein schien mit seiner Ratlosigkeit, hielt er sich lange für völlig fehl am Platz. Alle sahen wie Sieger aus, nur er war der große Verlierer. Das fand er ziemlich ungerecht, was ihn nur noch wütender machte. Aber auch mit seiner Wut war er völlig allein. Also profiliert er sich als der düstere Schweiger, der das Gefühl hat, einen Film anzuschauen, in dem jeder eine Rolle spielt und er nur Zaungast ist. Doch er traut ihnen nicht über den Weg. Im Grunde hält er sie alle für Bluffer, Lügner, Artisten in der Zirkuskuppel ratlos, aber es ist ihm noch nicht bewusst, es fehlen ihm die sprachlichen Mittel – erst sehr viel später wird er sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen versuchen: Er bemächtigt sich ihrer Sprachspiele und wendet sie lustvoll gegen sie. Jetzt, wo er als alter Floh erneut Nietzsche liest, (damals in Bonn und auch später in Freiburg hatte er nichts verstanden beim Lesen von Nietzsche-Texten, weil er sich auch dem bewussten Lesen verweigerte) – kann er nur staunen, wie verwandt sie beide im Denken sind: Nur geht er jetzt noch einen Schritt weiter als Nietzsche, lässt sich auf kein Spiel mit der Sprache mehr ein, sondern zertrümmert mit Wonne all die Wortklimmzüge der kulturellen Evolution, um da zu sich selbst zurückzukehren, wo das Wesen, die Natur des Lebens, pocht: im sinnlichen Sein körperlicher Vereinigung. Die Verbote, Tabus und Angstszenarien, die mittels der Patrixomanie von Geburt an allen gegen den eigenen Trieb anerzogen und ordentlich eingeübt werden, sind die schmerzende Zwangsjacke, aus der man sich befreien muss, um schwerelos im Wesentlichen anzukommen. Doch es scheint, dass dem homo sapiens die Zerstörung der Natur und seiner selbst lieber ist, als eingestehen zu müssen, dass er der dümmliche Verursacher dieser Sackgassenparade zum eigenen Untergang ist.