12 Mrz

Autobiographische Blätter – Neue Versuche # 73

Geh zurück auf Anfang!

Eben erst in den einschlägigen Gazetten zu lesen: „Das James-Webb- Teleskop entdeckt Galaxien, die es nicht geben dürfte. Vielleicht müsse die Geschichte des Alls neu geschrieben werden, sagt Astronom Günther Hasinger.“ Als habe sich ein Vorhang gehoben und gäbe den Blick frei auf ein galaktisches Szenario, dessen Ausmaß, Alter und Eigenart mit unseren Instrumenten nicht erfassbar seien. Das Bild vom Vorhang sollte im Grunde aber klar machen, dass der homo sapiens lediglich ein neues Theaterstück auf die Bühne bringt – also eine Fiktion, weiter nichts.

Als Kinder des Anthropozäns ist uns von klein auf beigebracht worden, dass der homos sapiens auf einem guten Weg sei, Entstehung und Entfaltung des Weltalls zu durchschauen.

Beobachten, messen, auswerten, schlussfolgern. Nach diesem schlichten Muster traditioneller Wissenschaftsgläubigkeit wird seit „kurzem“ verfahren. Bei schwierigen Ergebnissen heißt dann stets die Devise:

Neue Versuchsanordnung, präzisere Messgeräte und experimentelle Varianzen ausprobieren. Dass aber vielleicht das gesamte wissenschaftliche Konzept untauglich sein könnte, kann natürlich nicht in Erwägung gezogen werden.

Die neuen Bilder des James-Webb-Teleskops allerdings scheinen den Gedanken nahe zu legen, dass die bisherigen Theorien obsolet zu sein scheinen. Und die Wissenschaftssprache muss plötzlich mehr und mehr in den Konjunktiv, den Potentialis und in Hypothesen-Jonglagen ausweichen. Von Exaktheit, Berechenbarkeit oder Stimmigkeit keine Spur mehr.

Im Grunde wird eigentlich jetzt nur deutlich, dass die apodiktischen Thesen vom Urknall auf Sand gebaut waren, ebenso die Zeit-Dimensionen der Dynamiken im Weltall. Schon die Wortwahl: Schwarze Löcher und Galaxien-Nebel lassen erkennen, dass die Horizonte der wissenschaftlichen Thesenbildungen sich doch viel zu sehr an den Maßen und Mustern des eigenen kleinen Planeten orientierten, denn an Offenheiten fremden galaktischen Gegebenheiten gegenüber.

Und wieder weicht der homo sapiens auf ein vertrautes Bild aus, das ihm das Unvorstellbare vorstellbar machen soll: Wir betrachten die Atemzüge der Welt und des Weltalls – Systole und Diastole. Ein solches Bild ist uns dann vorstellbar, es taugt aber leider nur für das Anthropozän mit seinen katastrophalen Auswirkungen auf die „Atemwege“ des eigenen Planeten, nicht aber für die Weiten und Zeiten des Weltalls.

Übrigens: Ähnliches lässt sich vielleicht auch über die Gegebenheiten in der Tiefsee vermuten – unser beschränktes Wissen scheint auch diesem Bereich völlig ahnungslos gegenüber zu stehen!

10 Mrz

Historischer Roman II – Leseprobe – YRRLANTH Blatt 168

Chlotar, der König der Franken, verliert nicht nur seine Favoritin.

Am liebsten würde er persönlich den Boten dieser schlechten Nachrichten erwürgen, aber der König reißt sich zusammen, rennt wie ein eingesperrter Bär im Käfig wütend hin und her. Bordov, seinen treuesten Gefolgsmann, wird er noch brauchen, also Ruhe bewahren.

„Der Römer vergiftet? Vergiftet? Von wem?“

Chlotar spielt den Empörten. Insgeheim freut er sich, dass sein Plan aufgegangen ist. Auf seine schöne Aemihilth ist eben einfach Verlass.

„Das will der Sohn dieses alten Römers Marcellus, Julianus, wohl noch heraus bekommen. Allein, ich muss dir noch eine weitere schlimme Nachricht überbringen, beginnt nach einer Pause Bordov erneut mit seinem Bericht aus der Villa Marcellina.

„Nun?“

„Aemihilth, deine Favoritin, ist ebenfalls tot.“

Der König erstarrt in seiner Bewegung, hält die Luft an, glotzt ins Leere. Er findet sich richtig gut, wie er den Schockierten spielt, richtig gut.

„Nein, nein, nein….“ flüstert er dann fast lautlos, „nein!“

Bordov ist unschlüssig: Soll er gehen, soll er versuchen, den Tröster zu spielen, soll er komplizenhaft zwinkern? Er weiß es nicht. Doch da erlöst ihn der König aus seiner Ratlosigkeit.

„Lasst meine Leute eine Woche lang in schwarz herum laufen und gebt die Losung heraus: Der König ist in großer Trauer um seine treue Dienerin Aemihilth. Ich will niemanden empfangen. Niemanden.“

Bordov verneigt sich gehorsam. Er bewundert die Klugheit seines jungen Königs. Aber leider muss er noch eine dritte schlechte Nachricht los werden:

„Mein König“, beginnt er zögernd, „da ist noch etwas, was ich euch sagen muss….“

Chlotar tut zuerst so, als habe er gar nicht gehört, was Bordov noch vorzubringen hat. Dann bleibt er erneut – wie in wichtiges Nachdenken versunken – stehen, schaut dann auf und fragt eher beiläufig:

„War noch was, Bardov?“

Bardov holt tief Luft und beginnt dann so, als wolle er seinem König eine kleine Geschichte zum Aufheitern vortragen:

„Tja, da ist noch dieser Junge, dieser römische; Julianus heißt er wohl oder so ähnlich, der hat sie – ohne Zeremonie – einfach so verscharren lassen und angekündigt, er wolle der „Sache“ nach gehen. Ja, genauso hat er es wohl formuliert: „Er wolle der Sache nachgehen.“

Die beiden schauen sich für einen Augenblick flüchtig an, dann beginnt der König leise zu kichern und je länger er das tut, schließt sich auch sein treuer Gefolgsmann an mit zu kichern. Schließlich verebbt das kleine Theaterstück, als hätte es gar nicht stattgefunden.

„Ich denke, wir haben noch eine Menge zu erledigen, wir beide – oder?“

fragt dann völlig unvermittelt Chlotar seinen Gefolgsmann. Bordov nickt vielsagend, verbeugt sich erneut tief vor seinem König und sucht langsam das Weite.

Kaum hat er den Raum verlassen, muss er sich an der Holzwand abstützen. Ihm ist ziemlich schwindlig.Soll das bedeuten, dass er mal wieder die Drecksarbeit erledigen soll, dass er den jungen Römer aus dem Weg räumen muss?

Bordov spürt, wie ein völlig neues Gefühl in ihm hoch kriecht. Langsam, sehr langsam. Ist dieser Auftrag vielleicht jetzt doch einer zu viel? Erschrocken blickt sich Bordov um. Hat ihn jemand beobachtet, hat er etwa seinen Gedanken gerade versehentlich laut ausgesprochen, hat ihn jemand belauscht? Weiß es der König vielleicht bereits? Muss er um sein eigenes Leben fürchten?

10 Mrz

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 155

Das geheime Treffen der Ratsherren ( Teil 2)

Während im Ratssaal das Geschrei der alten Männer kein Ende zu finden scheint, warten Europa und ihre Zwillinge auf den Stufen vor dem großen Tor des Palastes auf die Trommler und Tubabläser. Und in Windeseile haben die Kreter, die auf ihren Fisch- und Gemüseständen weiter ihre Waren feil bieten, mit den Frauen sofort die wildesten Gerüchte ausgetauscht:

Warum stehen die da auf den Stufen des Palastes? Ist der Minos tot?

Der Minos ist tot.

Der Minos ist wieder gesund und wird gleich auf dem Balkon oben erscheinen.

Die Hohepriesterin ist beim Minos – sie soll ihm beim bevorstehenden Tode beistehen.

Seine neue Frau, Europa, und ihre Zwillinge sind verstoßen worden. Sie stehen auf der Treppe und fürchten um ihr Leben.

Die Ratsherren sind von den Wächtern in Ketten abgeführt worden. Man hört sie noch schreien.

Da ertönen aber in das wilde Geraune und Getuschel der Händler und Käuferinnen plötzlich Trommeln. Ein Wirbel nach dem anderen. Dann die Tubabläser. Sie stehen oben hinter den Zinnen der hohen Mauer des Palastes. Was hat das zu bedeuten? Gleich kommen vom Hafen her Fischer, Kinder, Frauen und Männer aufgeregt herbei gerannt. Das Volk glaubt, der Minos ist gestorben, ihr Minos. Archaikos. Sie gehen in die Knie. Reißen die Arme hoch. Wehgeschrei ertönt. Dann wieder die Trommeln, dann wieder die Tubabläser.

Und alle starren auf Europa und ihre Zwillinge. Jetzt hebt Europa einen Arm. Sie bittet um Ruhe. Im Halbkreis um sie herum stehen jetzt die Wächter. Stille, völlige Stille.

„Hört, hört, Kreter! Der sterbende Minos hat mir seine Vollmachten übergeben, ich soll als Vormund an der Seite der beiden Zwillinge die Herrschaft verwalten, bis die beiden – Parsephon und Samadanthys – ihre Weihe als Männer erhalten haben. So ist es sein Wille.“

Die Stille wächst weiter. Die Menschen versuchen zu verstehen, was sie gerade gehört haben. Denn das hat es auf Kreta noch nie gegeben. Noch nie.

Dann krachen in diese Stille hinein – viele sind bereits auf ihre Knie gesunken, neigen gehorsam ihre Häupter – die Flügeltüren des Ratssaales auf und laut gestikulierend und schreiend kommen die alten Männer heraus gestolpert. Die Menschen starren sie an. Sie fühlen sich gestört, in diesem so besonderen Augenblick. Europa und die Zwillinge, auf den Stufen des Palastes. Feindselig blicken die Kreter auf diese alten Männer, die da wie eine wild gewordene Schafherde blökend auf sie zugerannt kommen. Jetzt auch wieder erneuter Trommelwirbel, danach wieder die Tubabläser von oben herab.

Da wird dem Haufen alter Ratsherren klar, dass sie zu spät kommen. Sie spüren: Das Volk hasst sie. Sie sind so reich, so mächtig, so unnahbar. Jetzt werden sie bestraft, sie kommen zu spät. Als wären sie gar nicht da, neigen nun alle kniend ihre Häupter zu Boden und geben so Europa und den Zwillingen zu verstehen: Wir gehorchen euch, wir nehmen den Spruch des sterbenden Minos an. Es ist gut so.

Die alten Männer aber erstarren zu Eissäulen. Berberdus flüstert Pallnemvus ins Ohr: „Jetzt können wir nichts tun. Wir müssen still halten. Aber wir werden es nicht annehmen.“ Pallnemvus nickt nur. Und in den Köpfen der anderen Ratsherren rast der Zorn wild hin und her: Wir sind übergangen worden. Wir werden uns rächen. Sie ist ja nur eine Frau. Und die Zwillinge Frischlinge.

Da kommt vom Tempel der großen Göttin die Hohepriesterin. Sie geht auf die drei zu, die jetzt auf den Stufen ebenfalls in die Knie gehen. Chandaraissa legt ihnen ihre Hände auf ihre Köpfe. Zuerst Europa, dann Samadanthys, dann Parsephon. Die Hohepriesterin schaut nun auf den stummen Kreis der alten Männer. Sie wissen, was das bedeutet. Sie müssen sich jetzt auch verbeugen. Die große Göttin will es so. Alle schauen gespannt auf die Ratsherren. Einer nach dem anderen verneigt sich nun doch. Während über ihre alten Gesichter Blitze zu zucken scheinen. Aber es hilft nichts. Dann hören alle die feste Stimme Europas:

„Wir danken euch allen. Wir werden zum Wohle der Insel und unter dem Schutz der großen Göttin diese schwere Zeit gemeinsam mit euch allen glücklich zu gestalten wissen.!“

Dann nimmt sie die Zwillinge an ihre Hände, wendet sich mit ihnen zum Gehen und verschwindet – während die Trommelwirbel erneut erwachen – im Inneren des Palastes.

Und kaum haben sich die Menschen leise mit einander redend vom Vorplatz entfernt, stehen auch schon die Ratsherren dicht bei einander; und was da an finsteren Plänen bereits raunend angedeutet wird, lässt nichts Gutes vermuten. Gar nichts Gutes.