Europa – Meditation # 413
Das Licht der Aufklärung: Ein Blender ohnegleichen.
Die Männer wollten sich nicht länger von einem Gott bevormunden lassen. Also verkündete sie kühn: Gott ist tot. Es lebe der neue Gott, der Mann – oder um es intellektueller klingen zu lassen, das Individuum. Das klang sachlicher, neutraler. Als wenn sich dahinter nicht das gleiche, alte Interesse verborgen hätte! Der Kaisers neue Kleider waren auch nicht besser als alle anderen davor. Aber es schien zu funktionieren: Der Jubel war groß. Die neue Idee grenzenlos, damit auch die Möglichkeiten für das Individuum. Die Skala nach vorne weit offen. „Komm mit, ins Offen, Freie, wir werden alle frei sein, alle. Im Klartext hieß es dennoch: die Männer. Jetzt nicht mehr als Priester, wohl aber als Wissenschaftler, die vordergründig um Objektivität zu ringen schienen, hintergründig allerdings mit viel subtilerer Gewalt als je ihre Dominanz zementierten – und dass nicht nur ihresgleichen gegenüber, sondern auch der eigenen Basis gegenüber, der Natur.
Dieser historische Schwenk im logischen Denken und wissenschaftlichem Sprechen ließ einer Euphorie Tür und Tor eröffnen – man benutzte (und tut das immer noch) die Metapher vom Licht der Vernunft, das sich nun befreiend auszubreiten schien – dass endlich menschengemacht alles, selbst der Tod, in den Griff zu bekommen wäre. Natürlich gab und gibt es dabei Meinungsverschiedenheiten, die bis hin zu Weltkriegen führen können, aber das gehört eben scheinbar alles dazu, zu diesem neuen Welt- und Menschenbild vom freien, unabhängigen und kritischen Individuum. Das Licht – inzwischen so grell hell wie ein Atomblitz – hat aber längst die Männer völlig blind gemacht – in religiösem Kontext würde man von „verblendet“ sprechen – , so dass sie jedwede Orientierung verloren zu haben scheinen. Und da sie aber weiter stolz auf ihre „Aufklärungsepoche“ sein möchten, verbieten sie sich einfach zuzugeben, dass wir uns in eine Sackgasse manövriert haben, aus der eben nur die totale Umkehr die einzige Lösung sein würde.
Die rettende Wendung in diesem Sinne kann – mit dem Rücken zu Wand – nur noch von den Frauen kommen, die die Leidtragenden (im wahrsten Sinne des Wortes!) sind und die dennoch in Ermangelung dieses unseligen Stolzes der Patrix die Männer mitnehmen würden, weil man Blinde eben an die Hand nehmen muss, damit sie nicht straucheln oder gar in einen Abgrund stürzen.