30 Sep

Europa – Meditation # 413

Das Licht der Aufklärung: Ein Blender ohnegleichen.

Die Männer wollten sich nicht länger von einem Gott bevormunden lassen. Also verkündete sie kühn: Gott ist tot. Es lebe der neue Gott, der Mann – oder um es intellektueller klingen zu lassen, das Individuum. Das klang sachlicher, neutraler. Als wenn sich dahinter nicht das gleiche, alte Interesse verborgen hätte! Der Kaisers neue Kleider waren auch nicht besser als alle anderen davor. Aber es schien zu funktionieren: Der Jubel war groß. Die neue Idee grenzenlos, damit auch die Möglichkeiten für das Individuum. Die Skala nach vorne weit offen. „Komm mit, ins Offen, Freie, wir werden alle frei sein, alle. Im Klartext hieß es dennoch: die Männer. Jetzt nicht mehr als Priester, wohl aber als Wissenschaftler, die vordergründig um Objektivität zu ringen schienen, hintergründig allerdings mit viel subtilerer Gewalt als je ihre Dominanz zementierten – und dass nicht nur ihresgleichen gegenüber, sondern auch der eigenen Basis gegenüber, der Natur.

Dieser historische Schwenk im logischen Denken und wissenschaftlichem Sprechen ließ einer Euphorie Tür und Tor eröffnen – man benutzte (und tut das immer noch) die Metapher vom Licht der Vernunft, das sich nun befreiend auszubreiten schien – dass endlich menschengemacht alles, selbst der Tod, in den Griff zu bekommen wäre. Natürlich gab und gibt es dabei Meinungsverschiedenheiten, die bis hin zu Weltkriegen führen können, aber das gehört eben scheinbar alles dazu, zu diesem neuen Welt- und Menschenbild vom freien, unabhängigen und kritischen Individuum. Das Licht – inzwischen so grell hell wie ein Atomblitz – hat aber längst die Männer völlig blind gemacht – in religiösem Kontext würde man von „verblendet“ sprechen – , so dass sie jedwede Orientierung verloren zu haben scheinen. Und da sie aber weiter stolz auf ihre „Aufklärungsepoche“ sein möchten, verbieten sie sich einfach zuzugeben, dass wir uns in eine Sackgasse manövriert haben, aus der eben nur die totale Umkehr die einzige Lösung sein würde.

Die rettende Wendung in diesem Sinne kann – mit dem Rücken zu Wand – nur noch von den Frauen kommen, die die Leidtragenden (im wahrsten Sinne des Wortes!) sind und die dennoch in Ermangelung dieses unseligen Stolzes der Patrix die Männer mitnehmen würden, weil man Blinde eben an die Hand nehmen muss, damit sie nicht straucheln oder gar in einen Abgrund stürzen.

28 Sep

Europa – Meditation # 412

Die Koordinaten der Patrix: Gewalt und Angst.

Wie erfährt der Mann Selbstbestätigung und Zuneigung. Und wie die Frau?

Machtvoll will er scheinen, groß, stark, furchterregend. So schafft er sich Gefolgschaft, Unterwerfung, Abhängigkeit. Als wäre es eine Naturkonstante.

Liebenswürdig ist sie, anziehend, fürsorglich, behütend. So begegnet man ihr mit Freundlichkeit, Vertrauen, Wärme. Wie die Natur es nahe legt.

Als diejenige, die die Fortpflanzung der species sicherstellt, leistet sie die entscheidende Arbeit unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Lebenslang werden ihre Kinder dafür ihr Anerkennung und Zuwendung schenken. Und der Mann, der lediglich in einem besonderen Moment kurz seinen Samen einbringt, wie fühlt er sich demgegenüber in seiner Rolle?

Er meint, er müsse sich dennoch Achtung verschaffen, indem er mit Macht, Gewalt und Angst Erzeugen Dominanz erzwingt.

So jedenfalls in der Vergangenheit. Vom Zweistromland über das tote Meer und den Tiber verfestigte sich diese Haltung – geschickt verpackt mit scheinbar gottgewolltem Überbau – bis an den Rhein, die Themse und nahm von da erst so richtig Fahrt auf zu weltweiter Verbreitung, so dass heutzutage dieses patriarchalische Muster – die Patrix eben – daher kommt, als wäre es eine Naturkategorie. Die Sprache wurde ihr Schwert, die Logik ihr Rauschmittel.

Und mit solchen Angstszenarien pumpte sich der Mann im Laufe der Geschichte auf zu einem Popanz an Selbstgefälligkeit und Größenwahn, der ihn immer wieder in gewaltigen Kriegen und Mordexpeditionen zur völligen Selbstüberschätzung führte. Tröstende und Trauernde waren da wie immer die Frauen. Im großen wie im kleinen Theater, wo Femizide nach wie vor an der Tagesordnung sind, stehen sich so Mann und Frau sehr ungleich gegenüber, bis der Langzeit-Selbstbetrug nun endlich zu bröckeln beginnt.

Denn inzwischen gelangt diese auch religiös verbrämte Rolle an ihr Ende: Die Lust, die der Mann aus der Angst der Frau schlürfte, beschert fast nur noch Ärger, Unwohlsein, Schuldgefühle und Niederlagen. Und die Kriege der Gegenwart scheinen so absurd wie es schon die Kriege unter Justinian waren, der in Afrika, Mesopotamien, dem Balkan und in Italien so viele Menschenleben seinem Machtstreben opferte, dass sie nicht zu zählen waren. Die Koordinaten der Patrix – Gewalt und Angst – als Erfindung eines ratlosen Mannseins haben den Globus in solch eine Krise geführt, dass ein Kassensturz unbedingt ansteht. Packen wir‘s an!

25 Sep

AbB – Neue Versuche – Blatt # 8 – Leseprobe

Die apokalyptischen Reiter 1511 (Albrecht Dürer)

Gewalt – Krieg – Not – Tod

Angst – Schuldgefühle – Selbstverleugnung – Eifersucht

vs

Lebensfreude – Selbstbestimmung – Sinnlichkeit – Freiheit

Die apokalyptischen Reiter (natürlich wieder nur Männer!) reiten in der Patrix alles niedermachend schon viel zu lange über die Menschen dahin: Sie wollen nur Angst erzeugen, jeden mit Schuldgefühlen peinigen, die eigenen Wünsche eigener Sinnlichkeit verteufeln und im gewaltsamen Haben des anderen üppige Lebensfreude und leidenschaftliches Begehren in selbstgewählter Freiheit zertrümmern.

Wenn schon vier Pferde, dann solche, die vier Wesen, Männer und Frauen, jubilierend über blühende Wiesen tragen, wo sie ungestüm ihrem Begehren gerne nachgeben – lauter wunderbare Augenblicke vollkommenen Glücks – während die kräftigen Pferde das frische Grün völlig selbstvergessen genießen.