Endlich
kann das Begehren sich bewähren.
Lukimmeló
und Lordum spüren geradezu, wie die steinernen Portalfiguren ihrer
Kindheit zerbröseln. Sie sacken in sich zusammen, als wären sie aus
pulvrigem Sand. Beiden wird leichter und leichter ums Herz. Die
Morgendämmerung begrüßt sie wohlwollend und voller Behutsamkeit.
Langsam. Voller Begeisterung und Begehren gleiten ihre Blicke über
die nackten Körper. Die kühle Morgenluft streichelt haarsträubend
über sie hin. Und weit über ihnen kreisen jetzt zwei große
Greifvögel, Adler wohl, deren spitze Schreie ihnen wie das Auslachen
alter und scheinbarer Gewissheiten in ihrem Denken anmuten.
Ausgelacht sind sie nun. In sich zerfallen. Kleine Halden verlogener
Gewissheiten. Hin. Nun aber blüht endlich wieder natürliches
Begehren auf.
„Ich fühle
mich so frei, so unendlich frei wie noch nie in meinem Leben“, sagt
Lukimeeló zu Lordum.
„Ich
auch“, ist alles, was er ihr erwidern kann.
Sie wissen,
was für eine verführerische Schlange die Sprache ist. Dieser
Quälgeist, er macht im Handumdrehen aus Begehrenswertem
Angstschweres. Aus natürlicher Lust unnatürliches Befremden,
Schuldgefühle, Vorwürfe. Im Handumdrehen. Jetzt fällt es ihnen wie
Schuppen von den Augen. Jetzt lassen sie es mit jedem Atemzug
lustvoll aus sich entweichen. Wie einen Dämonenfluch, der sie schon
so lange meinte niederzwingen zu dürfen.
Nur wenn dem
Begehren gleiches Begehren entgegen giert, können die Sinne – und
nur sie – im lustvollen Tanz von Suchen und Finden zum Ziel
gelangen.
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t e 2
„Komm,
komm!“ flüstert Lukimeeló lockend.
Gleichzeitig
drückt sie mit beiden Händen ihre beiden Oberschenkel hoch und
auseinander. Wie zufällig sieht sie in diesem Dreieck oben am Himmel
den Adler kreisen, als wäre er – wie durch einen Zauber- in diesen
Raum gebannt, als hätte sie ihn gefangen. Sie selbst fühlt sich
dabei so frei wie noch nie. So frei.
Lordum
schiebt nun vorsichtig seinen Kopf in die Spitze dieses kühnen
Dreiecks und liebkost mit seiner Zunge den kleinen, glänzenden Hügel
darin.
Lukimeeló
stöhnt gierig gern ihm entgegen.
„Mehr,
mehr!“ spornt sie ihn übermütig an, „mehr!“
Sie hatte
gedacht, er würde gleich in sie hineingleiten.
Dass er nun
mit seinem Kopf zwischen ihren Beinen versunken ist, lässt sie vor
Wonne fast zerspringen. Und da sind keine Störeinflüsterungen mehr,
die der Freude in die Quere kämen. Da ist nur lustvolle Zustimmung,
reines Begehren. Schon kommen in mehreren Wellen von innen her sie
überflutende Glücksgefühle nach oben, jubilierende, wie zu freiem
Flug abhebende Gesänge. Sein Kopf kommt nun hoch zu ihr. Lippen noch
feucht vom berauschenden Trinken am Zauberberg. Gleichzeitig spürt
sie, wie wohlige Wärme in sie eindringt, sie völlig ausfüllt. Und
sein schönes Stöhnen nimmt sie genauso bereitwillig in sich auf wie
seinen warmen Samen, der in ungestümem Schwall in sie hinein sich
ergießt.
Als würden
Zeit und Raum wie eben erst die morschen Portalfiguren bröselnd in
sich zusammen fallen, so scheinen Lordum und Lukimeeló den
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e i t e 3
unverhofften
Augenblick zu erleben, dem sie sich endlich frei und ganz hingeben
können. Doch jetzt ist es Lukimeeló, die ihn sacht von sich
schiebt, um sich stolz über ihm zu erheben und ihn so erneut in sich
zu versenken. „Ah, wir sind eins…!“ haucht sie lüstern in sein
Ohr, „eins!“
Später –
die ersten Morgensonnenstrahlen bringen gerade die vielen
Schweißtropfen auf ihrer Haut bunt und wunderbar zum Glitzern –
müssen sie immer wieder lachen. Oft völlig unvermittelt. Da purzeln
alte Satzgebilde aus dem Kopf in ihr müdes Bewusstsein. Wie
Fremdlinge muten sie sich an.
„Kenne ich
nicht, weiß ich nicht, brauch ich nicht…“
So oder so
ähnlich kommentieren sie die langweiligen Querschläger aus früheren
Tagen. Die Großeltern, die Eltern, die Priester, die Lehrer, deren
Geplapper kommt ihnen nun vor wie ulkiges Gekrächze. Immer wieder
müssen sie in ihrem Tagtraum, den sie nun sich gönnen, fragen: „Was
hast du gesagt? Ich verstehe dich nicht, Mutter. Was meinst du damit,
Großvater?“ Als wären es müßige Gespräche aus einem
verflossenen Leben, einer völlig anderen Welt, die auf einem anderen
Planeten wohl gerade stattfinden mag, nicht aber in ihrem Augenblick,
den sie beide gerade fühlen. Unverständlich, unvorstellbar,
unsinnig. Überflüssig. Wenn sich Lukimeeló und Lordum nun in
diesem klaren Morgenlicht von der Seite her anschauen, sind sie sich
ganz sicher: ihr vorheriges Dasein war nur Vorspiel auf dem Theater,
ein irriger Probelauf, der sich als müßig herausgestellt hat. Sie
sind nun endlich frei. Frei wie der stolze Adler oben über ihnen.
Gelassen zieht er dort seine Kreise. Kennt keine Angst.
N
a c h w o r t
Viele
Jahre später in Florenz.
Die Folgen
des Sensenmannes, der im Dienste der Pest, so lange und so schlimm in
ganz Europa wüten durfte, sind immer noch nicht überwunden. In den
Gassen von Florenz wanken
in langen, schwarzen Gewändern trauernde Großmütter hin und her.
Murmeln Gebete, sprechen mit den Toten, als wären sie noch an ihrer
Seite.
„Ja, ja,
mein lieber Sohn, pass gut auf dich auf und komm bald wieder heim…“
Tränen
laufen faltige Wangen hinab.
„Was hast
du gerade gesagt? Du sprichst so leise. Du weißt doch, ich höre
nicht mehr so gut.“
Jetzt steht
die
Alte
am Ufer des träge dahin fließenden Flusses. Ganz in Gedanken meint
sie das Lachen von Kindern
zu hören. Dann starrt sie auf einen Körper, der im Wasser an ihr
vorbei zu gleiten scheint. Fast verliert sie ihren Halt und wäre in
den Fluss gestürzt, wenn nicht im gleichen Moment eine Schar Tauben
dicht vor ihr vorbei geflattert wäre. Sie schreckt hoch und sucht
Halt an einer Uferweide. Glück gehabt.
Oder war es
Klipenia, die Zauberin, die Mitleid mit der Alten hat?
Ganz in der
Nähe fühlt auch Lordum die Nähe der Zauberin. Er erinnert sich an
die Nacht, als er diesen hellen Schweif am Himmel gesehen hatte.
Lukimeeló neben ihm. Und
der Tempel der Eos vor ihnen geheimnisvoll beleuchtet vom Mond. Sie
hatte ihn gefragt, ob er sich etwas gewünscht habe. Auch an die
Geschwister Gewalt und Angst denkt er – wie damals. Nur haben sie
längst keinen Platz mehr in seiner Gefühlswelt.
S
e i t e II
Seine
Wutrede. Jetzt kann er darüber nur lachen. Natürlich hat er längst
geheiratet, hat Kinder. Die studieren inzwischen in Bologna
Jurisprudenz. Aber er fühlt sich so frei wie noch nie in seinem
Leben. Als würde erst jetzt die Zeit ungebremster Lebensfreude
einsetzen. Er schreibt am offenen Fenster gerade einen Brief an die
Meisterin ihrer Geheimgesellschaft.
„Liebste,
Lukimeeló! Beim
nächsten Vollmond möchte ich dich wiedersehen.
Oben vor San
Miniato al Monte auf der kleinen Terrasse, von der man diesen
wunderbaren Blick hinunter auf den Fluss und den Dom hat.“ Mit
Schwung versiegelt er das kurze Schreiben, es soll heute noch mit
einem Boten zu ihr gebracht werden, heute noch.
Wie sehr hat
sich die Welt für die Flüchtlinge von damals doch verändert!Wie
Lordum und Lukimeeló haben auch die anderen Paare, die damals in
dieser unvergesslichen Mondnacht bei einander gelegen hatten, die
Einflüsterungen aus Kindertagen wie welke Blätter hinter sich
gelassen. Sie haben sich die Lebensstufen neu zusammengesetzt. Gewalt
und Angst daraus verbannt, für immer. So können sie nun – völlig
frei von Schuldgefühlen oder Eifersucht – zueinander finden und
die Wünsche der inneren Natur frei in Erfüllung gehen lassen.
Immer wieder
und voller Lebensfreude. Und von Jahr zu Jahr wuchs auch ihre
Geheimgesellschaft, denn vor allem die griesgrämigen Vertreter der
Kirche predigen ja weiter von Sünde, Strafe, Höllenfeuer. Als wäre
die Natur in einer Fehlerfalle gefangen, der sogenannten Erbsünde.
Darüber können sie insgeheim nur lachen, Lukimeeló, Lordum und all
die anderen
von damals
samt den vielen neu hinzu gekommenen.
S
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Mond,
Terrasse, Fluss und Dom sind die vier Losungsworte, die den Priestern
unverdächtig scheinen, die der Geheimgesellschaft aber Tür und Tor
zu ihrem geheimsten Begehren öffnet. Einer wirklichen Welt, in der
Sprache und die Purzelbäume der Logik sehr, sehr alt aussehen und
nur staunend zuschauen können, was jenseits ihrer künstlichen
Gebilde und
haarsträubenden Konstruktionen
an natürlicher Wirklichkeit unendlich liebenswerter ist.
Nach und
nach werden so die Jahrtausende alten Domestizierungen der inneren
Natur wieder in sich zusammenfallen und Männer wie Frauen wieder
dahin zurückkehren können, wo sie eigentlich ursprünglich gewalt-
und angstfrei leben konnten.