Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 62
Und wieder zieht Zeus den kürzeren.
Missmutig schauen die müden Fischer im Hafen zu, wie Trasopas seinen fetten Fang auf seinen Holzkarren lädt.
„Wo hat er das denn her?“
„Reiner Zufall. Bestimmt. Sonst bringt er doch kaum was an Land. Oder?“
„Da wird sich seine Thiala, die dicke, ganz schön freuen.“
Hämisches Gelächter begleitet Trasopas, als er in den Gassen mit seiner reichen Ladung verschwindet. Er kann es immer noch nicht fassen. Sonnenstich, vielleicht. Jedenfalls hat er seit dieser eigenartigen Erscheinung auf dem Wasser Kopfschmerzen.
Thiala steht breitbeinig in der kleinen Tür und traut ihren Augen nicht.
„Mann, was bringst du denn da an Land? Ich glaub, ich träume.“
„Frau, wir haben ausgesorgt für mindestens einen Monat.“ Und schon hängen neugierige Köpfe in den kleinen Fenstern der Nachbarhäuser. Glotzen neidisch rüber. Ungläubige Gesichter.
Trasopas spürt es deutlich. Trotz seiner Kopfschmerzen nimmt er sich viel Zeit, den Fang ins kleine Haus zu schaffen. Die sollen sich ruhig ärgern, diese Lästermäuler! Thiala tanzt kichernd um die unverhoffte Beute herum, als wäre sie fünfzehn. Bald muss sie sich aber schnaubend setzen. Immer wieder schlägt sie sich die Hände vors Gesicht, schüttelt den Kopf. Das Wasser läuft ihr im Munde zusammen.
Trasopas weiß, dass es gleich Ärger geben wird. Denn er muss ja einen Teil zum Tempel bringen. Und das wird sie gar nicht einsehen, da ist er sich ganz sicher.
„Hör mal, Thiala, wir sollten der Göttin etwas von dem Fang als Dank weihen, weil…“ Er kann seinen Satz gar nicht zu Ende bringen.
„Was?“ schreit Thiala los, „hast du jetzt auch noch dein bisschen Verstand verloren?“
Die Nachbarn in den Fenstern am Platz spitzen die Ohren. Gleich wird er aus dem Haus gejagt, geht es ihnen durch den Kopf, gleich steht sie wie eine Rachegöttin vor der Tür und brüllt hinter ihm her.
Aber nichts dergleichen geschieht. Plötzlich ist es ganz still im Häuschen von Trasopas. Und keiner weiß, was los ist.
Nicht viel später machen sich der Fischer und seine Frau mit einem großen Korb, den sie in die Mitte genommen haben, auf zum Tempel. Die Nachbarn lassen sie ratlos und tratschend zurück.
Auf der langen Mauer um den Tempel liegen wie immer dösend die üblichen, schlecht gelaunten Katzen und warten auf dumme Vögel, die in ihrer Nähe notlanden. Aber nichts zu sehen, nichts zu hören. Und das heiße Flimmern der Luft macht dem Fischer und seiner Frau arg zu schaffen. Der Korb ist schwer. Die Nasenflügel der Katzen beginnen bedenklich zu beben. Die Augen werden zu bösen Schlitzen. Wie auf eine heimliche Verabredung springen sie auf, rennen wie junge Athleten im Stadion auf die beiden zu, fallen sie und den Korb fauchend an. Entsetzt lassen Trasopas und Thiala den Korb fallen, die Beute ist blitzschnell gefasst und entführt. Drei kleine Augenblicke, vielleicht. Mehr nicht. Was für eine Katastrophe! Und Zeus auf seinem Olymp ist stocksauer, gelinde gesagt.