Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 65
Europa schöpft neuen Mut – trotz allem.
Chandaraissa und Europa sitzen sich schweigend gegenüber. Die Sache mit den vergifteten Fischen liegt ihnen schwer im Magen. Die armen Katzen! Europa ist übel. Ist es die Schwangerschaft oder ist es der Zorn auf den gehörnten Entführer, den sie schlafend in der Höhle zurückgelassen hatte?
„Hör auf, dich zu grämen, Europa, wir müssen nach vorne schauen. Unsere jungen Tänzerinnen sind so voller Eifer und Zuversicht. Dieser Vorfall darf sie nicht verunsichern. Dich auch nicht.“
„Du hast gut reden, Chandaraissa. Die Albträume kommen trotzdem jede Nacht.“
„Schon. Aber wir sind zusammen doch so stark. Erinner dich an den Prozess. Der Minos war so beeindruckt von unserem Auftritt, dass er seinem eigenen Minister Sardonios – dem Herrn über alle Listen und Protokolle und der Hofhaltung – nicht nachgab, sondern unsere Erklärung für wahr hielt. Hast du das schon vergessen?“
„Nein, Chandaraissa, nein. Archaikos ist ja sogar bereit, mich zu heiraten – gegen den Widerstand der greisen Räte.“
„Na also! Spätestens nachdem alle den neuen Tanz gesehen haben werden, wird auch Sardonios` Zeit um sein. Glaub mir.“
„Aber dieser heimtückische Anschlag! ER wird so leicht nicht aufgeben.“
„ER wird nie aufgeben, klar. Aber wir werden stärker und stärker werden. Thortys und Nemetos sind so leicht zu überrumpeln gewesen.“
Beide müssen lachen, wenn sie an diese Geschichte denken.
„Unsere Göttin glaubt an uns – sie wird uns stets beistehen, das weißt du doch, Europa!“
Sie nickt. Was für ein Glück, dass ich solch eine Freundin habe, denkt sie und drückt die Hand Chandaraissas. Was für ein Glück!
Wie weggeblasen scheinen Angst und Kleinmut.
„Komm, wir rufen alle Priesterinnen zu einer Zusatzprobe. Tanzen wird ihnen gut tun. Da kommen sie gar nicht erst auf dumme Gedanken!“
Chandaraissa strahlt. So liebt sie ihre neue Gefährtin. So entschlossen, so freudvoll. Wie ein Blitz saust dabei ein Bild durch ihren Kopf: Archaikos, der Minos von Kreta, ertrinkt. Delfine tragen ihn zu Grabe in einer Unterwassergrotte der freundlichen Nymphen. Es wird alles gut werden, denkt sie und seufzt.