Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 73
Ein neues Fest – Archaikos berichtet dem Rat der Alten
Ein ziemlich unfreundliches Raunen geht durch die Reihen der alten Räte, als der Minos von Kreta den Ratsraum betritt. Archaikos spürt förmlich ihre zornigen Blicke auf seine Haut auftreffen wie brennende Pfeile. Er atmet tief durch. Ihr könnt mich nicht umstimmen, ihr räudigen Hunde, ihr, denkt Archaikos, als er jetzt freundlich grüßend durch die Reihen geht und vorne auf dem Thron des Minos gelassen Platz nimmt.
Nach und nach verebbt das Raunen. Es wird still im Saal. Die tanzenden Delfine im Rücken des Minos scheinen nichts zu spüren von der schlechten Laune, die in der Luft zu wabern scheint. Wie übler Rauch, der aus feuchtem Holz aufsteigt, das einfach nicht richtig brennen will. Archaikos lässt sie einfach warten. Er schweigt lange. Schließlich beginnt er langsam und leise zu sprechen:
„Ich habe euch heute hierher rufen lassen, weil ich euch von einem Traum berichten muss, den unsere große Göttin in letzter Nacht mir zugesandt hat.“
Die Spannung steigt. Gerne würde Archaikos jetzt die Texte, die gerade durch die Köpfe seiner Zuhörer geistern, an die Wand geschrieben sehen. Die Mienen der alten Räte werden nur noch finsterer. Natürlich werden sie längst wissen, wer ihn in dieser Nacht besucht hat. Hinter vor gehaltener Hand wurde ingrimmig getuschelt. Da ist er sich ganz sicher.
Archaikos macht eine lange Pause. Dann fährt er fort:
„Das Frühlingsfest soll in einem großen Tanz zu Ehren der Göttin gefeiert werden.“
Der Minos hat den Satz kaum beendet, da gellt ein Zwischenruf durch den kalten Raum: „Und der Umzug? Soll der Umzug einfach ausfallen?“
Es war Maenothys gewesen, der Hitzkopf und Todfeind des Minos, der losgebellt hatte. Archaikos lächelt, schüttelt den Kopf und antwortet dann dem Frager gelassen und leise:
„Nein, mein werter Rat Maenothys, natürlich wird auch der Umzug wie eh und je stattfinden. Der Tanz wird abends dann den Festtag abschließen. So will es die Göttin.“
Alle drehen sich nun zu Maenothys um. Keiner will dessen Reaktion verpassen. Im Innern tobt eine Wut, die nur im schnaubenden Atmen zu ahnen ist, im Gesicht versucht Maenothys aber Erleichterung zu heucheln.
„Alles weitere wird euch die Hohepriesterin, Chandaraissa, bei ihrem nächsten Tempelbericht vortragen.“
Erleichterung – oder ist es Enttäuschung – macht sich breit. Man tuschelt aufgeregt. Archaikos lässt sich wieder viel Zeit. Er genießt den Augenblick.
„Gibt es noch weitere Fragen?“
Sofort tritt völlige Stille ein. Keine Fragen.
Geht doch, denkt Archaikos zufrieden, als er aufsteht und gelassen den Ratsraum verlässt.