Europa – Meditation # 163
Handke im wilden Kurdistan
Was wären die Medien ohne ihre medialen Feindbilder?
Was wären die hungrigen Leser ohne ihre vertrauten Paladine?
Was wären die Kenner ohne ihre muffige Arroganz und Häme?
Was das mit Kurdistan zu tun hat?
Ganz einfach: Spätestens seit dem sogenannten ersten Weltkrieg, der 1914 in Europa begonnen haben soll, sind die Kurden zum Spielball nationaler und internationaler Mächte geworden. Und warum? Weil sie ähnlich wie die Semiten und die Slawen auf einer eigenen Geschichte, Kultur, Sprache und Tradition beharren, auf eigener Identität also, die ihnen ihr langer Atem sicherte. Das schafft Neid, das schafft Angst, das schafft Feindbilder, noch und noch.
Vom Selbstbestimmungsrecht der Völker zu sprechen, entscheiden wie immer natürlich die Sieger. Die Besiegten sollen bitte schön bei ihren Leisten bleiben.
Das letzte Theaterstück der Pharisäer aus dem Lande der Neuen Welt ist nun staunend zu besichtigen: Es geht wie immer um viel – um Wasser und andere Bodenschätze, um Ansprüche, die selbstverständlich aus alten Rechten herrühren müssen und um Härte, die man denen gegenüber walten lassen muss, die das in Frage stellen wollen. Verbündete können da schnell mal fallen gelassen werden.
Selbstverständlich sind die vielen Opfer, die die Kurden in dieser unseligen Geschichte schon so lange bringen mussten, längst vergessen.
Da kommt es wie gerufen, dass einer den Literaturnobelpreis bekommt, der nicht nur Bücher geschrieben hat, die sehr kontrovers von den Medien kommentiert wurden, sondern der auch Landschaften und Völker besuchte, die aus den Nachwehen des Kalten Krieges unsanft herauspurzelten und dabei ebenfalls viele Opfer zu beklagen hatten. Denen Arges angetan wurde und die nicht zögerten, mit gleicher Münze zurückzuzahlen. So lenken uns die Serben dankenswerterweise einen Augenblick von den Kurden ab.
Selbstverständlich hat der Konsument des medialen Strafgerichts, das sich nun über diesen geehrten Schreiber ergießt, keine Erinnerung mehr daran, was damals die NATO vor Ort kriegerisch sich leistete – von Kigali wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht erst wieder anfangen – wir Europäer waschen unsere Hände gerne in sauberer Nachkriegsunschuld, und da ist es doch naheliegend, einen solchen Literaten eher als Nestbeschmutzer zu kommentieren, denn als Sätzeschmieder, der auf seinem Wörteramboss so manches heiße Eisen platt schlägt, das viele doch lieber schön zieseliert hätten.
Denn im Grunde geht es doch darum, Handke auf einem Nebenschauplatz zu erlegen, um seine Zivilisationskritik nicht schon wieder thematisieren zu müssen. Wie praktisch auch! Schicken wir den Handke doch einfach ins wilde Kurdistan, da fällt ihm bestimmt wieder ein Text ein, über den wir dann genüsslich herfallen können – unsere Hände in Unschuld waschend.