Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 94
Der fremde Gott gibt sich zu erkennen.
Chandaraissa und Europa stolpern durch die enge Gasse, fühlen sich – eingehüllt in eine braune Staubwolke – geschoben und gedrängt. Aber von wem? Hustend wischen sie sich den feinen Sand von Augen, Mund und Nase. Europa hat ein ungutes Gefühl im Magen. Ist das jetzt der nächste Angriff ihres Entführers? Als sie jetzt in einer Hausnische an die Wand gedrückt dastehen, ist die plötzliche Windböe zerblasen.
„Mir blieb nichts anderes übrig“, sagt die Gestalt, die sich aus der Sandwolke herausschält. Chandaraissa denkt: Der sieht aber richtig gut aus. Wer könnte das sein? Auch Europa ist erleichtert bei diesem Anblick.
„Wer bist du und was hat das zu bedeuten?“ fragt sie den jungen Fremden.
Der schaut sich kurz um, ob die anderen Männer ihnen gefolgt sind, und sagt dann:
„Ich tauche manchmal auf, um dem Glück auf die Beine zu helfen. Ihr wart in Gefahr. Da hab ich einfach etwas Wind gemacht.“
Er schmunzelt vielsagend und gibt mit einer Geste den beiden Frauen zu verstehen, schnell weiter zu gehen. Chandaraissa ahnt bereits, wer der Fremde sein könnte, sagt aber nichts, als sie los laufen. Dionysos? Auch Europa ist eigentlich mit seiner Antwort unzufrieden.
Woltónos, Thórtys und Németos stehen gleichzeitig sprachlos und mit offenem Mund da und glotzen die drei Wächter an. Wo sind die beiden Frauen? Der plötzliche Sandsturm hat sie weggeblasen. Einfach weg. Und die drei Wächter machen einen ziemlich schlecht gelaunten Eindruck.
„Na, da habt ihr aber euren ersten wichtigen Auftrag echt in den Sand gesetzt oder besser gepustet, was?!“ mault sie der eine an, der ihnen eben den Mordbefehl gegeben hatte. Die beiden anderen nicken böse dazu.
„Das kann man wohl sagen!“
Woltónos weiß nicht, was er dazu sagen soll. Zu viele Gedanken stolpern gerade durch seinen Kopf. Nichts läuft zur Zeit nach Plan, nichts. Archaikos, der Minos von Kreta, darf auf keinen Fall erfahren, dass er jetzt zur Palastwache gehört, auf keinen Fall. Also muss er irgendwie den Rückzug einleiten. Aber wie? Seine beiden Mitstreiter scheinen da keine Hilfe zu sein. Dümmlich starren sie vor sich hin, zittern, sabbern. Eklig.
Drei Gassen weiter hat der Fremde die beiden Frauen in einen kleinen Garten geführt, lädt sie ein, sich zu setzen. Er will ihnen alles erklären.