Europa – Meditation #254
Der neue, alte Fetisch: Zahlen, Zahlen.
Nehmen wir zum Beispiel die Zahlen 31 und 41 –
Fügen wir noch ein Zeichen dazu: % –
Und schon klickt es. Oder etwa nicht? (Nein, nein – diesmal nicht corona!)
Als engagierte Europäer wissen wir natürlich sofort, dass sich hinter diesen beiden harmlosen Zahlen junge Menschen verbergen, die zur Zeit in Italien und Spanien arbeitslos sind. Sie sollen „darstellen“, wie viele von ihnen verzweifelt nach Arbeit suchen. Und das in Zeiten von Corona! Wenn in den Medien diese beiden Zahlen ( 31% und 41% ) in irgendwelchen Tabellen auftauchen – Tendenz steigend – dann ist das ein Zahlenmuster, das uns auch von den täglichen Börsentabellen vertraut ist. Prozentzahlen. Einmal geht es um Menschen, einmal geht es ums Geld. Unser Gehirn fühlt sich angenehm entlastet, wenn statt konkreter Bilder von jungen Leuten in Italien und Spanien, die vergeblich bei Job-Börsen Schlange stehen und kein Erfolgslächeln in die Kamera halten, wenn stattdessen eben nur die Zahlen als deren Stellvertreter auftreten: nüchtern, abstrakt, kalt und leblos, eben entindividualisiert.
Darin sind wir hier in Europa ganz groß. Neben den abstrakten Zahlen gibt es ja auch noch die abstrakten Begriffe, wie Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit oder Hoffnungslosigkeit. Vor lauter „-keiten“ müssen wir uns als Leser keine Menschen aus Fleisch und Blut mit ihren Träumen, Ängsten und zerstörten Plänen vorstellen, sondern sehen höchstens die Arbeitslosigkeit – vermenschlicht – wie sie traurig durch leere Straßen taumelt, um einen Euro bettelt, beim kostenlosen Mittagstisch vorbei schaut, anonym, gesichtslos.
Gleichzeitig versorgt uns aber die Werbung mit Bildern von dynamischen Erfolgstypen, die in Hochglanzkisten auf der Route # 1 entlang düsen, während der Fahrtwind ausgelassen mit dem gepflegten Haar dabei spielt…, um nur ein kleines Abziehbildchen ins überforderte Gedächtnis zu rufen.
Gleichzeitig sehen sich aber die Medien auch genötigt – schließlich geht es ja um ausgewogene Berichterstattung – von üblen Randalen in Barcelona oder Genua zu berichten, wo bürgerliches Eigentum zu Bruch geht, Mülltonnen in Flammen stehen und Jugendliche trotzig das V-Zeichen in die Kamera halten. Tausende, Tag für Tag.
Was ist da los? Was ist nur mit unserer Jugend los? So oder ähnlich sinnieren der saturierte Mittelständler oder Banker beim abendlichen Info-Abgleich on TV.
Fällt die Frage nicht auf die Frager zurück?
Der Markt regelt eben doch nicht alles – im Gegenteil – er zementiert die zunehmende Ungleichheit und Lebenserwartungen in engen Grenzen. Entweder man hat geerbt oder man hat skrupellos dafür gesorgt, dass man am Finanzamt vorbei sein Schäfchen ins Trockene gebracht hat.
Was ist also da los? Dumme Frage, wirklich!