Europa – Meditation # 278
Die Flüchtigkeit von Welt und Leben Teil II
Europa 2021. Die Brüder Fritz und Franz sind stolz auf das, was sie zusammen geleistet haben: Mit viel Glück hatten sie den tollen Bauplatz ergattert – gar nicht weit weg von der Ahr, mit super Blick flussauf- und flussabwärts – hatten ein schickes Holzhaus gebaut, mit Solarzellen auf dem Dach, hatten beide geheiratet, hatten beide Kinder, waren beide Zimmerleute und liebten es, mit Auto und Wohnwagen an der Ostsee Urlaub zu machen. Die Schulden würden sie schon noch wuppen.
Am Morgen des 14. Juli 2021 gibt es Streit. Fritz will los, trotz Regen und trotz des Wetterberichts, Franz will lieber noch einen Tag oder notfalls auch zwei abwarten. Die beiden Wohnwagen stehen bereits fertig beladen neben ihrem schönen Holzhaus. Ein eigenartiger Glanz liegt auf den glatten Balken. Wasserabweisendes Holzöl , klar.
„Nee, bin doch nicht blöd, bei dem Wetter, nee“.
„Franz, was soll das denn? Wir fahren immer zusammen los. Das Wetter ist doch scheißegal. Stell dich nicht so an.“
„Mir doch egal. Ich hab einfach keine Lust auf Aquaplaning.“
Wortlos schauen sich die Brüder eine Weile an, starren dann durch das Fenster in den verregneten Morgen. Starkregen hat der Wetterbericht vorhergesagt. Ist ja nichts Neues. Das Wetterradar zeigt im Westen – Belgien, Nordfrankreich – bereits lila Töne. Das kann ja heiter werden. Ich fahr los, denkt Fritz. Auf keine Fall, denkt Franz.
Dann trennen sie sich. Ilse, schaut oben vom Kinderzimmer mit Lenchen auf dem Arm zu, wie Fritz, Billa und die Zwillinge ins Auto stürmen.
„Mensch, die sind doch klatsch nass, wenn die losfahren!“ flüstert Ilse Lenchen ins Ohr. Die brabbelt vor sich hin und sabbert. Und schon sind sie weg.
„Papa, du hast versprochen, dass wir heute losfahren, bitte!“ quengelt der fünfjährige Oskar.
„Bei dem Wetter? Nein! Los, geh hoch, hol deine Lego-Tonne und bau was Schönes, los!“
Maulend klettert Oskar die Treppe hoch. Er will nicht Lego, er will an die Ostsee. Gemein aber auch, Papa ist richtig gemein.
In Frankreich wird wie gewohnt und trotz Pandemie der Nationalfeiertag in Szene gesetzt: Reden, Fahnen, Musikkapellen, Veteranen in Ausgehkluft samt Orden, am Abend sind wie immer Feuerwerke angesagt – auch in der Bretagne, in Lorient zum Beispiel oder…
„So, bring die Kinder schon mal ins Bett, ich schau noch die Wetterkarte an!“ sagt schlecht gelaunt Franz zu seiner Frau.
„Die will ich gar nicht sehen. Fritz schickt gerade eine Nachricht, die sind schon da!“ Ilse kommen die Tränen. Sie hatte nicht gewagt, Fritz zu überreden, auch loszufahren, am Morgen. Und draußen prasselt der Regen nur so runter. Starkregen, Flut. Wie schön wäre es jetzt, mit Billa ein Bierchen zu trinken, direkt am Strand!